Damit war nicht zu rechnen gewesen. Bei einem Besuch im Schloss Seeheim am Konstanzer Hörnle, berichtete der Besitzer, Eberhard Teufel, von einem Garagenfund mit Briefen, Büchern und Dokumenten wie Zeitungsberichte, den umstrittenen Vorbesitzer des Anwesens betreffend: Wilhelm von Scholz (1874-1969).

Der einst berühmte Dichter, der schon als Schüler des Suso-Gymnasiums mit seiner Lyrik für Aufsehen sorgte, dessen Theaterstück „Wettlauf mit dem Schatten“ (1922) ein Welterfolg war und der 1926 Präsident der Sektion Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste wurde, neben Thomas und Heinrich Mann saß, erklärte 1933 seine Loyalität zum „Dritten Reich“.

Bild 1: 100 Jahre nach seinem Welterfolg ist er nahezu vergessen: Wie der „Nazidichter“ Wilhelm von Scholz seinen Lebensabend in Konstanz verbrachte

Bis an dessen Ende ließ Scholz jede Distanz zum Nationalsozialismus vermissen. Damit war der Sohn von Adolf Scholz, des letzten preußischen Finanzministers unter Bismarck, im Nachkriegsdeutschland nicht mehr verhandelbar. Damit hatte er auch die Aufnahme in den literarischen Kanon verwirkt.

Wobei dieser Selbstverrat des humanistisch erzogenen Dichters, der mit dem parabelhaften Stück „Der Jude von Konstanz“ (1905) ein philosemitisches Bekenntnis ablegte, zweifellos auch für Glanz und Elend des Bürgertums steht, ja, für die Pathologie der Intelligenz im 20. Jahrhundert.

Wilhelm von Scholz
Wilhelm von Scholz

Um den „Nazidichter“ Scholz wurde zuletzt vor gut zehn Jahren eine heftige Debatte geführt, nachdem öffentlich wurde, dass das Familiengrab auf dem Allmannsdorfer Friedhof plattgemacht werden sollte. Nach langem Hin und Her – der Bagger war wohl schon bestellt – erklärte die Denkmalschutzbehörde in Freiburg das Grab zu einem Denk- beziehungsweise Mahnmal.

Einige Bürger der Stadt hatten sich nach Freiburg gewandt, um das Grab zu erhalten. Die Stadt Konstanz unter Oberbürgermeister Horst Frank, der sich vehement für die Abräumung eingesetzt hatte, wurde zur Pflege der etwas anderen Erinnerungsstätte verpflichtet. Aber immerhin: 2011 entschied sich der Gemeinderat für die Namensänderung des Wilhelm-von-Scholz-Weges in „Zur Therme“.

Der Grabstein von Wilhelm von Scholz und seiner Frau Gertie in Allmannsdorf.
Der Grabstein von Wilhelm von Scholz und seiner Frau Gertie in Allmannsdorf. | Bild: Kopitzki, Siegmund

Was ist in der Kiste aus dem Schloss Seeheim?

Der Garagenfund ist nicht spektakulär, interessant auf jeden Fall. Das Gros des Nachlasses von Scholz liegt übrigens im Literaturarchiv Marbach/Neckar und im Archiv der Stadt Konstanz (mehr als 20 laufende Meter). Die rund 100 Briefe und Karten, die von Scholz oder von seiner Frau Gertie in einer schweren, handgefertigten Truhe deponiert wurden, gelten Wilhelm von Scholz, der am 15. Juli 1959 seinen 85. Geburtstag feierte.

Fünf der sechs Bücher, darunter eine „Chronik des deutsch-französischen Krieges 1870“ (Berlin, 1870) gehörten wohl zum Inventar von Adolf von Scholz. Das sechste Buch, das sich in der in Blech eingefassten Holztruhe befand, „Fahrten. Ein Wanderbuch“ (1925), stammt aus der Feder von Scholz. Der antiquarische Wert der Bücher ist überschaubar…

In dieser Kiste lagerten die Briefe, Bücher und Zeitungsausschnitte, die der Besitzer des Schlosses Seeheim, Eberhard Teufel, in der ...
In dieser Kiste lagerten die Briefe, Bücher und Zeitungsausschnitte, die der Besitzer des Schlosses Seeheim, Eberhard Teufel, in der Garage des Nebenhauses gefunden hat. | Bild: Kopitzki, Siegmund

Die Briefe, darunter viele mit Konstanzer Absender, aber auch aus der gesamten Republik, ja selbst aus Südafrika, sind zunächst durch die Hände von Gerti von Scholz gegangen, der zweiten Frau des Dichters. Auf den Umschlägen notierte sie, ob neben den Glückwünschen auch ein Geschenk mitgeliefert wurde. Das war eher selten der Fall, folgt man den Einträgen.

Von Blumensträußen und Knabbergebäck

Auf dem Umschlag des Ulmer Ehepaars Vogt notiert Gerti mit rotem Kuli „Käsegebäck“. „Nelkenstrauß u. Kuchen“ vermerkt sie auf dem Schreiben von Sofie Rössler aus Konstanz. Etliche freundliche Absender verschickten neben dem Anschrieb nur Blumen: „drei wertvolle Orchideen“ steht auf dem Brief, der Scholz aus der nahen Eichhornstraße erreichte.

Auf das Schreiben des Rektors der Georg-August-Universität zu Göttingen krakelt Gerti mit grünem Kuli „gr. roter Nelkenstrauß“, auf das des Paul List Verlags „wunderhübscher Biedermeier-Korb m. Rosen“. Und im Auftrag der Familien Dr. Büdingen von Lobenstein wurde dem nunmehr 85-jährigen Scholz ein „gr. Gladiolenstrauß“ überreicht.

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Während Dr. Julius Kühn aus Thüringen seinem Schreiben, wie wir auch von Gerti erfahren, „3 Gedichte von Walt Whitman“ beilegte , die er aus dem Amerikanischen übersetzt hatte. Dr. Kühn outet sich in dem handschriftlichen Brief als einer der „ältesten Anhänger“ von Scholz.

Gerne wäre er persönlich im Seeheim erschienen, aber die Passbestimmungen, schreibt er, hätten es nicht zu gelassen. Ein deutlicher Hinweis auf das damals „geteilte“ Deutschland. Kühn ist im Übrigen nicht der einzige, der gerne an den See gekommen wäre, um Scholz persönlich zu gratulieren.

Stadt Konstanz lud zum festlichen Empfang

Wobei sich der eine oder andere Absender herausredet, wie etwa der damalige Direktor des Psychiatrischen Landeskrankenhauses Reichenau/Konstanz: „Wenn ich nicht wüsste, wie sehr Sie diesem Tage mit Begrüssungen und Empfängen gesegnet sind, hätte ich es mir nicht nehmen lassen, schnell zu ihnen rauszukommen.“ So geht das…

Die Stadt Konstanz hatte zu einem Empfang eingeladen, aber der städtische Rummel, der um den „Dichter und Denker“ (ein Gratulant aus Radolfzell) 1959 veranstaltet wurde, hält keinen Vergleich zum 50. Geburtstag von Scholz stand.

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Im heißen Sommer 1924 wurde der „Sohn der Stadt“ eine ganze Woche lang gefeiert, ein Jahr darauf wurde die Straße nach ihm benannt. Später stifteten die Stadtväter dem Dichter einen Wilhelm-von-Scholz-Schulpreis, der in den 1980er-Jahren allerdings abgeschafft wurde. Das erlebte Scholz nicht mehr.

Glückwünsche samt Rhetorik von Vorgestern

Es gibt unter den Geburtstagsbriefen auch Kuriosita. Dazu zählt das Schreiben aus dem Verkehrsamt der Stadt: „Als leuchtendes Beispiel deutschen Geistes ragt Ihr dichterischen und dramatisches Werk in die leider leicht vergessliche Gegenwart hinein und es wurde geistiger Besitz des gesamten deutschen Volkes und ein Bestandteil deutscher Kultur“. Was das ist? Schon 1959 eine Rhetorik von Vorgestern.

Oder das Schreiben der Direktion der Deutschen Bank, Filiale Konstanz, „rosa Nelken“ notiert dazu Gerti. „Wir versichern Ihnen hiermit nichts zu unterlassen, um Sie auch in Zukunft prompt und nach besten Kräften zu beraten und zu bedienen. Mit vorzüglicher Hochachtung…“.

Der von Scholz-Gattin Gerti beschriftete Umschlag der Deutschen Bank.
Der von Scholz-Gattin Gerti beschriftete Umschlag der Deutschen Bank. | Bild: Kopitzki, Siegmund

Wahr ist: Dass Scholz, der im „Dritten Reich“ hochdotierte Literarturpreise kassierte, sich in einer permanenten finanziellen Krise befand, Grund verkaufen musste, am Schluss war er pleite, Frau Gerti verkloppte das Tafelsilber, um ihre Gesundheitskosten zu bezahlen.

Nur wenige Kollegen gratulieren zum Geburtstag

Auffallend an dem Fund ist, dass zwar Buch- und Zeitungsverlage, aber nur eine überschaubare Zahl von Schriftsteller-Kollegen auf den Geburtstag von Scholz reagierten. Moritz Lederer, damals in Meersburg lebend, gehört dazu, er widmet Scholz ein Gedicht. Der Meßkircher Philosoph Martin Heidegger sandte ein eitles Kärtchen mit seinem Porträt.

Ein längeres Schreiben erhielt das Geburtstagskind von Will Vesper, über den Thomas Mann sagte, dass dieser „schon immer einer der ärgsten nationalsozialistischen Narren“ gewesen sei. Leider konnte ich die flotte Handschrift nicht entziffern. Es könnte sich aber um ein langes Gedicht handeln, das er Wilhelm und Gerti von Scholz zueignete.

Das Schreiben von Will Vesper an Wilhelm von Scholz.
Das Schreiben von Will Vesper an Wilhelm von Scholz. | Bild: Kopitzki, Siegmund

Eine alte Schellack-Platte mit Lesungen von Scholz gehört noch zum Fund, alte und neue Lage- und Baupläne vom Schloss Seeheim, Kopien einiger Scholz-Schriften, ein Bodensee-Heft vom Juli 1974, in dem der Dichter gefeiert wird („Das grosse künstlerische Werk in seiner Gesamtheit ist längst noch nicht voll ausgeschöpft“) und Zeitungsausschnitte, die ihm der Argus-Dienst lieferte. Er hat noch in den 1950er-Jahren Abnehmer seiner kruden Prosa gefunden. Das Brot der späten Jahre.

Was tun mit dem Fund? Er wandert, selbstverständlich, ins Archiv der Stadt Konstanz. Dort kann, wer will, alles nachschauen…

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