Jürgen Ruff und Jan Welsch, SPD-Fraktionsvorsitzender und -Vize im Gemeinderat, haben sich in einem offenen Brief an Oberbürgermeister Uli Burchardt gewandt. Sie fordern, dass die Stadt Menschen aufnimmt, die nach der Machtübernahme durch die Taliban aus Afghanistan flüchten müssen.

„Spätestens seit dem überstürzten Abzug der internationalen Truppen und der ungehinderten Rückkehr der Taliban nach Kabul ist klar: Tausende Menschen, die sich für Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Bildung und Frauenrechte stark gemacht haben, sind akut vom Tod bedroht“, schreiben sie.

Auch Jürgen Ruff und die SPD setzen sich für die Aufnahme früherer Verbündeter ein.
Auch Jürgen Ruff und die SPD setzen sich für die Aufnahme früherer Verbündeter ein. | Bild: Patrick Pfeiffer

Darunter seien viele Afghanen, die in zwei Jahrzehnten die deutsche Bundeswehr, deutsche Ministerien und Nichtregierungsorganisationen aktiv unterstützt haben. „Wir stehen in der Schuld dieser Menschen und müssen alles tun, sie vor dem sicheren Tod zu bewahren.“

Es sei wichtig, jetzt ein Zeichen zu setzen, um die Glaubwürdigkeit Deutschlands nicht noch weiter zu beschädigen, heißt es in dem Brief weiter. Ein solches Zeichen sollte von allen gesellschaftlichen Ebenen ausgehen. Die Stadt Konstanz habe sich für Bootsflüchtlinge zum sicheren Hafen erklärt.

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Dies müsse auch für Menschen gelten, zu deren Schutz man verpflichtet sei. Burchardt solle gegenüber dem Bundesinnenminister, dem Landesinnenminister sowie dem Landrat deutlich machen, „dass die Stadt Menschen aufnehmen kann und will, die sich in Afghanistan für den Aufbau der Demokratie eingesetzt haben.“

Grüne rufen zu schnellerem Handeln auf

Als „Versagen auf ganzer Linie“ bezeichnen grüne Kreistagsfraktion und Gemeinderatsfraktion der Freien Grünen Liste (FGL) die Situation. Damit meinen sie „das Versagen der internationalen Gemeinschaft, das Land zu stabilisieren, und das Versagen, die Menschen, die beschützt werden müssen, rechtzeitig zu retten“.

In einem eigenen offenen Brief, der an den CDU-Bundestagsabgeordneten des Wahlkreises, Andreas Jung, ging, bitten sie ihn darum, sich „wenigstens jetzt“ mit der ihm zur Verfügung stehenden Macht unter anderem für folgende Forderungen einzusetzen:

  • ein Verfahren, damit Menschen ausgeflogen werden können, die noch kein Visum zur Flucht bekommen haben;
  • eine Sicherung des Flughafens in Kabul für Evakuierungsflüge;
  • eine Erweiterung der Kriterien für die Evakuierung der Ortskräfte;
  • sofortige Katastrophenhilfe für Binnenflüchtlinge und für Menschen in den angrenzenden Ländern sowie Unterstützung der Kommunen bei der Aufnahme von Geflüchteten aus Afghanistan.

„Allein durch den Einsatz der Bundeswehr sind wahrscheinlich mindestens 100.000 Menschen betroffen. Auch solche, die für Subunternehmer gearbeitet haben, Medienschaffende sowie Frauen- und Menschenrechtsaktivisten“, so die Unterzeichner, zu denen Gisela Kusche und Normen Küttner von der FGL gehören.

Gisela Kusche gehört zu den Unterzeichnern des offenen Briefs der Grünen, die ein Versagen auf ganzer Linie sehen.
Gisela Kusche gehört zu den Unterzeichnern des offenen Briefs der Grünen, die ein Versagen auf ganzer Linie sehen. | Bild: Lucht, Torsten

Es sei beschämend, wie viel Zeit vergeudet wurde, schreiben die Grünen und verweisen auf einen Antrag ihrer Fraktion am 23. Juni im Bundestag. Darin ging es darum, afghanische Helfer der Bundeswehr in Sicherheit zu bringen. CDU/CSU, SPD und AfD lehnten jedoch ab.

CDU: Uli Burchardt und Andreas Jung reagieren

Der Konstanzer Oberbürgermeister reagiert auf den offenen Brief der SPD mit einem Bekenntnis pro Aufnahme. „Im Moment sind ja leider nicht die fehlenden Aufnahmekapazitäten das Problem, sondern eher die Tatsache, dass es nur den wenigsten der schutzbedürftigen Menschen überhaupt gelingt, Kabul zu verlassen. Selbstverständlich ist Konstanz bereit, Schutzbedürftigen zu helfen und sie in unserer Stadt aufzunehmen – so wie viele andere Städte auch“, betont Burchardt.

OB Uli Burchardt: „Das Schicksal der vielen Menschen, die in Kabul regelrecht gefangen sind, berührt mich.“
OB Uli Burchardt: „Das Schicksal der vielen Menschen, die in Kabul regelrecht gefangen sind, berührt mich.“ | Bild: Lukas Ondreka

„Wir haben in der Vergangenheit immer wieder deutlich gemacht, dass wir humanitäre Hilfe anbieten. Das tun wir auch in dieser Situation.“ Deutschland dürfe die Ortshelfer, die in der nun gescheiterten Mission loyal gewesen sind, jetzt nicht im Stich lassen.

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„Ich bin tief betroffen von den schockierenden Ereignissen“, sagte CDU-Politiker Jung. Es sei eine humanitäre Tragödie, dass es trotz aller Bemühungen nicht gelungen ist, Afghanistan zu dauerhafter Stabilität zu verhelfen. Höchste Priorität habe in diesen dramatischen Stunden die Evakuierung von deutschen Staatsbürgern, ehemaligen Ortskräften und von besonders Schutzbedürftigen.

In enger internationaler Zusammenarbeit sei es gelungen, mit Spezialkräften eine Luftbrücke einzurichten. Diese müsse nun ausgeweitet werden, damit möglichst viele Flüge von Kabul in sichere Staaten stattfinden können.

Andreas Jung (CDU) steht ebenfalls hinter der Forderung, unbürokratisch zu helfen.
Andreas Jung (CDU) steht ebenfalls hinter der Forderung, unbürokratisch zu helfen. | Bild: Oliver Hanser

„Angesichts der Sicherheitslage vor Ort muss akut und pragmatisch Hilfe geleistet werden – ohne aufwändige Verfahren: Visa können deshalb nach der Einreise nach Deutschland erteilt werden“, sieht Jung die Forderung der Grünen nach einer unbürokratischen Lösung erfüllt.

Der Bundestagsabgeordnete hatte sich schon im Frühsommer gegenüber der Bundesregierung dafür eingesetzt, dass den Betroffenen in Afghanistan schnell geholfen wird. Darauf hatten Parlamentarier auch in fraktionsübergreifender Zusammenarbeit gedrungen. So entfiel die ursprünglich vorgesehene Begrenzung, nur Ortskräfte und deren Familien auszufliegen, die den internationalen Truppen in den letzten beiden Jahren geholfen haben.

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