Herr Ernst, seit April 2020 gehören Sie zur Geschäftsleitung des Impulshaus Engen, das es bereits seit dem Jahr 2017 gibt. In dieser Wohn- und Arbeitsstätte geht es darum, psychisch erkrankte junge Erwachsene von der Schule ins Berufsleben und zu einer selbständigen Lebensführung zu begleiten. Wie gut gelingt Ihnen das?
Wie gut es uns tatsächlich gelingt, das lässt sich jetzt beurteilen, in unserem fünften Jahr. Durchschnittlich können wir pro Jahr etwa ein Drittel unserer Bewohner in ein selbständiges Leben führen, das heißt, dass sie bei uns ausziehen und eine feste Ausbildungsstelle auf dem Arbeitsmarkt haben. Im besten Fall verlassen sie das Hilfesystem der Eingliederungshilfe dann komplett oder sie werden noch eine Zeitlang niederschwellig in der eigenen Wohnung von uns betreut.
Haben Sie konkrete Zahlen dazu?
Ja. Wir haben 24 junge Erwachsene im Alter von 18 bis 27 Jahre bei uns. Im Jahr 2019 haben sechs eine Ausbildungsstelle bekommen und einer hat das Abitur gemacht. Im Jahr 2020 war es aufgrund von Corona nicht möglich, überhaupt Praktikumsstellen zu finden. Im Jahr 2021 gelang es zwei Bewohner eine Ausbildung zu beginnen; auch dies noch pandemiebedingt. In diesem Jahr haben bis heute bereits sieben unserer Bewohner eine Stelle für eine Ausbildung gefunden und ein junger Mann wird sein Studium an der Uni Konstanz aufnehmen. Der Schnitt ein Drittel von 24 scheint sich zu etablieren und darüber sind wir sehr glücklich.
Die Erkrankungen Ihrer Bewohner reichen von Depressionen, Persönlichkeitsstörungen, Angst- und Zwangsstörungen, Medienabhängigkeit bis hin zu Psychosen. Wie lange dauert es durchschnittlich, bis sie so gefestigt sind, dass sie einen Arbeitsalltag bewältigen können?
Wir versuchen es prinzipiell erst einmal mit einer Aufenthaltsdauer von zwei Jahren. Wenn jedoch jemand länger auf seinem Weg braucht, dann kann er auch drei Jahre bei uns bleiben. Abhängig ist die Dauer, so hat es sich bisher gezeigt, ob jemand schon Vorkenntnisse in einem Berufsleben und eine allgemeine Struktur kennengelernt hat. Denjenigen, die da bereits Erfahrungen mitbringen, gelingt es in der Regel schneller wieder eine Struktur in ihr Leben zu bekommen.
Und inwieweit können Ihre Bewohner trotz der psychischen Belastung Ihren Praktikumstag zu bewältigen?
Einen sechsstündigen Tag im Arbeitstraining zu bewältigen, gelingt vielen relativ schnell. Auch das ist individuell sehr unterschiedlich. Schließlich gewöhnt sich jeder nach seinem eigenen Tempo bei uns ein. Zunächst geht es erst einmal darum, sich nicht länger mit seiner Erkrankung zu identifizieren, sondern sich stattdessen von ihr zu lösen und die gesunden Anteile zu stärken. Prinzipiell ist es in diesem geschützten Rahmen relativ schnell möglich, an Selbstvertrauen zu gewinnen. Und auch hier merken wir wieder, dass nicht die Art der Erkrankung für eine Weiterentwicklung maßgebend ist, sondern vielmehr die vorhandene Vorerfahrung, an die wir anknüpfen können, sowie die Bereitschaft, sich auf das „normale“ Leben einzulassen.
Inwieweit steuern Sie die Ausbildung, damit Sie die jungen Menschen in diejenigen Berufe vermitteln, wo der Fachkräftemangel und somit ihre Chancen am Arbeitsmarkt am größte sind?
Das tun wir nicht. In erster Linie geht es darum, den Menschen Selbstvertrauen zu geben, sie zu motivieren, dass sie sich wieder was zutrauen und eine Idee davon zu bekommen: Was kann denn für mich eine berufliche Richtung sein? Wo habe ich nicht nur Ressourcen, sondern auch, was macht mir Spaß und wo kann ich auch meine persönlichen Werte wiederfinden? Letzteres spielt für die Berufswahl eine immer größer werdende Rolle.
Und dazu dienen dann gegebenenfalls unterschiedliche Praktika?
Richtig. Der Fachkräftemangel, so sehr wir hier im Haus auch darunter leiden, kommt im Übrigen Menschen mit seelischer Beeinträchtigung zugute, denn sie haben aktuell größere Chancen auf dem Arbeitsmarkt.
Viele Firmen und vor allem soziale und medizinische Einrichtungen beklagen einen Fachkräftemangel. Ist das Impulshaus also auch davon betroffen?
Ja, in der Tat sind wir – wie viele soziale Einrichtungen – sogar stark davon betroffen. Selbst bei der aktiven Suche über Anzeigen finden sich kaum geeignete Menschen.
In welchem Bereich ist es besonders schwierig Stellen zu besetzen?
Bei uns ist es vor allem schwierig Mitarbeiter für das Betreuungsteam der Wohngruppen zu finden: Heilerziehungspfleger, Jugend- und Heimerzieher und Sozialpädagogen.
Worauf schließen Sie das?
Das ist schon lange so, dass es da einen Mangel gibt. Bei uns in der Region ist das durch die Nähe zur Schweiz noch einmal ein größeres Thema, da die Bezahlung dort einfach eine ganz andere ist. Hinzu kommt aktuell die einrichtungsbezogene Impfpflicht, die manche abschreckt in diese Berufe zu gehen oder sie verlassen diese. Auch hört man gerade von den beruflichen Schulen von Einbrüchen der Auszubildendenzahlen.
Wie ist Ihr Netzwerk zu Partnerfirmen aufgestellt, die Praktikumsplätze anbieten?
Um unsere Bewohner zügig in Ausbildungen vermittelt zu bekommen, sind Partnerfirmen absolut wichtig. In Engen gelingt es uns mittlerweile gut, wir haben da schon ein kleines Netzwerk. Wir bereiten unsere Bewohner in unserem internen Arbeitstraining im Gästehaus gut auf die Praktika vor und begleiten sie gegebenenfalls in die Firmen, auch während des Praktikums, sowie der Ausbildung. Wir freuen uns über jeden, der sich bei uns meldet und eine Praktikumsstelle anbietet, vor allem im Handwerk. In diesem Jahr haben wir Bewohner in die Ausbildung als Schreiner, Gärtner, Koch, Bäcker, Büro- und Speditionskauffrau vermittelt.
Letztendlich ist das ja eine Win-Win-Situation. In welchem Umkreis dürfen sich Firmen bei Ihnen melden?
Aus dem gesamten Landkreis Konstanz. Die Einsatzorte sollten mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreicht werden können.