Es ist ein Beleg für die Besonderheit des Falls: Bei der Frage nach den angemessenen Strafen für die vier Hauptangeklagten im Prozess um die Folterung eines 19-Jährigen reichte das Spektrum von einer zweijährigen Haftstrafe zum Zweck einer Entzugstherapie bis hin zur Überlegung einer Sicherungsverwahrung nach Verbüßung der eigentlichen Gefängnisstrafe.

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Richter: „Dass Sie lachen, kommt jetzt ganz schlecht“

Wie heikel die Urteilsfindung war, verdeutlichte Richter Joachim Dospil am Ende des dritten Verhandlungstages im Zusammenhang mit einer launigen Darstellung eines Verteidigers, der sich über den vermeintlichen Tatanteil einer jungen Frau ausließ und zwei der Hauptangeklagten zum Schmunzeln veranlasste. „Dass Sie lachen, kommt jetzt ganz schlecht“, bemerkte der Richter, „das ist hier gerade eine sehr wacklige Angelegenheit.“

Einer der Gründe für die Schwierigkeiten bei der Festlegung des Strafmaßes war die Komplexität mehrerer Vergehen. Im Zentrum stand die Entführung des 19-Jährigen am Abend des Ostersonntags 2022. Er war an einer Bushaltestelle in der Max-Stromeyer-Straße von zwei der Hauptangeklagten aufgegriffen, zu einer von einem der Angeklagten gemieteten Wohnung in der Fürstenbergstraße gefahren worden. Dort wurde er zum Zweck der Begleichung von Schulden gefoltert. Die Qualen dauerten bis zum Morgen des Ostermontags. Nur mit Glück konnte er sich befreien und in Sicherheit bringen. Die Polizei stürmte wenig später die Wohnung und nahm die vier Täter fest.

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Zwei der Angeklagten standen außerdem wegen Körperverletzungen vor Gericht, deren sie sich bereits Anfang Februar schuldig gemacht hatten. Dabei waren der Besitzer des Aquaturm-Hotels in Radolfzell sowie ein ihn begleitender Sportsfreund krankenhausreif geschlagen worden. Ferner hatte das Gericht über den Besitz und Handel mit Drogen und die Frage von Bandenkriminalität zu entscheiden. Nicht einfacher wurde die Abwägung durch das Vorstrafenregister der Hauptangeklagten, das seinesgleichen sucht.

Einer der jungen Männer beispielsweise bringt es auf ein Dutzend zum Teil schwerer Körperverletzungen, wurde bereits im Alter von 17 Jahren zu einer Haftstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt, die er bis zum letzten Tag abzusitzen hatte. „Das muss man erst mal schaffen“, meinte Joachim Dospil, dem ein vergleichbarer Fall aus dem Jugendstrafrecht noch nicht untergekommen ist.

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Psychologin über das Abrutschen in die Kriminalität

Eine Hilfe bei der Urteilsfindung stellten die Einschätzungen einer Gerichtspsychologin aus Freiburg dar, die die sozialen und psychologischen Lebensumstände von drei der Hauptangeklagten begutachtete. Sie ließ keinen Zweifel an der Schuldfähigkeit der jungen Männer, lieferte aber zugleich plausible Erklärungen für deren kriminelle Laufbahn.

Bei der Prognose schließt sie unter Voraussetzung einer in die Haft integrierten Drogentherapie in zwei Fällen eine Resozialisierung nicht aus, im dritten Fall ist sie eher skeptisch. Für den vierten Hauptangeklagten wurde kein Gutachten erstellt. Er gehörte zwar zur Gruppe und war ebenfalls in Drogengeschäfte involviert, allerdings hielt er sich selbst von Drogen und Alkohol fern.

Trotz der Komplexität suchte das Gericht nach einer individuellen Strafbemessung, die den Tatanteilen, der Vorgeschichte und der Persönlichkeit der Männer gerecht wird. Hier die Einzelurteile in der Zusammenfassung.

  • Sechs Jahre Haft: Der 21-Jährige hat sich sowohl bei den Folterungen im Zusammenhang mit erpresserischem Menschraub als auch bei den Körperverletzungen in Radolfzell sowie beim Drogenhandel strafbar gemacht. Die Staatsanwältin forderte eine Haftstrafe von elf Jahren, der Vertreter der Nebenklage brachte die Überlegung einer anschließenden Sicherheitsverwahrung ins Spiel. Der Verteidiger plädierte – je nach Beurteilung gemäß Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht – für vier bis fünf Jahre Gefängnis. Das Gericht entschied sich für sechs Jahre, der Mann bekommt im Rahmen der Haft außerdem die Chance zur Drogentherapie.
  • Fünf Jahre Haft: Der nachweisbare Tatanteil des 22-Jährigen beschränkt sich auf das Geschehen während der Folternacht. Er war besonders grausam und filmte das malträtierte Opfer. Die Staatsanwältin forderte eine Haftstrafe von neun Jahren, sein Verteidiger sieht für den nicht drogenabhängigen und arbeitswilligen Mann gute Chancen zur Resozialisierung und plädierte für eine Gefängnisstrafe von fünf Jahren. Dem folgte das Gericht bei der Strafzumessung.
  • Vier Jahre Haft: Es ist nicht auszuschließen, dass dieser Hauptangeklagte eher zufällig in das Geschehen während der Folternacht hineingeraten ist. Zu seinen Gunsten ausgelegt wurde ihm ein Beitrag zur Deeskalation, indem er die Mittäter zum Verzicht auf das Abscheiden eines Fingers des Opfers aufforderte. Ihm stellte die Gerichtspsychologin unter anderem wegen der Vorstrafen und des Verhaltens während der vorangegangenen Haftaufenthalte allerdings eine schlechte Sozialprognose aus, als zweifelhaft stuft sie zudem den Erfolg eines Entzugs ein. Die Staatsanwältin forderte eine Haftstrafe von achteinhalb Jahren, der Verteidiger plädierte für eine Strafe unter vier Jahren. Das Urteil: Vier Jahre sowie – trotz der Bedenken der Gerichtspsychologin – die Chance einer Drogentherapie in der Haft.
  • Drei Jahre Haft: Die Strafe beruht vor allem auf der Körperverletzung eines der beiden Opfer im Radolfzeller Aquaturm, wobei bei beiden Tätern der Einfluss von Alkohol und Drogen nicht vollständig geklärt werden konnte. Im Fall des erpresserischen Menschraubs wurde der Mann frei gesprochen. Er hatte sich nach Angaben des Opfers nicht an den Folterungen beteiligt und bot ihm in jener Nacht etwas zu essen und trinken an. Die Staatsanwältin forderte vor allem mit Verweis auf das brutale Vorgehen im Aquaturm mit einem Fußtritt ins Gesicht des bereits am Boden liegenden Opfers eine Gesamtstrafe von sieben Jahren und neun Monaten, die Verteidigung plädierte für zwei Jahre. Das Urteil sieht eine Strafe von drei Jahren vor, auch hier bekommt der Verurteilte die Möglichkeit zur Drogentherapie.

Zu den Haftstrafen kommen teilweise noch weitere Zeiten hinter Gittern, weil gegen bestehende Bewährungsauflagen aus früheren Straftaten verstoßen wurde.