Der dunkelhäutige Athlet im Lendenschurz blickt seit 1929 auf die Menschen auf der Waldshuter Kaiserstraße hinab. Der „Wilde Mann“, die Halbrelieffigur auf der Fassade des einst gleichnamigen Gasthauses – heute Osteria „Ars Vivendi“ – , ist ein Zeitgenosse jener Jahre, die als die „Goldenen Zwanziger“ gelten, befreit von der Last der Kriegs- und Nachkriegsjahre. Noch mehr als golden waren sie wild, ja lasterhaft, wie zuletzt etwa in der deutschen Fernsehserie „Babylon Berlin“ exzessiv nachgezeichnet.

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Nicht unbeleckt vom wilden Geist jener Jahre war wohl auch der Waldshuter Bildhauer Adolf Studinger, als er vor 93 Jahren das Relief auf der Front der Kaiserstraße 18 anbrachte. Als Vorlage diente ihm das Motiv eines afrikanischen Buschmanns, ein athletischer Kerl, nur angetan mit einem um die schmalen Lenden geschlungenen Fell. Bei der Arbeit an diesem Körperteil habe der Künstler auf seinem Gerüst die „Augen junger und alter Frauen“ blitzen sehen, wie in einem Dokument des damaligen Hausbesitzers Hermann Dietsche, dem Vater des späteren gleichnamigen Bürgermeisters, aus dem Jahr 1930 zu lesen ist. Weil aber die anzüglichen Bemerkungen über das im Lendenschurzbereich vermutete Prachtstück des Wilden nicht abreißen wollten, kamen Hausbesitzer und Künstler überein, Handgreifliches zu bieten. Doch was man in Berlin hätte zeigen können, in einer Kleinstadt wie Waldshut trotz „Goldener Jahre“ aber nicht wagen wollte, ließen sich Dietsche und Studinger einen Trick einfallen: Das naturgetreu gestaltete „beste Stück“ des „Wilden Mann“ wurde nach hinten verlegt und in einer Nische hinter Wandputz vor den Blicken eventuell empörter Bürger verborgen. Freigelegt wurde dieser geheime Teil der Figur letztmals 1967 bei einem Innenausbau.

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„Der Künstler wollte nichts Gemeines schaffen, sondern nur ein plastisches Zeitdokument entwerfen. Wir bitten alle, die das Werk entdecken, es nicht zu zerstören, andererseits aber auch nicht der großen Masse preiszugeben“, heißt es im mit eingemauerten Bekennerschreiben der beiden Urheber.