Oberbürgermeister Uli Burchardt hat genug von der Stütze. Während ungefähr zweieinhalb Jahren kam er um den Anblick der mitten im Ratssaal stehenden Säule herum, weil ein Großteil der Gemeinderats- und Ausschusssitzungen wegen Corona ins Bodenseeforum, in Hedicke‘s Terracotta in der Luisenstraße oder gleich ins World Wide Web verlegt wurde. Inzwischen hat die Menschheit das Virus einigermaßen im Griff und folglich wird wieder vermehrt im Ratssaal getagt.
Hier sitzt der OB also wie ehedem mit einem Pfosten im Blick und vor dem Kopf. Wie er jüngst in einer Ausschusssitzung zu verstehen gab, stört ihn das Teil schon seit langem, wobei er sich bei früheren Vorstößen zur Öffnung der Sichtachsen und Rücksichtnahme seines Raumempfindens bei den Räten wohl nicht ausreichend Gehör zu verschaffen wusste.
Glatte Sechs bei der Benotung des Ratssaals
In dieser Lage kommt dem Mann ein Umstand sehr zustatten. Charlotte Biskup, im Rathaus fürs Hauptamt und überhaupt für alles zuständig, was mit Organisation zu tun hat, unterrichtete die Mitglieder des Finanzausschusses über die Kalamitäten des Ratssaals. Das machte sie in der Tonlage sehr diplomatisch, in der Sache aber war‘s eine Benotung, die bei einer historischen Schulbewertung einem glatten Ungenügen entspricht.
Demnach mag der Raum zu vielem taugen, ganz gewiss aber nicht für Debatten, in denen in schöner Regelmäßigkeit viele Millionenbeträge ebenso hin und her geschoben werden wie politische Grundsätze und juristische Winkelzüge. Was so gar nicht passt, ist beispielsweise die Größe, denn wenn alle 40 Stadträte samt Verwaltungsspitze und den Vertretern der Fachämter im Ratssaal Platz nehmen, dann sitzt man sich arg auf der Pelle.
Öffnen der Fenster als mittlere Kugelfuhr
Das wird nicht besser, wenn sich die Debatten um Themen von hoher öffentlicher Relevanz drehen und also das Volk die Entscheidungsprozesse zur Abwechslung mal live und nicht nur medial verfolgen will. Denn mit der Belüftung des Saals ist‘s laut Charlotte Biskup nicht weit her, und das Öffnen der Fenster gleicht ebenfalls einer mittleren Kugelfuhr. Zu allem hin hat jetzt auch noch der Beamer den Geist aufgegeben, was sich zum veritablen Problem auswachsen könnte. Im Finanzausschuss beispielsweise geht es um viele Nullen und im Vergleich dazu wenigen Ziffern, weshalb die Mitglieder auf den Bildschirmen schon klar erkennen können sollten, wo was steht.
Also wurden die Stadträte darüber informiert, dass man eine Testphase mit neuer Technik und Sitzordnung einleiten werde. Zu diesem Zweck werden Tische aus dem Bodenseeforum ausgeliehen und so angeordnet, dass es die ein oder andere Überraschung wegen etwaiger neuer Sitznachbarn geben könnte. Hinzu kommen soll die Visualisierung von Informationsvorlagen, die den Stadträten nicht mehr über den Beamer, sondern mittels am Boden installierten Bildschirmen präsentiert werden. Also ändert sich auch die Blickrichtung: Bislang wurde nach oben geschaut, künftig geht der Kopf nach unten.
Künftig im Oval statt im Karree
Wie das Ganze am Ende daher kommt, wissen Charlotte Biskup und Uli Burchardt zurzeit allerdings noch nicht so genau. Laut OB aber kann von einem Abschied des Sitzens im Karree zugunsten einer ovalen Sitzanordnung ausgegangen werden. Dadurch könne voraussichtlich zugleich die Nutzung der begrenzten Fläche des Ratssaals optimiert werden.
Wenn das gelingt und bei den gewählten Vertretern der Stadt ankommt, will Uli Burchardt einen erneuten Versuch zur Eliminierung der Säule starten. Die Geschichte bereitet dabei ausnahmsweise wohl keine Probleme: Wie der OB sagte, stehe der Pfeiler unter keiner Form des Denkmalschutzes. Und gekappt werden soll er natürlich auch nur dann, wenn es die Statik erlaubt.