„Ein Leben in der Niederburg“, so lautete der Titel des kleinen Dokumentarfilms, den Richard Gandor im Jahr 2002 selbst produzierte. Er liebte sein Lebensumfeld und wollte seinem Stadtviertel mit der reichhaltigen Geschichte und den Menschen ein persönliches, kleines Denkmal setzen. Als Schauspieler in Filmen von Douglas Wolfsperger aber konnte er seine Leidenschaft ausleben und erlangte Bekanntheit. Jetzt ist der sympathische, den Menschen zugewandte Bäckermeister Richard Gandor im Alter von 88 Jahren verstorben.

Der Bäckermeister mit dem großen Herzen

An die Bäckerei Gandor in der Inselgasse erinnern sich noch viele Konstanzer. 1964 hatte Bäckermeister Richard Gandor, der 1959 nach Konstanz kam, diese gemeinsam mit seiner Frau Renate übernommen. In diesem Stadtteil fühlte er sich wohl und angekommen.

Geboren wurde er am 26. Dezember 1936 in Alzen, einem kleinen Ort bei Kattowitz in Schlesien, den er 1948 verließ und als Flüchtling nach Westdeutschland und schließlich 1958 an den Bodensee kam. Vergessen hatte er die Hilfe, die er damals erfahren hatte, nie. Deshalb wurde er ehrenamtliches Mitglied im Deutschen Roten Kreuz, wo er sich tatkräftig engagierte, unter anderem als Bereitschaftsführer der Konstanzer Ortsgruppe.

Renate und Richard Gandor im Jahr 1996 ihrer Backstube in der Niederburg.
Renate und Richard Gandor im Jahr 1996 ihrer Backstube in der Niederburg. | Bild: Tobias Engelsing | SK-Archiv

Seine Töchter verhalfen ihm zur Hauptrolle

Der bodenständige Bäckermeister Richard Gandor war ein kulturaffiner Mensch. Er spielte Klavier, malte Ölgemälde, die er im Schaufenster seiner Bäckerei ausstellte, und liebte seit Jugend an den Film – und zwar sehr. Wie gut, dass Richard und seine Frau Renate drei Kinder haben.

Die beiden Töchter nämlich hatten eine Zeitungsannonce gesehen. Der aus Konstanz stammende Regisseur Douglas Wolfsperger suchte nämlich einen „korpulenten Herrn“ als Laienschauspieler für seinen Film „Lebe kreuz und sterbe quer“. Ohne Wissen des Herrn Papa reichten sie eine Bewerbung samt Foto ein.

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Richard Gandor bekam so die Hauptrolle in Wolfspergers erstem Spielfilm, der von einem Bäcker handelt, der seinen Tod vortäuscht. „Wir hatten sofort eine Verbindung“, erinnert sich Douglas Wolfsperger. Es war eine gegenseitige Sympathie, die letztlich in einer lebenslangen Freundschaft gipfelte.

Seine Leidenschaft für Filme

„Richard war ein großer Liebhaber von Kino und Oper. Als wir uns kennenlernten, war Richard 48 Jahre alt. Ich habe gemerkt, welche Sehnsucht er in sich hatte“, schildert Douglas Wolfsperger. „Ich habe ihn aus dem normalen Alltag in die Filmwelt geholt. Für ihn war das etwas Besonderes.“

Richard Gandor hatte aber auch eine ganz besondere Ausstrahlung – im Leben und im Film. „Er hatte eine charismatische Leinwandpräsenz und hat manchem Promi die Schau gestohlen. Er war wie gemacht fürs Kino. Seine Blicke und Gesten waren ganz toll“, so Douglas Wolfsperger. Deshalb blieb es nicht bei diesem einen Film. Gandor wirkte noch bei weiteren Produktionen mit.

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Seine Liebe zur Niederburg

Für sein Viertel, die Niederburg, schwärmte Gandor. Zwar kannte er jeden Winkel, entdeckte aber doch immer wieder Neues. „Es ist, als ob die Wände sprechen würden“, sagte er im Jahr 2002 in einem Gespräch mit dem SÜDKURIER. Nirgendwo anders sei die Historie einer Stadt so präsent und nachvollziehbar, wie in diesen lauschigen Gassen. Aber auch die lebendigen Geschichten hatten es Gandor angetan.

Fasziniert hörte er zu, wenn alte Niederbürgler aus ihrem Leben erzählen, von Zeiten, als mit Obst beladene Ochsenwagen in der Niederburg Schlange standen, um die Waren an die Mosterei zu liefern. Es gibt so viele Geschichtchen und Anekdoten, die irgendwann verloren gehen, weil sie nicht weitererzählt werden, dachte sich Richard Gandor. Diese eindrücklichen Zeitzeugnisse wollte er aber für die Nachwelt bewahren.

Richard Gandor produzierte nicht nur einen Film über den ältesten Konstanzer Stadtteil, sondern organisierte im Jahr 2003 (Foto) sogar ...
Richard Gandor produzierte nicht nur einen Film über den ältesten Konstanzer Stadtteil, sondern organisierte im Jahr 2003 (Foto) sogar ein Fest in der Niederburg zum verkaufsoffenen Sonntag. | Bild: Scherrer, Aurelia | SK-Archiv

Das war der Grund für ihn, im Jahr 2002 einen Film mit dem Titel „Das Leben in der Niederburg“ zu drehen.„Richard Gandor war voller Liebe für seinen Stadtteil. Das Projekt war sehr schön“, erinnert sich Jan Mittelstaedt von der Firma LGM, die seinerzeit mit Gandor den Film produzierte. „Es war sein Werk. Wir haben ihm lediglich geholfen, seine Vorstellungen umzusetzen.“

Mittelstaedt schwärmt noch heute von der wertschätzenden Zusammenarbeit. „Richard Gandor war ein sehr höflicher, unkomplizierter und positiver Mensch“, charakterisiert Jan Mittelstaedt und fügt an: „Es war schön zu erleben, wie er seinem Stadtteil ein Denkmal gesetzt hat.“

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Er hatte eine stille Sehnsucht

Douglas Wolfsperger schätzte an Gandor „das Bodenständige und seine barocke Lebensart, seine Liebe zu Schönem und Opulentem“. Seine Frau Renate habe versucht, Richard Gandor zu bremsen. „Eine tolle Kombi. Sonst hätte Richard wohl nicht so lange gelebt, wenn es Renate nicht gegeben hätte“, meint Wolfsperger.

„Richard war ein humorvoller, aber auch ein nachdenklicher Mensch mit einer stillen Sehnsucht“, schildert Douglas Wolfsperger. „Bäcker war sein Handwerk, mit dem er sprichwörtlich seine Brötchen verdient hat“, daneben gab es die Liebe zum Film und der Musik.

Über den Verstorbenen sagt Regisseur Douglas Wolfsperger: „Richard war ein humorvoller, aber auch ein nachdenklicher Mensch mit einer ...
Über den Verstorbenen sagt Regisseur Douglas Wolfsperger: „Richard war ein humorvoller, aber auch ein nachdenklicher Mensch mit einer stillen Sehnsucht.“ | Bild: Tobias Engelsing | SK-Archiv

Die beiden hat viel verbunden – und sie haben eine Freundschaft aufgebaut. Douglas Wolfsperger hat nämlich einen Tag vor Gandor Geburtstag. „Ich habe mit ihm in seinen Geburtstag hineingefeiert – die beiden Steinböcke“, so Wolfsperger, der sagt: „Er war mir ein väterlicher Freund.“

Das Mitgefühl von jenen, die Richard Gandor kannten, gilt seiner Ehefrau Renate, den Kindern und Enkelkindern. Ein Trost möge ihnen sein, dass der Verstorbene, der ein Familienmensch war, zu Lebzeiten auch seinen Traum vom Film hat wahr werden lassen können.