Willi Braunbarth ist mit seinem Traktor zum Vor-Ort-Termin gekommen. Er stellt das mächtige Gefährt auf der von ihm gepachteten Wiese ab, wo er hunderte von Samen gesät hat und die vielen Tierarten als Heimat dient.

Mit ihm sind zehn weitere Bürgerinnen und Bürger von Oberdorf gekommen. Sie sind empört, weil genau diese Wiese im Gespräch für einen Solarpark ist. Zumindest ist sie Bestandteil der Diskussion um den Regionalplan Hochrhein-Bodensee, bei dem Flächen gesucht wurden, die sich für Freiflächen-Photovoltaik- und Windkraftanlagen eignen.

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„Wenn hier ein Solarpark hinkommt, ist das eine massive Bedrohung für das einzigartige Landschaftsbild in Oberdorf“, sagt Anwohnerin Salome Haas. „Denn die Module sind höher als die Gabel des Baggers und würden ziemlich dicht vor unserer Haustür stehen.“

Sie hat sich mit anderen Nachbarn zusammengetan und die Bürgerinitiative „Natur statt Solarpark Oberdorf“ gegründet. Innerhalb weniger Tage sammelten sie über 125 Unterschriften – dabei leben in Oberdorf nur 299 Bürger, davon 200 Wahlberechtigte.

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„Wir Einwohner von Oberdorf stehen geschlossen zusammen, wenn es darum geht, unseren idyllischen Ort am Bodensee zu bewahren“, schrieben sie an Oberbürgermeister Uli Burchardt, Ortschafts- und Stadträte. Denn auf der Wiese hätten sich Tierarten wie Milane, Störche und Falken angesiedelt, abends seien dort Rehe und Hasen unterwegs.

Angst vor „schlaflosen Saunanächten“

Sie führen noch weitere Argumente gegen die Anlage an: Unter anderem würden Solarparks die lokale Temperatur erhöhen. „Hitzewolken, die stoßartig in unsere Schlafzimmer mit kleinsten Windrichtungsänderungen daherkommen, sorgen im Sommer für schlaflose Saunanächte“, fürchten sie.

Vor allem aber sind die Bürger über das Vorgehen der Stadtverwaltung verärgert. „Wir kamen ahnungslos aus dem Sommerurlaub zurück und erfuhren zufällig von den Solarpark-Plänen“, sagt Lucie Risch-Lognoné und ergänzt: „Ich interessiere mich sehr wohl für Kommunalpolitik. Aber wenn ich im Blättle das Stichwort ‚Regionalplan‘ lese, vermute ich dahinter nicht, dass vor meiner Nase eine riesige Anlage gebaut werden könnte.“

Sogar noch höher als die Baggergabel könnten die Solarpaneele werden. Das ärgert (von links): Willi Braunbarth, Stefan Risch, Regina ...
Sogar noch höher als die Baggergabel könnten die Solarpaneele werden. Das ärgert (von links): Willi Braunbarth, Stefan Risch, Regina Gau, Jürgen Roller, Michael Bader, Ulrike Bader, Lea Gloe, Matthias Gloe, Lucie Risch-Lognoné, Dorit Roller und Salome Haas. | Bild: Kirsten Astor

Salome Haas wird noch deutlicher: „Wir Oberdorfer sehen uns als Bauernopfer für Solarthermie. Es ist eine Frechheit, solch eine Wiese in Betracht zu ziehen, wo sonst in Sachen Großflächen-Photovoltaik noch nichts in Konstanz passiert ist. Warum werden dafür nicht zahlreiche andere Orte begutachtet wie die Parkplätze am Klausenhorn in Dingelsdorf, bei der Mainau oder am Döbele?“

Stefan Risch spricht das aus, was viele Oberdorfer denken: „Wir haben alle nichts gegen erneuerbare Energien. Auf vielen unserer Dächer sind schon PV-Anlagen. Aber in diesem Prozess fühlen wir uns übergangen.“

Die Stadtverwaltung versteht die Aufregung nicht. „Aktuell gibt es noch keine konkreten Umsetzungspläne für einen Solarpark“, schreibt Pressesprecherin Anja Fuchs auf Nachfrage. „Die Fläche soll lediglich als Vorranggebiet Freiflächen-PV in der Teilfortschreibung des Regionalplans dargestellt werden, um andere Nutzungen – wie zum Beispiel Siedlungsentwicklung – auszuschließen.“

Einige Bürger von Oberdorf sind entsetzt: Ziemlich dicht vor ihren Häusern könnte eine Freiflächen-Photovoltaikanlage entstehen.
Einige Bürger von Oberdorf sind entsetzt: Ziemlich dicht vor ihren Häusern könnte eine Freiflächen-Photovoltaikanlage entstehen. | Bild: Kirsten Astor

Es gebe weder einen Bebauungsplan noch Baurecht. Derzeit würden für das geplante Nahwärmenetz Dingelsdorf-Wallhausen Flächen gesucht, auf der nachhaltige Energie für die Heizzentrale gewonnen werden kann. Diese soll beim Klausenhorn in Dingelsdorf errichtet werden.

Stadt sagt: „Bürgerbeteiligung gab es durchaus“

Die Stadt wehrt sich auch gegen die Aussage, die Bürger seien damit überfahren worden. Zusätzlich zu zahlreichen öffentlichen Sitzungen städtischer Gremien zu diesem Thema seien die infrage kommende Flächen für Photovoltaik im Amtsblatt vom 21. Oktober 2023 grafisch dargestellt worden.

Wer Einwände hatte, konnte diese kundtun, auf die Fristen habe die Stadt im Amtsblatt hingewiesen. Sollte es zu einer konkreten Planung bei Oberdorf kommen, werde es weitere Beteiligungsmöglichkeiten geben.

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Hitzige Saunanächte erwartet die Verwaltung in Oberdorf ebenfalls nicht, denn Solarpaneele hätten keine nennenswerte Masse, die die Hitze speichern und über längeren Zeitraum abgeben. Im Gegenteil: „Durch die Verschattung der darunterliegenden Wiesenflächen kann die Feuchtigkeit im Boden länger gehalten werden“, so Anja Fuchs. Dies könne eine Verdunstungskühlung sicherstellen.

Auch der Dingelsdorfer Ortsvorsteher Horst Böttinger-Thyssen scheint etwas überrascht zu sein vom Widerstand der Oberdorfer: „Im bisherigen öffentlichen Verfahren kam uns noch kein Unmut zu Ohren“, sagt er dem SÜDKURIER. „So ganz verstehe ich die Ängste nicht, aber wir tauschen uns dazu am Mittwoch, 18. September, 18 bis 19 Uhr, gern nochmal mit den Bürgern aus. Objektive Argumente höre ich mir gern an.“

Dieses Schild in Oberdorf zeigt: Die Singener Firma Solarcomplex möchte ein Nahwärmenetz für Dingelsdorf und Wallhausen erschließen. ...
Dieses Schild in Oberdorf zeigt: Die Singener Firma Solarcomplex möchte ein Nahwärmenetz für Dingelsdorf und Wallhausen erschließen. Dazu braucht sie eine Fläche, auf der die dafür nötige Energie erzeugt werden kann. Unter anderem ist dafür eine Oberdorfer Wiese im Gespräch. | Bild: Kirsten Astor

Sein Stellvertreter Florian Fuchs, Landwirt in Oberdorf, kann die optischen Einwände der Oberdorfer und die emotionale Komponente nachvollziehen, doch er sagt klar: „Wir müssen vorankommen in Sachen erneuerbare Energien. Bevor ein solches Projekt scheitert, müssen wir es auf dieser Fläche machen. Was viele Bürger verkennen: Es ist ein Privileg, wenn ein Ort ein Nahwärmenetz bekommt. Viele andere Gemeinden wünschen sich das, doch die Firmen sind sehr ausgebucht.“

„Bevor ein solches Projekt scheitert, müssen wir es auf dieser Fläche machen“, findet Florian Fuchs vom Fuchshof, stellvertretender ...
„Bevor ein solches Projekt scheitert, müssen wir es auf dieser Fläche machen“, findet Florian Fuchs vom Fuchshof, stellvertretender Ortsvorsteher von Dingelsdorf. | Bild: Hanser, Oliver

Lucie Risch-Lognoné sieht das anders. Verärgert sagt sie: „Uli Burchardt hat gerade ein Buch mit dem Titel ‚Menschenschutzgebiet‘ herausgegeben. Und jetzt knallt er uns so einen Solarpark vor die Nase!“