Herr Spill, wie sieht konkret Ihre Präventionsarbeit für Senioren aus?
Ich halte regelmäßig Vorträge mit der Möglichkeit, Fragen zu stellen. Gemeinden, Seniorenräte, alle, die für die Seniorenarbeit verantwortlich sind oder mit Senioren zu tun haben, können mich kostenlos anfragen und einladen. Während Corona sind wir trotzdem aktiv gewesen und haben Info-Material zum Beispiel Sozialstationen und Heimen zukommen lassen. Die erste Veranstaltung nach der Pandemie-Pause fand kürzlich in Tiengen statt und war mit 26 Seniorinnen und Senioren gut besucht. Prävention ist nie messbar, aber wir sind überzeugt, dass sie sinnvoll ist und hilft.
Das Thema ist in den Medien sehr präsent – warum ist trotzdem immer wieder gezielte Aufklärung nötig?
Auch wenn mittlerweile der überwiegende Teil der Versuche der Betrüger erfolglos bleibt, ist die Schadenssumme noch immer sehr hoch oder steigt sogar, rund neun Millionen Euro waren es 2021 in Baden-Württemberg. Außerdem ist die Dunkelziffer sehr hoch und die Aufklärungsquote bei den angezeigten Betrugsfällen beträgt in Baden-Württemberg nur etwa sechs bis sieben Prozent.

Wie zentral das Thema nach wie vor ist, zeigt sich auch darin, dass es beim Polizeipräsidium Freiburg eine spezielle Ermittlungsgruppe gibt, die nichts Anderes macht, als sich um Betrugssachen mit geschädigten Senioren zu kümmern. Die Betrüger arbeiten straff organisiert und lassen sich immer wieder Neues einfallen. Es geht längst nicht mehr nur um den Enkeltrick oder falsche Polizisten, es ist also nötig, auf immer wieder neue Praktiken hinzuweisen.
Können Sie genauer sagen, was sich wie verändert hat?
In Baden-Württemberg ist im Vergleich zu 2020 beim Enkeltrick ein deutlicher Rückgang zu verzeichnen, aber bei sogenannten Schockanrufen ein Zugang von fast 300 Prozent. Es sind oft die gleichen Täter, die immer wieder neue üble Maschen anwenden, um ältere Menschen um ihr Geld zu bringen. Viele Spuren führen dabei in den osteuropäischen Raum und in die Türkei. Dort sind Mitarbeiter in sogenannten Callcentern nur damit beschäftigt, Menschen anzurufen.
Nummern von potentiellen Opfern bekommen sie in der Regel aus Telefonbüchern, in denen sie gezielt nach alten Vornamen suchen. Oft stehen in diesen Telefonbüchern sogar noch Adressen. In Deutschland haben sie dann Leute, die nach erfolgreichen Gesprächen Geld oder Wertsachen bei den Senioren abholen, die diese ihnen in dem Glauben übergeben, dass sie bei ihnen Zuhause nicht mehr sicher sind.
Enkeltrick und falsche Polizisten dürften mittlerweile ein Begriff sein, aber worum genau geht es bei Schockanrufen?
Bei Schockanrufen wird der Angerufene von einer Sekunde auf die andere mit einer Schreckensbotschaft konfrontiert, die ihn in einen Schockzustand versetzt. Zum Beispiel ruft jemand an und sagt, dass die Tochter oder der Sohn einen Autounfall mit tödlichem Ausgang verursacht hätte und in Untersuchungshaft käme, wenn nicht sofort eine Kaution bezahlt würde.
Während Corona ist es sogar vorgekommen, dass Angerufenen gesagt wurde, ein Familienmitglied läge mit einer schweren Infektion im Krankenhaus und bräuchte dringend einen Platz auf der Intensivstation mit künstlicher Beatmung, hierfür sei aber Geld nötig.
Stimmt es, dass die Betrüger mittlerweile auch WhatsApp für sich entdeckt haben?
Ja, bei WhatsApp-Betrügereien erhalten nicht nur Senioren eine Nachricht, die angeblich von ihrem Sohn oder ihrer Tochter kommt. Diese schreiben zum Beispiel, sie hätten ein Problem mit ihrem Handy und könnten deshalb kein Online-Banking machen und bitten ihre Eltern oder Großeltern um Überweisung einer bestimmten Summe auf ein bestimmtes Konto.
Was in letzter Zeit auch vorgekommen ist, sind Anrufe von vermeintlichen Bankangestellten, die sagen, mit der EC-Karte der Angerufenen würde etwas nicht stimmen, sie sollen dann ihre Geheimnummer auf Band sprechen und ihre defekte EC-Karte bereithalten, die Bank würde sie abholen.
Das ist alles ganz schön perfide.
Ja, diese Betrüger haben null Empathie, kein Gewissen und auch keinerlei Ehrenkodex, sie prahlen sogar teilweise noch im Internet mit ihren Taten.
Obwohl die Täter raffiniert vorgehen, dürften nicht wenige sich fragen, wo der gesunde Menschenverstand bei den Geschädigten geblieben ist, ist das anmaßend, kann es jedem passieren?
Ja, es kann jedem passieren, auch wenn man topfit ist. Die älteren Menschen werden durch solche Anrufe in eine Ausnahmesituation versetzt und die Anrufer sind rhetorisch geschult und üben massiven psychischen Druck aus. Sie rufen teilweise mehrmals oder über einen längeren Zeitraum an. Die Angerufenen fühlen sich oft überfordert und hilflos und die Meisten glauben doch noch eher an das Gute im Menschen. Bei Betrugssachen, bei denen ein falscher Polizist anruft, ist das Entscheidende, dass gerade auch ältere Menschen ein ausgeprägtes Vertrauensverhältnis zur Polizei haben. Das wird schamlos ausgenutzt.
Was macht es mit Menschen, wenn sie Opfer solcher Betrügereien werden?
Viele schämen sich, erzählen nicht einmal ihrer Familie davon und es stellt meist eine immense psychische Belastung dar. Es gibt aber keinen Grund, sich zu schämen. Man sollte unbedingt zur Polizei gehen.
Je mehr wir wissen, desto größer unsere Chancen, Täter zu fassen.
Können Sie Beispiele für Erfolge der Polizei nennen?
Im Falle einer Callcenter-Bande, die von der Türkei aus in Deutschland ältere Menschen um Vermögenswerte brachte, hat die lokale Polizei kürzlich Millionen von Euro beschlagnahmt und Tatverdächtige festgenommen. Der Prozess in der Türkei läuft. Oder kürzlich hat eine 88-Jährige nach einem Schockanruf Geld und Schmuck an einen Abholer übergeben. Eine Nachbarin hatte es beobachtet und die Polizei informiert. In Bruchsal konnten Verdächtige festgenommen werden. Wer etwas Verdächtiges beobachtet, sollte also nicht zögern, mit der Polizei zu sprechen.
Welche grundsätzlichen Ratschläge geben Sie älteren Menschen, um sich vor solchen Betrügern zu schützen?
Misstrauen als Grundeinstellung hilft, auch wenn das nicht dem Naturell der Meisten entspricht. Kein Polizist, kein Staatsanwalt und auch kein Bankangestellter fordert am Telefon, an der Haustüre oder per WhatsApp die Übergabe oder Überweisung von Geld oder die Herausgabe von Wertgegenständen. Sobald Geldforderungen kommen, sollte man sofort auflegen und die Polizei verständigen. Wer Zweifel hat, kann die 110 wählen und den Fall schildern.
Wenn sich jemand als Enkel, Sohn oder Tochter meldet, auch auf die Stimme achten und hier gezielt persönliche Fragen stellen, die nur diese Personen beantworten können. Oder einfach unter einer vorhandenen Telefonnummer den angeblich Anrufenden kurz kontaktieren und nachfragen. Hier fällt mir eine kleine Anekdote ein: Eine Frau aus dem Hotzenwald sagte zu einem Anrufer, der sich als ihr Sohn ausgegeben hatte: Du bisch nit mien Sohn, so schwätze mir nit im Hotzewald.
Lassen Sie uns zum Abschluss noch ein wenig über den Schwerpunktbereich Ihrer Präventionsarbeit reden, den Verkehr – sind da auch Senioren eine Zielgruppe?
Wir schulen vor allem junge Verkehrsteilnehmer, machen aber auch Senioren Angebote. Diese glauben oft, wir wollen Ihren Führerschein, aber das stimmt nicht. Wir machen sie auf Gefahren aufmerksam, die im Straßenverkehr beispielsweise durch altersbedingte Einschränkungen oder durch die Einnahme von Medikamenten entstehen können und wie damit umgegangen werden kann, ohne gleich den Führerschein abgeben zu müssen. Zudem bieten wir für Senioren auch ein Pedelec-Sicherheitstraining an, bei dem man in Theorie und Praxis beschult wird.