Schmotziger in Konstanz, 13.05 Uhr, und die Ampel kann von Glück sagen, dass der Obermarkt nicht in Berlin-Mitte liegt. Was das närrische Volk auf dem gestopft vollen Platz in der folgenden Dreiviertelstunde erlebt, ist als Schauspiel erste Sahne und zugleich ein Musterbeispiel, wie eine Stimmung in kurzer Zeit kippen kann.
Jakobiner-Präsident Harald Wölfle heizt zu Beginn mit dem Blankvers „Andi Jung wird nicht alt, unser Fallbeil macht ihn kalt“ tüchtig ein, aber es kommt anders. Am Ende verlässt der CDU-Bundestagsabgeordnete als umjubelter Held die Bühne.

Das hat mehrere Gründe, vor allem aber liegt es an der Qualität seiner Rede. Der Mann beherrscht die Rhetorik, schmeißt sich gleich am Anfang ran an die Leute und greift dazu skrupellos in die Kiste historisch verbrannter Redewendungen (“Ich liebe Euch alle“).
Er grölt mehr als dass er singt, geht in die Knie und die Anklage, wonach er angeblich beim Klimaschutz viel Mist in der Bundespolitik produziert, verdreht er reimend ins Gegenteil: „Damit‘s nicht wird zu warm, geht Klimaschutz durch den Darm“.
Und da er schon mal beim Stoffkreislauf ist, macht Andreas Jung die wahrhaft Schuldigen sogleich im benachbarten Rathaus aus. Dessen bürgermeisterlichem Führungs-Trio attestiert er „einsame Klasse – bei der Produktion von Biomasse“.
Aus jedem Blankvers sprüht der Witz, und das Volk glaubt ihm selbst dann, wenn er ins unverständlich Französische verfällt. Es ist egal, Hauptsache Liberté reimt sich auf Beaujolais, und allein das macht den Andi bei den Narren zu einem der ihren.
Eine Fleischwurst landet auf der Guillotine
Dass es beim Guillotinen-Test bei der ungefähren Halbierung einer zuvor von Henkersknecht Norbert Zessack mühselig zwischen Kopf und Rumpf einer Puppe installierten Fleischwurst bleibt und Andi Jung also hocherhobenen Hauptes das Tribunal übersteht, liegt freilich auch an seinen Sekundanten.
Da ist zunächst das hohe Lied der blendend aufgelegten Verteidigerin Claudia Zähringer, die den Angeklagten zur „parteiübergreifenden Lichtgestalt“ und zum „Mann von Herzensadel“ erhebt. Um ihren Mandanten zu retten, kennt sie keine Verwandten und knüpft sich angesichts von Klagen über den Ausbau der Bundesstraße vor den Toren von Konstanz sogleich den bigotten Teil der Stadtgesellschaft vor.
Denn was diese hervorbringt, könne nebenan auf der verlotterten Marktstätte besichtigt werden, wo die Verteidigerin demnächst Graswuchs zwischen den Pflastern befürchtet. Sexy, sagt Claudia Zähringer, geht anders.
Die Maus beißt auch bei den Zeugen keinen Faden ab, alle drei stehen auf der Seite des Angeklagten. Lina Seitzl lässt als SPD-Bundestagsabgeordnete alle Ampel-Raison fahren, bedankt sich als Debütantin unter der parlamentarischen Glaskuppel in Berlin stattdessen ganz lieb für die Mentor-Dienste ihres altgedienten CDU-Kollegen.

Im Zweifel will sie keine Parteien kennen, was wirklich zählt sei letztlich die Schicksalsgemeinschaft des Wahlkreises.
Die sofortige Freilassung des unterdessen in Nachbarschaft des Fallbeils ausharrenden Angeklagten fordert auch Norbert Heizmann, der zum Zwecke der Zeugenschaft in die Rolle eines Auto-Posers schlüpft. Dass der Vorzeige-Narr alles auf jedes zu reimen versteht, ist hinlänglich bekannt, und so kann er sich die Verunglimpfung des gesamten Tribunals locker erlauben.
Allein schon das Aussehen seiner Mitglieder gebe Anlass zur Vermutung, dass die Konstanzer Jakobiner direkt aus der französischen Revolution kommen und es aus eigener Kraft wohl kaum noch auf die Bühne schaffen.

Als unsicherer Kandidat immerhin mag der dritte Zeuge durchgehen. Daniel Groß, im normalen Leben vor allem als Stadthistoriker und CDU-Stadtrat bekannt, greift als einziger die Vorwürfe der Anklage wirklich auf – als da vor allem sind der vierspurige Ausbau der B33 bei gleichzeitigem Versagen des Klimaschutzes, der Herkunft aus Stockach sowie der Vorteilsverschaffung für den Erzfeind Singen durch den Straßenausbau.
Die Rede ist gut, doch Andreas Jung gräbt ihm in seiner Replik leichterdings das Wasser ab. Der Forderung etwa nach einem Bogen der B33 zur Reichenauer Ruhestandswahrung käme er gern nach, nur übersehe der Zeuge offensichtlich die neuen Machtverhältnisse: Seither drückt der CDU-Mann die Oppositions-Bank.
So steht denn Ankläger Simon Schafheitle trotz der anfänglichen Unterstützung des Jakobiner-Präsidenten sowie des immer wieder zulasten des Angeklagten intervenierenden Richters Ekkehard Greis am Ende auf verlorenem Posten.

Ist er deswegen traurig? Mitnichten, unterm Lachzwang krümmt er sich selbst immer wieder. Tatsächlich wär‘s schade um jeden Kopf des Tribunals bis hin zu den Musikern, und als Kanönchen um 13.52 Uhr Konfetti übers närrische Publikum schießen, gibt es nur ein Bedauern – es gilt der Kürze des Spektakels.