Der ungewöhnliche Doppel-Freiton im Telefon signalisiert, dass der Angerufene im fernen Ausland sitzen muss. In diesem Fall in Nigeria. Irgendwann meldet sich Alhaja Medinat Balogun. „Lukmann geht es nicht gut“, sagt sie. „Er hat eine Depression. Er ist so traurig.“

Zuhause. Das ist eigentlich Konstanz

Ihr Bruder sei jetzt im Krankenhaus, aber später zuhause. Zuhause. Ein Wort, das Lukmann Lawall eigentlich in Konstanz verankert hat. Hier, in der Stadt am Bodensee, fühlt er sich wohl. Hier hat er Arbeit, einen Freundeskreis, in der Friedrichstraße ein Zimmer. Hier ist er zuhause. Nicht mehr in Nigeria.

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Doch sein Befinden interessiert nicht. Deutschland will ihn nicht mehr. Im März erhielt der Flüchtling den negativen Bescheid, seit April war er ausreisepflichtig. Da er hoffte, alles würde sich zum Guten wenden, lebte und arbeitete er so weiter, wie er es schon drei Jahre lang machte. Bis zur Abschiebung vor einer Woche.

„Ich habe Todesangst“

Später am Abend ruft er an. „Ich fühle mich bedroht“, sagt er. „In Nigeria kann ich nicht frei leben, ich habe Todesangst.“ Nicht, weil er etwas verbrochen hat, sondern weil er ein zurückgekehrter Flüchtling ist. Boko Haram habe bereits seine Eltern und Brüder ermordet.

20.000 Menschen getötet

Die islamistische Terrorgruppe kämpft seit 2009 gewaltsam für die Errichtung eines islamischen Gottesstaats im Nordosten Nigerias. In dem Konflikt wurden bisher mindestens 20.000 Menschen getötet und 2,6 Millionen in die Flucht getrieben.

„Meine Religion ist Liebe“

„Wegen Boko Haram bin ich nach Deutschland geflohen. Sie töten im Namen des Islam. Meine Religion ist Liebe“, sagt Lukmann Lawall. „Bei euch muss ich keine Angst haben, getötet zu werden. Hier kann ich vor Angst nicht schlafen. Ich will wieder nach Hause.“ Derzeit lebt er bei seiner Schwester in Lagos im Südwesten des Landes, hier ist es etwas sicherer.

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Lawall berichtet von seiner Abschiebung: Vor zehn Tagen sei er von Beamten aus seiner Wohnung gewaltsam mitgenommen und dem Amtsgericht vorgeführt worden. Hier erfuhr er, dass er nicht mehr bleiben darf, dass er das Land verlassen muss.

„Kein Gefängnis. Eher ein Camp“

„Danach wurde ich in eine Stadt zwischen Stuttgart und Karlsruhe gebracht“, erzählt er. „Dort wurde ich in ein Zimmer eingesperrt. Das war kein Gefängnis, eher ein Camp.“ Die Leute seien freundlich zu ihm gewesen. Am frühen Montagmorgen wurde er geweckt und an den Flughafen gebracht.

Plötzlich wurde die Abschiebung real

„Da wurde es real, dass ich zurück muss nach Nigeria.“ Lukmann Lawall wurde direkt aufs Rollfeld gebracht und stieg ins Flugzeug ein – eine Linienmaschine, die über Amsterdam nach Lagos flog. „Drei Polizisten waren immer bei mir“, sagt er.

Lukmann Lawall in der Wohnung seiner Schwester.
Lukmann Lawall in der Wohnung seiner Schwester. | Bild: privat

Lukmann Lawall ging in Lagos sofort ins Krankenhaus. Schon in Deutschland ging es ihm nicht gut, die letzten Tage war er krankgeschrieben wegen einer schweren Erkältung. Nun kam auch noch Existenzangst hinzu.

„Er hat sich in Deutschland so wohl gefühlt“

Er ging zu seiner Schwester, die ihn aufnahm. „Ich hätte niemals gedacht, dass er auf diesem Weg zurückkehrt“, sagt die Schwester. „Er hat sich in Deutschland so wohl gefühlt und immer erzählt, wie toll das Leben dort ist. Dort ist mittlerweile seine Heimat.“

Demo für ihn? Lawall bricht in Tränen aus

Als der 33-Jährige erfährt, dass am Montag eine Demonstration gegen seine und andere drohende Abschiebungen stattfindet, bricht er in Tränen aus. Mit zitternder Stimme sagt er: „Danke. Ich möchte nur zurückkommen und mich bei allen bedanken. Ich möchte für Manfred Hölzl im Konzil arbeiten. Manfred ist ein guter Mensch. Danke für alles.“

Nachrichten, aus denen Verzweiflung spricht

Nach den Telefon-Gesprächen schickt er unserer Redaktion immer wieder Nachrichten aufs Handy. Nachrichten, aus denen pure Verzweiflung spricht: „Bitte holt mich hier raus. Bitte helft mir. Ich bin kein Krimineller. Ich möchte nur für meinen Chef Manfred arbeiten.“

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Stadträtin Dorothee Jacobs-Krahnen (Freie Grüne Liste) schrieb im Namen einiger Ratskollegen einen offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel, Ministerpräsident Winfried Kretschmann sowie die Abgeordneten des Wahlkreises. Darin heißt es unter anderem: „Sie mögen sagen, das Boot ist voll. Wir finden, das ist es nicht. Deutschland wirbt im Ausland um Arbeitskräfte, gleichzeitig werden bestens eingearbeitete Arbeitskräfte abgeschoben ... Herr Ministerpräsident, wie können Sie das verantworten, dass Menschen nun einem ungewissen Schicksal überlassen werden, die in Deutschland eine neue Heimat gefunden hätten? Deutschland stellt sich gerne als offen, fremdenfreundlich, multikulturell dar. Nur Marketing?“ Und weiter: „Herr Ministerpräsident, holen Sie Lukmann Lawall wieder an seinen Arbeitsplatz und zu seinem Freundeskreis zurück und ändern Sie die Gesetze.“