„Jugendliche interessieren sich nicht für Politik“, dieses Vorurteil ist immer wieder zu hören. In Engen ist das allerdings anders: Was machen Landtags- und Bundestags-Abgeordnete eigentlich den ganzen Tag und was bewegen sie für junge Menschen? Das wollten Jugendliche aus Engen wissen und haben ihre Politikvertreter eingeladen – allerdings keine Antwort erhalten.
Nach einem erfolgreichen Workshop zur politischen Bildung vor zwei Jahren plante der Jugendgemeinderat (JGR) Engen eine Fortsetzung in 2023. Dabei werden Politiker aus dem Bundes- und Landtag eingeladen, um mit den Jugendlichen über ein Thema zu diskutieren, aufzuklären und Fragen zu beantworten. Eigentlich. Doch dann musste die Veranstaltung aufgrund mangelnder Resonanz der angefragten Politiker gestrichen werden.
Eine Absage wäre nett gewesen
„Ich weiß, dass Politiker viele Termine haben. Wenigstens eine Absage wäre aber schon nett gewesen“, erklärt die Vorsitzende des JGR Alexa Stärk. Der SÜDKURIER hat bei den angefragten Politikern nachgehakt, weshalb sie den Engener Jugendgemeinderat in der Warteschleife hängen ließen.

Nicht einmal die Hälfte der Politiker
Das Thema für den Workshop 2023 stand schon fest: Bildung. Der Plan sah vor, mehrere Politiker auf die Bühne zu holen und einen Austausch zwischen Jugendlichen und den Akteuren zu schaffen. Im vergangenen Workshop habe sich herausgestellt, dass viele Jugendliche Fragen zum Thema Bildung hatten. Diese hätten allerdings nicht zur Diskussion gepasst. Deshalb habe der JGR diesmal Politiker aus dem entsprechenden Ausschuss Kultus, Jugend und Sport angefragt, so Alexa Stärk.
Von elf angefragten Politikern aus verschiedenen Parteien erhielt der JGR nur von fünf überhaupt eine Antwort: Eine Zusage von Landtagsmitglied Nikolai Reith (FDP) aus dem Wahlkreis Tuttlingen-Donaueschingen und vier Absagen von den Landtagsmitgliedern Dorothea Wehinger (Grüne) aus dem Wahlkreis Singen, Alena Finktrauschel (FDP) aus dem Wahlkreis Ettlingen, Matthias Miller (CDU) aus dem Wahlkreis Böblingen und Bundestagsabgeordnete Anja Reinalter (Grüne) aus dem Wahlkreis Biberach.
Schuld an den Absagen sei Zeitmangel gewesen, die Politiker hätten den Workshop aber gerne unterstützt. Von den anderen sechs Politikern sei gar keine Antwort gekommen, so Stärk.

Das sind die Gründe für das Schweigen
Der SÜDKURIER hat den Politikern, die dem JGR nicht geantwortet haben, auf den Zahn gefühlt. Auf Anfrage äußert sich Bundestagsabgeordnete Lina Seitzl (SDP) aus dem Wahlkreis Konstanz. „Die fehlende Rückmeldung aus meinem Büro im September bedauere ich sehr. Leider blieb die Anfrage aufgrund eines Missverständnisses im Team bei der Übergabe zwischen Krankheit und Urlaub unbeantwortet. So was darf trotz aller Umstände nicht passieren“, begründet die Politikerin.

Nicole Gohlke (Die Linke) aus dem Wahlkreis München-West/Mitte erläutert, die Anfrage sei gar nicht erst bis zu ihr vorgedrungen: „Die IT-Sicherheitsvorkehrungen des Deutschen Bundestages sind bisweilen dafür verantwortlich, dass manche E-Mails von außen direkt im Junk landen oder gar nicht durchkommen.“ Auch die Hektik des Arbeitsalltages im Parlament lasse mal eine Mail unbeantwortet. Dies sollte im Idealfall aber nicht passieren. „Mein Team und ich sind stets bemüht darum, alle Anfragen gewissenhaft zu beantworten.“
Stephan Seiter (FDP) aus dem Wahlkreis Waiblingen erklärt: „Der angefragte Zeitraum war von zwei eng getakteten Sitzungswochen in Berlin bestimmt und hätte für mich aus logistischen Gründen keine Teilnahme zugelassen.“ Das Interesse für den Austausch mit Jugendräten sei aber stets da. Er würde sich über eine weitere Gelegenheit zum Austausch sehr freuen.
Und was sagt der Rest? Hier erging es dem SÜDKURIER nicht anders als dem Engener Jugendgemeinderat. Auf Nachfrage bei Daniela Ludwig (CSU) aus dem Wahlkreis Rosenheim, Hans-Peter Hörner (AfD) aus dem Wahlkreis Balingen und Nicole Höchst (AfD) aus dem Wahlkreis Kreuznach erhielt die Singener Lokalredaktion keine Antwort.
Politikverdrossenheit bei Jugendlichen?
Dass Politik bei Jugendliche aber durchaus eine interessante Thematik ist, steht auch bei den Politikern außer Frage. „Im Austausch mit Jugendlichen mache ich durchweg die Erfahrung, dass junge Menschen sehr politisch sind. Sie wollen mitdiskutieren, mitgestalten und Politik verstehen“, erläutert Seitzl. Für die Demokratie sei es wichtig, dass sie bereits als Jugendliche erleben und lernen, konstruktiv zu diskutieren und verschiedene Meinungen zu akzeptieren.
„Als Bundestagsabgeordnete möchte ich jungen Menschen einen Einblick in meinen politischen Alltag und in die Abläufe unseres Parlaments ermöglichen,“ so Seitzl. So werde sie jährlich von Schulklassen aus dem ganzen Landkreis Konstanz im Deutschen Bundestag besucht.
2022 war die Resonanz deutlich größer
Bereits 2022 veranstaltete der damalige Jugendgemeinderat zum Thema Digitalisierung einen Workshop, bei dem die Jugendlichen in einer Plenumsdiskussion Fragen zu der Thematik an die Politiker stellen konnten. „Der Workshop kam super an, deswegen wollten wir ihn unbedingt noch einmal anbieten,“ sagt Alexa Stärk.
Damals sei die Resonanz der Politiker deutlich besser gewesen, sagt sie. Der JGR habe damals einen Zeitraum vorgegeben und die Politiker sollten Rückmeldung geben, an welchen Tagen sie die Veranstaltung einplanen können. Der Termin mit den meisten Zusagen und Übereinstimmungen sei schließlich genommen worden, so Stärk.
Wie es jetzt weitergehen soll
Dieses Jahr sei ein weiterer Anlauf für einen Workshop geplant. Dabei sollen diesmal die Sitzungswochen berücksichtigt werden, die für eventuelle Absagen sorgen könnten. Um auch interessierte Schüler von möglichen Klausurenphasen zu entlasten, solle der Termin Anfang des Schuljahres auf Ende September angepeilt werden.