Die Lage stellt sich für Ärzte und Patienten nicht einfach dar. Seit mehreren Tagen ist eine gängige Praxis auf Eis gelegt, die bisher die Organisation von ärztlichen Notdiensten möglich und handhabbar machte. Worum geht es? In Baden-Württemberg haben grundsätzlich die niedergelassenen Ärzte die Pflicht, die Notfallversorgung sicherzustellen. Die Dienste werden turnusgemäß auf die niedergelassenen Ärzte in einer Stadt oder Gemeinde verteilt.

„Manche Kollegen sind aber fachlich anders qualifiziert, etwa Radiologen, Hautärzte, Psychiater“, erläutert Petra Zantl, Beauftragte für Notfalldienste für Konstanz, Radolfzell und die Höri. Bisher war es möglich, die Notfalldienste an andere Kollegen abzugeben, zum Beispiel an Ärzte in Rente oder sogenannte Poolärzte.

„Die Kassenärztliche Vereinigung ist sehr vorsichtig geworden und zieht abrupt alle Poolärzte zurück“, sagt Petra Zantl.
„Die Kassenärztliche Vereinigung ist sehr vorsichtig geworden und zieht abrupt alle Poolärzte zurück“, sagt Petra Zantl. | Bild: knx kn petra zantl-7382.jpg

Poolärzte haben keine eigene Praxis, sondern die Notdienste zu ihrem Berufsschwerpunkt gemacht. Sie machen nichts anderes als für ihre Kollegen bei Notdiensten einzuspringen. Dabei kommt schnell eine Vollzeitbeschäftigung zustande.

Nun liegt ein Urteil des Bundessozialgerichts vor, das im Prinzip vorschreibt, dass sich Poolärzte in Zukunft sozialversicherungspflichtig anstellen lassen müssen. Das ist so ohne Weiteres nicht möglich, die Kassenärztliche Vereinigung (KV) sagt, dass dies finanziell gar nicht leistbar ist. Bisher waren die Poolärzte auf selbstständiger Basis tätig. Die KV zog die „Notbremse“ und fror die im Moment praktizierte Praxis der Notdienst-Übernahmen ein.

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Was ändert sich dadurch nun in Konstanz?

Was bedeutet das für die Patienten? Für die Konstanzer Patienten ändert sich vorerst nicht viel. Allerdings werden die Öffnungszeiten der Notfallpraxis am Wochenende verkürzt. Sie hat samstags und sonntags nur noch von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Bisher konnten sich Patienten von 9 bis 22 Uhr dort melden.

Wenn die Notfallpraxis geschlossen hat, bedeutet das jedoch nicht, dass Menschen mit einem ernsthaften Gesundheitsproblem ohne ärztliche Hilfe stehen gelassen werden. Zu allen übrigen Zeiten übernimmt die Zentrale Notaufnahme am Klinikum Konstanz die Versorgung. Der nächtliche Fahrdienst, der jede Nacht zwischen Konstanz und Radolfzell unterwegs war, wurde jedoch auf die Hälfte gekürzt.

Notaufnahme wird stärker belastet

Genau so entsteht ein weiteres Problem: Durch die verkürzten Öffnungszeiten der Notfallpraxis wird die Notaufnahme stärker belastet, hat mehr Patienten zu versorgen. Die Verantwortlichen rechnen deshalb damit, dass es dort in nächster Zeit zu längeren Wartezeiten kommt. Ein Schild vor deren Räumen im Klinikum weist darauf hin.

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Petra Zantl, selbst niedergelassene Allgemeinärztin in Konstanz, erläutert, warum es jetzt zu einem solch drastischen Mangel an Ärzten, die den Notdienst versehen, kommt: „Die KV ist jetzt sehr vorsichtig geworden und zieht alle Poolärzte zurück. Sie will nicht riskieren, dass sie sie fest anstellen muss“, sagt Petra Zantl.

Allein in ihrem Dienstbereich Konstanz, Radolfzell, Höri aber würden ein Drittel der Dienste durch Poolärzte besetzt. Diese Dienste fallen nun ohne Übergangsfrist weg. Auch für die Praxisinhaber, die die Dienste bisher delegierten, ist das Vorgehen problematisch. „Sie hatten keine Zeit, sich fortzubilden, um einen Notdienst mit gutem Gefühl selbst zu übernehmen.“

Ein Schild weist auf die Notlage hin: In der Notaufnahme dürfte es zu längeren Wartezeiten kommen, weil die Öffnungszeiten der ...
Ein Schild weist auf die Notlage hin: In der Notaufnahme dürfte es zu längeren Wartezeiten kommen, weil die Öffnungszeiten der Notfallpraxis verkürzt wurden. | Bild: Wagner, Claudia

Poolärztin erklärt, dass sie „defacto arbeitslos“ ist

Existenziell wird es für die Poolärztinnen und -ärzte selbst. Britta Schlötcke ist eine von ihnen, seit Jahren versieht sie als Allgemeinärztin Notdienste im Bereich Radolfzell und Konstanz. Sie beschreibt ihren Arbeitsalltag so: Im Januar 2024 seien 13 Dienste geplant gewesen, das sei etwa der monatliche Durchschnitt.

Ein Dienst bedeutet, dass sie zum Beispiel unter der Woche von 18 Uhr bis 8 Uhr morgens arbeitet, freitags von 16 bis 8 Uhr oder am Wochenende von 9 bis 22 Uhr – so war es jedenfalls bisher. „Bis zum 31. März hatte ich meine Planung gemacht und bin zu diesen Diensten verpflichtet“, erläutert sie. „Nun stehe ich aber vor einer Situation, dass ich defacto arbeitslos bin. Ich darf keine Dienste mehr machen und habe keine Einkünfte.“ Als Selbstständige ist Britta Schlötcke auch nicht in der Arbeitslosenversicherung.

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Die Ärztin ist in dieser Lage verunsichert und enttäuscht. Sie weiß, dass viele Kollegen sehr dankbar waren, dass sie ihnen Dienste abnahm. Und sie hat, wie sie betont, die Arbeit immer gern gemacht, auch wenn sie mit vielen Nachtfahrten zwischen Konstanz und Radolfzell verbunden war. Sie habe mit vielen verschiedenen Menschen zu tun gehabt und Zeit gehabt, sich um die Patienten zu kümmern. Nun aber scheint es ihr, dass mit zweierlei Maß gemessen werde: „Ich bin zum Dienst verpflichtet, aber die andere Seite offenbar nicht.“

Und jetzt? Die Ärztin hat mit diesem abrupten – möglicherweise vorläufigen – Ende ihrer Tätigkeit nicht gerechnet. Im Moment weiß sie nicht, wie es bei ihr weitergeht. „Noch habe ich keine Alternative, aber ich will künftig nicht auf solche Weise zum Spielball von Entscheidungen werden“, sagt sie.