Derzeit kommen kaum noch Besucher nach Wehr. Unterwegs ist nur, wer triftige Gründe hat. Inmitten der Corona-Krise ist dies auch gut so. Niemand will sich selbst oder andere gefährden. Jetzt zählen Rücksichtnahme und Zusammenhalt. Da tut es auch einmal gut, sich jener Zeiten zu erinnern, als hoher Besuch ins Wehratal kam.
Um es gleich zu sagen: Dass Kaiserin Maria-Theresia im Gasthaus „Adler“ übernachtet hat, ist eine „Ente“, die vermutlich vom Adler-Wirt zur Belebung seines Geschäfts in Umlauf gebracht wurde. Er hätte sie besser braten sollen! Verbürgt ist hingegen der Besuch des badischen Großherzogs Friedrich II. am 12. Oktober 1909. Medizinalrat Dr. Justinus Kerner hatte es geschafft, dass im Rathauspark ein Denkmal für den beliebten Vater des Großherzogs aufgestellt wurde. Zur großen Feier gab sich Friedrich II. persönlich die Ehre und Dr. Kerner trug bei der Enthüllung des Denkmals Lobgedichte auf das Herrscherhaus vor. Seine Ahnen hätten sich um Grab herumgedreht, hatten doch einige von ihnen als Freiheitskämpfer gegen den Adel Gefängnisstrafen abgesessen.

Ins Gefängnis kam auch Dr. Anton Denk, Chef der Wehrer Weberei der MBB, letztlich wegen des Besuchs eines – zumindest in Baden – prominenten Nazis. Der Reichstagsabgeordnete Fritz Plattner hatte kurz nach der sogenannten Machtergreifung durch Hitler 1933 seinen Besuch der MBB angesagt. Dr. Anton Denk und seine Mannschaft warteten elf Stunden auf den hohen Herrn. Als dieser endlich erschien, hielt Dr. Denk mit Kritik nicht hinter dem Berg. Plattner merkte sich das und revanchierte sich 1936 in Nazi-Manier. Der Wehrer Webereichef hatte im Café Wunderle eine Bemerkung über Plattner fallen lassen und wurde denunziert. Die Gestapo verhaftet ihn. Er saß eine Woche im Gefängnis. Ein Prozess gegen ihn konnte nur mit Mühe abgewendet werden.
Das gab es nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1949 nicht mehr. Das Grundgesetz garantiert Meinungs-, Rede- und Versammlungsfreiheit, die lebhaft genutzt wurde. Vor allem im Wahlkampf. Besonders heiß wurde er 1969 geführt, als CDU-Kanzler Kurt Georg Kiesinger gegen Willi Brand um sein Amt kämpfte. Wehrs Junge Union mit Klaus Marksteiner, Hans Loritz und dem leider verstorbenen langjährigen Bürgermeisterstellvertreter Eberhard Leber hatte es geschafft, dass Kiesinger nach Wehr kam. Am Talschulplatz hielt er eine Rede. Kiesinger landete im Hubschrauber auf Wehrs Fußballplatz. Vergeblich! Willy Brandt hieß wenig später der neue Kanzler.
Auch im Vorfeld der Wahlen von 1976 kam politische Prominenz ins Wehratal. Ein beliebtes Ziel war die Brennet AG als damals größter Arbeitgeber. Willy Brandt war 1974 infolge der der Affäre um den DDR-Spitzel Guillaume zurückgetreten und Helmut Schmidt bewarb sich gegen Helmut Kohl um seine Wiederwahl. Am 6. Februar 1976 besichtigte Bundesfinanzminister Hans Apel von der SPD die Brennet AG. Er machte kurzfristig auch für die Landes-SPD Stimmung, weil am 4. April der neue Landtag von Baden-Württemberg zur Wahl stand.

Keine drei Wochen später gab sich der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Hans Filbinger, ebenfalls in der Brennet die Ehre. Am 24. Februar 1976 wurde er durch die Fabrikhallen geführt und begegnete dabei Hilmar Kaiser, einem Webermeister aus einer alten Öflinger MBB-Familie. Filbinger, der als „fürchterlicher Jurist“ (Rolf Hochhuth) in die Geschichtsbücher einging, gewann die Landtagswahl haushoch mit dem Slogan „Freiheit statt Sozialismus“. Helmut Schmidt konnte ein halbes Jahr später kein so gutes Ergebnis erzielen. Doch mit den Stimmen der FDP wurde er zum Kanzler der sozialliberalen Koalition gewählt wurde.

Es folgten noch weitere Besuche prominenter Politiker, insbesondere der baden-württembergischen Landesväter (Mütter gab und gibt es bisher keine). Lothar Späth war eng durch Pfarrer Paul Gräb und Anne-Sophie Mutter mit Wehr verbunden und weilte oft hier. Erwin Teufel schrieb ebenfalls seinen Namen in das Goldene Buch der Stadt wie auch der erste grüne Ministerpräsident Deutschlands, Winfried Kretschmann. Wer wohl demnächst folgen wird?