Es waren schlimme Vorwürfe, die Staatsanwalt Andreas Mathy im Sitzungssaal des Konstanzer Amtsgerichts aus seiner Akte vorlas: Der angeklagte 66-Jährige aus einem Vorort von Konstanz soll im Herbst 2011 in mehreren Fällen zwei damals 15-Jährige aus schwierigen sozialen Verhältnissen in seinem Haus mit Alkohol, Zigaretten und Drogen versorgt und anschließend sexuell missbraucht haben.
Am Ende der Verhandlung folgt für den Angeklagten eine zweijährige Freiheitsstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt wird. Zum Prozess war es erst jetzt gekommen, da eines der Opfer laut dessen Aussage aus Scham bis 2016 nicht in der Lage gewesen sei, sich zur Anzeige gegen seinen Peiniger durchzuringen.
SÜDKURIER-Artikel als Ermutigung zur Anzeige
Ein Artikel im SÜDKURIER über die Hausdurchsuchung und weitere sexuelle Missbräuche haben ihn schließlich dazu ermutigt. Er wolle die traumatischen Geschehnisse juristisch zu einem Ende bringen, erklärte er im Anschluss an die Verhandlung. Bei der Verkündung des Urteils saß er wenige Meter neben seinem Peiniger, der sein Vertrauen 2011 als Heranwachsender gnadenlos ausgenutzt hatte. Ein zweites Opfer war als Zeuge geladen, erschien aber nicht.
Der Täter als Vaterfigur
Der Angeklagte, so der Staatsanwalt, habe sein Domizil nur wenige Autominuten von Konstanz als Wohlfühloase tituliert, damit die späteren Opfer gerne zu ihm kämen. Eine ermittelnde Beamtin der Kriminalpolizei sagte im Zeugenstand: „Das Opfer war im Punkermilieu im Herosé-Park beheimatet. Der Angeklagte war für ihn wie eine Vaterfigur, weil er sich um ihn kümmerte und immer hilfsbereit war.“ Das Opfer kommt nach eigenen Angaben aus geordneten Familienverhältnissen. Er habe zudem vieles unternommen mit den Jugendlichen. „Ausflüge, Ausfahrten mit Motorboot, Pizza essen, es herrschte ein Vertrauensverhältnis“, beschreibt die Ermittlerin.
Aufforderung zu sexuellen Handlungen
Ein Vertrauensverhältnis, das der Angeklagte laut der Schilderung für seine sexuellen Phantasien nutzte. „Er machte die Opfer unter Ausnutzung ihrer jugendlichen Naivität mit Morphium und Alkohol sexuell gefügig.“ Dabei habe er sie auch zum wechselseitigen Oralsex aufgefordert, die jugendlichen Opfer ließen sich laut der Schilderung des Staatsanwalts darauf ein.
„Das ist nicht schwul. Das ist ok.“
Hinterher habe der heute 66-Jährige die Handlungen heruntergespielt und verharmlost, in dem er sagte: „Das hat nichts mit schwul zu tun, das ist alles ok.“ Die Beamtin wunderte sich nicht, dass der Angeklagte den Jugendlichen reichlich Geschenke machte und ihnen im Haus ein vordergründig schönes Leben ermöglichte: „Das ist bei Pädophilen oft so“, sagte sie.
Sie bezeichneten sich als Freunde der Kinder, um leichter an sie herankommen zu können. „Und so halten die Kinder hinterher auch dicht,“ führte die Beamtin aus. Der Angeklagte engagierte sich viele Jahre für Problemjugendliche und Obdachlose, was durch das Gericht positiv vermerkt wurde.
Pornografische Bilder von kleinen Kindern
Im Herbst 2017 fanden Beamte im Rahmen einer Hausdurchsuchung bei ihm auf einer Speicherkarte und einem Handy selbst gemachte kinderpornografische Bilder, die fünf- bis achtjährige Jungen in aufreizenden Posen zeigten. „Der Fokus der Bilder lag hierbei auf den Geschlechtsteilen der Kinder“, so Staatsanwalt Andreas Mathy. Der Angeklagte wollte keine Angaben zu den Vorwürfen machen. Nur so viel: „Ja, ich räume es ein.“
Herzinfarkte und Brustschmerzen
Er klagte im Gerichtssaal über akute Atemprobleme, sein Anwalt Gerhard Zahner berichtete von mehreren Herzinfarkten in den vergangenen Jahren und akuten Brust- und Armschmerzen. Der 66-Jährige saß während des gesamten Prozesses in sich zusammengekauert und schwer atmend auf der Anklagebank.
Die Begründung des Richters
Der Mann erhielt vom Vorsitzenden Richter Christian Brase eine zweijährige Freiheitsstrafe auf Bewährung. Darüber hinaus muss er dem Opfer über drei Jahre monatlich 50 Euro als Wiedergutmachung überweisen. Die schwere Herzerkrankung, seine nicht vorhandenen Vorstrafen sowie das vollumfängliche Geständnis, aufgrund dessen dem Opfer eine Aussage erspart blieb, rechnete Brase dem Angeklagten positiv an.
Zum Nachteil für den Angeklagten bewertete er die Tatsache, dass der Angeklagte die nicht vorhandenen sexuellen Erfahrungen der Jugendlichen ausgenutzt habe, die Opfer unter psychischen Folgen litten und dem gegenüber nur kurze sexuelle Befriedigung des Angeklagten stehe. Neben seiner zweijährigen Bewährungsstrafe, wurde zudem angeordnet, dass sich Angeklagte in Therapie begeben muss, um seine sexuellen Neigungen in den Griff zu bekommen.
Der junge Mann, der Anzeige erstattet hatte, sagte nach der Verhandlung: „Das ist ein Gefühl von aufkommender Kälte und Wut.“ Er leide nach wie vor unter den Folgen des Missbrauchs, hatte Magersucht, verletzte sich selbst, verbrachte einige Zeit in Kliniken. Nun möchte er sich in weitere psychische Behandlung begeben und die traumatischen Erlebnisse aufarbeiten.