Im Verband der deutschen Heimtextilien-Industrie spielte die Wehra AG nicht die erste Geige. Im Vergleich zu Branchenriesen wie DLW, Dura oder Pegulan war das Unternehmen ein Zwerg. Trotzdem waren Webteppiche aus Wehr jahrzehntelang ein Renner und berühmt. Wie rasch indes der grüne Lorbeer des Ruhms welken kann, zeigt das Beispiel der „Wehra“. Sie wurde vor 30 Jahren geschlossen, doch war ihr Untergang schon früher besiegelt.


Die Erfolgsgeschichte der Wehrer Webteppiche begann 1907 mit Alfred Hauber. Friedrich Rupp, Seniorchef von Neflin&Rupp, hatte den leitenden Angestellten der 1853 gegründeten Herforder Teppichfabrik nach Wehr gelockt. Rupp hatte ihm versprochen, er könne oberhalb der Möbelstoffweberei eine eigene Teppichproduktion aufzuziehen. Hauber ergriff die Chance und baute zügig die neue Teppich-Linie auf.
Für die 1907 errichtete Teppichweberei wurden 14 neue Webstühle angeschafft. 1908 folgte ein 200x300 cm Webstuhl für große Teppiche. Im selben Jahr erhielt Hauber Prokura und 1911 wurde er Teilhaber. Der Laden lief, weil Hauber auch einen feinen Sinn für die Ausmusterung hatte. Die kleine Teppichweberei war damals auf dem höchsten Stand der Technik. Ihre Teppiche fanden reißenden Absatz und wurden zur Legende.
Der langsame Abstieg begann schon früh
Webteppiche aus Wehr schienen unantastbar. Auch zwei Weltkriege und die Kontingentierung der Rohstoffe während der Nazi-Zeit machten ihrem Ruf nichts aus. Als nach der Währungsreform 1948 der Betrieb im alten Stil wieder anlief, erwiesen sie sich als Umsatzbringer. Während in den 1950er Jahren der Umsatz der Mokettabteilung bei etwa fünf Millionen Mark lag, stieg er in der Teppichabteilung auf das drei- bis vierfache. Investitionen in die Maschinen hielten sich aber im Rahmen. Wieso etwas ändern oder gar das Kapital erhöhen? So blieben die Arbeitsabläufe und Produkte die alten – wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Das konnte nicht gutgehen.
Bereits um 1960 hatte die Schwäbische Treuhand als Prüferin der AG eine Kapitalaufstockung gefordert. Ohne Erfolg. Die Aktionärsgruppen Rupp und Hauber gerieten ob dieser Frage in einen Streit, der das Ende der AG herbeiführte. 1965 schrieb Aufsichtsrat Frank Abelmann einen Brandbrief mit der erneuten Forderung nach mehr Kapital zur Modernisierung des Betriebs. Doch die Hauber-Gruppe verweigerte sich. Nach zwei Verlustjahren mündete der Streit in eine Schlammschlacht. Diese führte 1969 zur Abwicklung der AG und zur Übernahme der Fabrik durch die Falke-Gruppe.
Neue Produkte sollten die Firma retten
Der patriarchalische Führungsstil der Gründerzeit wurde durch ein modernes Management ersetzt. Nun erschloss man neue Märkte durch neue Produkte. Der traditionelle Mokett- und Teppichmarkt war zusammengebrochen. So sorgten, um nur ein Beispiel zu nennen, Hans Strobel und Wilfried Sailer für Großaufträge aus der Automobilindustrie (unter anderem Bezüge für Autositze). Diese konnten aber nur durch neue Maschinen erledigt werden. Beim Aufbau der modernen Tufting- und Raschelabteilung, die auch die Herstellung von Teppichböden ermöglichte, spielte der 1972 zum Produktionsleiter ernannte Werner Kramer eine wichtige Rolle.

Der Einstieg in die Tufting-Technologie, so Kramer, hätte mit dem Teppichboden-Boom bereits Anfang der 1960er Jahre erfolgen können und den Fortbestand der Firma für viele Jahre gesichert. Doch die stolzen Teppich- und Mokettweber Hauber und Rupp hielten Teppichböden für „Lumpezüg“. Als schließlich Falke 1979 in Turbulenzen geriet und Pegulan das Werk übernahm, war das Ende besiegelt.
Pegulan (seit 1987 Tarkett Pegulan AG) zählte zu jenen Firmen, die frühzeitig neben der Linoleum- und PVC-Produktion die neue Tufting-Technologie übernommen hatten. Der Konzern verlagerte die neuen Wehrer Tufting-Maschinen nach Ramstein und läutete damit den Untergang der „Wehra“ ein. 1991 wurde die Reduktion der Rumpf-Belegschaft (743 im Jahr 1957!) von 100 auf 40 beschlossen. Es gab einen Warnstreik, der aber nichts mehr bewirkte. Ende 1992 war die einst so stolze „Wehra“ Geschichte und das Arbeitsamt in Bad Säckingen hatte alle Hände voll zu tun, die traditionsreiche Firma abzuwickeln.