Wenn Charlotte Biskup von ihrer knapp einwöchigen Reise in die Ukraine berichtet, muss sie an einigen Stellen schlucken. Die Hauptamtsleiterin der Stadt Konstanz und ihr Stellvertreter Martin Schröpel waren erstmals zu Besuch in der Stadt Berdytschiw, mit der Konstanz eine Solidaritätspartnerschaft verbindet.
„Wir haben kulturelle Veranstaltungen, eine Schule, verschiedene Fabriken und eine Anlage zur Trinkwassergewinnung besucht“, erzählt Biskup. Doch was ihr und ihrem Kollegen am eindrücklichsten in Erinnerung blieb, sind andere Momente.

„Einmal waren wir auf dem Friedhof“, erzählt Charlotte Biskup. „Die jüngsten Toten sind Jahrgang 2003. Jeder, mit dem wir gesprochen haben, kennt jemanden, der gefallen ist. Am Schlimmsten waren aber die drei bis vier noch leeren Gräber. Denn man weiß, dass sie in den kommenden zehn Tagen belegt sein werden.“
Ähnlich emotional war der Besuch einer Wurstwarenfabrik, wie Martin Schröpel berichtet: „Der Besitzer hat seinen Sohn im Krieg verloren. Er hat uns einen Film gezeigt, von der Geburt seines Sohnes über die Taufe bis kurz vor seinem Tod. Das war ein heftiges Erlebnis.“

Für die Menschen in Berdytschiw geht es nicht um Zahlen, sondern um Gesichter. Auf den Gedenktafeln sind die Toten mit Fotos versehen. „Die Ukrainer wissen, dass sie diesen Krieg gewinnen müssen, und sie glauben auch daran“, sagt Biskup. „Das ist für sie fundamental. Sonst hätte der Verlust so vieler Brüder, Väter und Söhne keinen Sinn.“
Die Ukrainer seien trotz der Trauer sehr gastfreundlich und optimistisch. „Und ich habe selten so überzeugte Europäer gesehen“, sagt die Hauptamtsleiterin. „Überall hängt die Europaflagge und in jeder Rede betonen die Ukrainer: ‚Wir sind ein Teil Europas.‘“ Deshalb ist für Charlotte Biskup klar: „Der Krieg ist eine europäische Frage.“
Den beiden Konstanzer Vertretern wurde vor Ort noch deutlicher, warum es richtig war, die Solidaritätspartnerschaft mit Berdytschiw einzugehen. „Was wir dort tun, ist relevant, das macht sonst niemand“, sagt Charlotte Biskup. Unter anderem spendete Konstanz wichtige Geräte an die ukrainische Stadt.
Es geht nicht nur um Geräte, sondern auch um Wissen
Auch darüber hinaus müsse Konstanz tätig werden, unter anderem mit der Vermittlung von Wissen. „Wir müssen in diese Partnerschaft investieren, nicht nur mit Geld“, sagt Martin Schröpel. Wichtig sei es, beispielsweise Kontakte zwischen der ukrainischen Abwasseraufbereitung (die große Probleme mache) und den Konstanzer Entsorgungsbetrieben herzustellen. Genauso sei eine Verbindung zwischen der dortigen Medizin und den Kliniken Schmieder denkbar.

Auch die besuchte Schule in Berdytschiw habe Wünsche geäußert. „Außerdem würden sie gern eine Konstanzer Partnerschule haben“, erzählt Charlotte Biskup. „Solange Krieg herrscht, kommt es nicht in Frage, dass wir Konstanzer Kinder dorthin schicken, aber andersherum ist das problemlos möglich.“
Der Besuch der Schule in Berdytschiw hinterließ vielfältige Eindrücke. Über der Erde ist die Schule gut ausgestattet, doch als plötzlich der Luftalarm ertönte, gingen Charlotte Biskup und Martin Schröpel mit 850 Schülerinnen und Schülern unter die Erde. „Dort unten ordneten sie sich nach Klassen und setzten ihren Unterricht fort“, sagt Schröpel.

Für die Kinder und Jugendlichen ist das Leben mit ständigem Luftalarm normal geworden. „Bei uns haben sich aber alle bedankt, dass wir gekommen sind“, sagt Charlotte Biskup. „Sie wissen, dass es nicht selbstverständlich ist, in ein Kriegsland zu reisen.“
Dabei schränkt sie ein: „Wir sind zwar mit dem Zug durch ein Gebiet gefahren, das pausenlos angegriffen wird. Aber Berdytschiw wurde bislang nur einmal Ziel eines Anschlags.“
Zur Sicherheit wurden die Konstanzer aber zum Übernachten eine halbe Stunde entfernt untergebracht. Bei ihren vielfältigen Terminen gewannen sie einen guten Eindruck von Land und Leuten. „Die Menschen dort leben wie wir“, sagt Martin Schröpel.
„Die Züge haben hohen Standard, das WLAN (kabelloses Internet; Anm. d. Red.) funktioniert, alle Züge werden mit Strom betrieben. Auch ihre Wohnungen sind ausgestattet wie bei uns. Doch durch den Krieg sinkt der Lebensstandard, weil sie hohe Steuern zahlen müssen.“

Überhaupt habe sich die Struktur in Berdytschiw verändert. Die Stadt hat nach wie vor rund 76.000 Einwohner, doch die Zusammensetzung änderte sich. „Etwa 10.000 Frauen und Kinder sind weggezogen, dafür ungefähr gleich viele ältere Männer zugezogen“, sagt Charlotte Biskup. Diese deutliche demografische Veränderung führte unter anderem dazu, dass schon Kitas und Schulen geschlossen wurden.

Diese Reise mit Eindrücken zwischen Folklore und Krieg endete für die Konstanzer Vertreter mit der Erkenntnis, dass es zunächst zweitrangig ist, ob aus der Solidaritätspartnerschaft mit Berdytschiw irgendwann eine Städtepartnerschaft wird. „Das ist ein formaler Akt, aber was jetzt zählt, ist unsere konkrete Hilfe“, sagt Charlotte Biskup.
Martin Schröpel ergänzt: „Bislang haben wir dafür null Ressourcen, weder finanziell noch personell. Auf Projektbasis machen wir erstmal weiter, aber irgendwann muss der Gemeinderat über die Zukunft unserer Verbindung entscheiden. Dann braucht es ein Bekenntnis aus Konstanz.“