Das Schnetztor steht wie selbstverständlich einfach da. Hier startet immer der kleine Umzug zum Fasnachtausrufen am 6. Januar, wobei die Fassade des Turmes als malerische Kulisse dient. Warum aber hat das Schnetztor zur Hussenstraße hin eine Fachwerkfassade, wo es doch an den drei weiteren Seiten mit dickem Mauerwerk versehen ist? Der Anblick ist so normal, dass sich wohl die wenigsten Konstanzer je über dieses architektonische Kuriosum Gedanken gemacht haben.

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Historiker: „Alles Lug und Trug!“

Historiker Uli Topka dagegen schon und zwar mit Fleiß, schließlich ist er zudem Archivar und Geschichtsbeauftragter der Konstanzer Blätzlebuebe-Zunft, die das Schnetztor in ihrer Obhut hat. Für ihn ist das prachtvolle Relikt der Vergangenheit längst sein zweites Zuhause, in dem er immer wieder auf faszinierende geschichtliche Details stößt. „1981 hat die Konstanzer Blätzlebuebe-Zunft die 600-Jahr-Feier des Schnetztors begangen“, stellt Uli Topka fest und fährt mit närrischem Witz fort: „Alles Lug und Trug! Das Schnetztor ist älter!“

Uli Topka, Historiker und Ehrenrat der Konstanzer Blätzlebuebe-Zunft, steigt über mittelalterliche Stufen auf den Dachboden des Schnetztors.
Uli Topka, Historiker und Ehrenrat der Konstanzer Blätzlebuebe-Zunft, steigt über mittelalterliche Stufen auf den Dachboden des Schnetztors. | Bild: Scherrer, Aurelia

Zur Entschuldigung ist anzumerken, dass die Blätz es vor 40 Jahren nicht besser wussten, denn erst jüngst wurde auf Anregung des Ehrenzunftmeisters Peter Längle eine dendrochronologische Untersuchung durchgeführt, eine wissenschaftliche Methode zur Bestimmung des Alters des verwendeten Holzes.

„Die Bäume wurden im Winter 1325/26 gefällt. Das heißt: Der Turm ist 60 Jahre älter als ursprünglich angenommen“, so Topka, der aber auch diesen historischen Fingerzeig in Frage stellt, denn: „Wurden die Bäume gefällt und die Balken gleich verbaut oder gelagert?“ Topka hinterfragt mit Vorliebe, schließlich könnte es auch sein, dass der Turm bereits bestand und zu jener Zeit umgebaut wurde. Die Historiker und Wissenschaftler hätten noch vieles, was sie erforschen können.

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Die Blätzlebuebe tragen die neuen Erkenntnisse mit Gelassenheit, denn Anlässe für Festivitäten lassen sie nicht unbeachtet. „2025 wäre ein Datum, wo wir eventuell eine 700-Jahr-Feier veranstalten können. Vermutlich entstand er um 1280 oder noch früher. Vielleicht finden wir noch was und dann machen wir eine 800-Jahr-Feier, schließlich muss man ja einen Grund haben, ein Fest zu machen“, meint Uli Topka mit seinem typischen Konstanzer Humor vergnügt.

Im Schnetztor hat die Blätzlebuebe-Zunft eine kleine Ausstellung zum mittelalterlichen Konstanz, dem Wehrturm selbst und natürlich zur ...
Im Schnetztor hat die Blätzlebuebe-Zunft eine kleine Ausstellung zum mittelalterlichen Konstanz, dem Wehrturm selbst und natürlich zur Konstanzer Fasnacht eingerichtet. | Bild: Scherrer, Aurelia

Wie Uli Topka auf das Jahr 1280 kommt, hat einen guten Grund. „Die Südmauerflanke entlang der heutigen Bodanstraße scheint noch vor 1281 gebaut worden zu sein. In dieser Zeit ist vermutlich die erste Version des Schnetztors entstanden, denn die meisten Türme sind im Zuge der Ummauerung entstanden. Wahrscheinlich war er eher klein und ein reiner Wehrturm“, schildert Uli Topka.

1388 wütete ein großer Brand in großen Teilen Stadelhofens, der heutigen Neugasse und Augustinergasse, berichtet der Historiker. Im Zuge des Wiederaufbaus sei sicherlich auch eine Veränderung am Schnetztor erfolgt.

Woher kommt das Fachwerk?

Zwei wesentliche Funktionen kamen dem Schnetztor zu: Zum einen war es das südliche, repräsentative Entree in die Stadt Konstanz, zum anderen diente es als Wehrturm, denn immer wieder hatte es Kämpfe gegen die wehrhaften Eidgenossen gegeben. Jetzt kommt Uli Topka auf die Architektur zu sprechen: Drei Seiten dickes Gemäuer und an der vierten Seite lediglich Fachwerk.

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Des Rätsels Lösung: Der Wehrturm „bestand anfangs nur aus drei Mauern und war stadtseitig offen.“ Schließlich drohte von der Rückseite her keine Gefahr. Warum also ummauern? Dies geschah erst später; Topka geht davon aus, dass dies im 16./17. Jahrhundert geschah und eine Türmerwohnung eingebaut wurde. Wann das wirklich war, würde er auch gerne wissen.

Die einstige Türmerwohnung im Schnetztor dient der Blätzlebuebe-Zunft ebenfalls als Ausstellungsraum.
Die einstige Türmerwohnung im Schnetztor dient der Blätzlebuebe-Zunft ebenfalls als Ausstellungsraum. | Bild: Scherrer, Aurelia

„Die Balken in der Türmerwohnung wurden nicht untersucht; das wäre auch höchst interessant gewesen“, bemängelt Topka. Was er aber weiß: „Bis um 1900 war hier noch ein Türmer drauf. Seine Hauptaufgabe war die Feuerwache.“ Später war das Schnetztor – wie die anderen Türme auch – ungenutzt. „Der Turm war in einem jämmerlichen Zustand“, schildert Uli Topka. Dass das „Baudenkmal von internationaler Güte“ heute in bestem Zustand das Stadtbild prägt, ist der Blätzlebuebe-Zunft zu verdanken.

Die Blätz hatten seinerzeit in der Neugasse „eine alte Bruchbude“ als Zunftstube, berichtet Topka launig. „Ein paar Blätz sind an Fasnacht in weinseliger Laune am Schnetztor vorbeigelaufen, und befanden: Das wär‘s eigentlich!“, verrät er aus dem Vereins-Anekdoten-Schatzkästchen der 1970er-Jahre. Ehrenpräsident Heinz Hug hat dann die Schnetztor-Initiative gegründet, Spenden gesammelt und mit viel Eigenleistung der Vereinsmitglieder von 1975 bis 1978 die Innenrenovation vorangetrieben, um hier die Zunftstube einzurichten.

Die Zunftstube der Konstanzer Blätzlebuebe-Zunft befindet sich im obersten Geschoss des mittelalterlichen Schnetztors.
Die Zunftstube der Konstanzer Blätzlebuebe-Zunft befindet sich im obersten Geschoss des mittelalterlichen Schnetztors. | Bild: Scherrer, Aurelia

„Mit wenig Eigenkapital und viel Enthusiasmus“ und dank vieler Spender wurde das Schnetztor vom „Taubenschlag“ zum nationalen Baudenkmal, „auf das man heute stolz ist“, so Topka. Das freut auch Frank Mienhardt, Leiter der Unteren Denkmalschutzbehörde der Stadt. Er befindet: „Das Schnetztor ist noch am besten in die Stadt eingebunden und man sieht noch das echte Doppeltor.“

Die Konstanzer Türme sind eine Seltenheit

Die Blätzlebuebe waren seinerzeit die Pioniere in Sachen Erhalt und Pflege der noch erhaltenen städtischen Türme, denn danach folgten die Handwerker-Initiative und die Narrengesellschaft Niederburg, die sich des Pulverturms, und die Initiative Rheintorturm, die sich des Dritten Turms annahmen.

Was Uli Topka, der auch als Stadtführer agiert, in Staunen versetzt: „Mindestens 20 Prozent der Konstanzer, waren noch nie in einem der drei Türme.“ Sie wissen gar nicht, was ihnen entgeht, denn „hier findet man immer neue Puzzleteile, die das Gesamtbild vervollständigen, denn jeder Turm hat viel zu erzählen“, schwärmt Uli Topka. „Lage und Alter von Konstanz – es gibt nicht viele Städte, die das bieten können.“

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Oft dient das Schnetztor als Einstieg für Stadtführungen, an Fasnacht wird die Zunftstube zur öffentlichen Besenwirtschaft und vielleicht gibt es ja bald mal wieder ein Fest, so dass die Konstanzer das Innere des mittelalterlichen Monuments, das bis zur Spitze 36 Meter (mit dem Blätz auf der Spitze sogar 37 Meter) misst, erleben können.

Blick über die Stadt aus dem Dachfenster des Schnetztors.
Blick über die Stadt aus dem Dachfenster des Schnetztors. | Bild: Scherrer, Aurelia