Ein tiefes Seufzen hallt von den Mauern des Rheintorturms wider. „Das ist Turmgeist Manne“, stellt der geschichtsinteressierte Konstanzer und Erz-Fasnachter Markus Weber sein Alter Ego (sein anderes Ich) vor. Warum er so herzergreifend stöhnt? „Manne ist ein sehr geselliger Typ und seit der Pandemie ist er noch einsamer als sonst. Naja, unter uns: Mit Wendelgard hat er sich ab und zu heimlich getroffen, aber das ist ein anderes Thema“, weicht Markus Weber aus.

Im Rheintorturm macht Turmgeist Manne (Markus Weber) Interessierte mit Vergnügen mit der Historie vertraut.
Im Rheintorturm macht Turmgeist Manne (Markus Weber) Interessierte mit Vergnügen mit der Historie vertraut. | Bild: Scherrer, Aurelia

Fest steht nur: Manne hat unter großem Verzicht gelitten, denn mit Freuden und Vergnügen hat er Geschichts- und Fasnachts-Interessierte durch den Rheintorturm geführt. Doch wegen der Corona-Auflagen war das der Satz mit X. Dabei liebt er seinen Rheintorturm innig und macht andere gerne mit diesem besonderen Bauwerk vertraut.

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Erst einmal räumt Markus Weber mit einem Trugschluss auf: „1196 wurde der Turm erbaut? Wer das herausgefunden haben will, der hat nicht richtig nachgeschaut“, stellt er fest. Zwar wurde das „Tor zur Stadt anno 1255 das erste Mal erwähnt, aber es stand da drüben“, wobei Weber in Richtung Niederburg zeigt.

Warum es sich um eine Mär handeln muss: „Das Gelände hier wurde erst im 13. und 14. Jahrhundert aufgeschüttet, deshalb kann der Turm gar nicht vorher entstanden sein“, erläutert er. Damit nicht genug seiner Belege: „Das Dachgebälk wurde dendrochronologisch untersucht (Anmerkung der Redaktion: Bestimmung des Holzalters) und auf 1358 datiert.“

Wissenswertes rund um den Rheintorturm

Das Bemerkenswerte: „Der Rheintorturm war das einzige Tor nach Norden“, schließlich führte eine hölzerne Brücke eben durch dieses Tor. Der Torturm als Teil der mittelalterlichen Stadtbefestigungsanlage ist stattlich. „Er gründet auf Pfählen, vermutlich Eiche“, so Markus Weber.

Bezüglich des darüber aufgebauten Rorschacher Sandsteins wirft er eine Zahl in den Raum, die staunen lässt. „Der Turm wiegt etwa 2500 Tonnen. Das hat wohl mal einer nachgerechnet. Die Grundfläche misst neun auf neun Meter und im obersten Stock 11,5 auf 11,5 Meter. Der Turm liegt 35 Meter über dem Wasser; das schwankt mit dem Wasserstand“, bemerkt Weber humoresk, ohne Hintergedanken an einen etwaigen wackelnden Münsterturm.

Faszinierend ist der Blick zur Holzdecke: Handwerkskunst in Perfektion.
Faszinierend ist der Blick zur Holzdecke: Handwerkskunst in Perfektion. | Bild: Scherrer, Aurelia

Wie das Schnetztor auch wurde der Rheintorturm nur dreiseitig gemauert und war in Richtung Stadt offen. Aus gutem Grund: „Falls Feinde den Turm eingenommen hätten, hätten sie sich nicht verbarrikadieren können. Echt raffiniert“, sagt Markus Weber und dabei schwingt in seiner Stimme Hochachtung mit, vor allem wenn er in die Rheingasse, die Fortführung vom Rheintorturm in die Altstadt, zeigt und erläutert: „Die Straße macht einen Knick. Das hat man bewusst aus Verteidigungsgründen so gemacht, denn so konnten sich die Konstanzer verbergen und plötzlich mit Gebrüll auf den Feind losrennen. Die waren damals nicht blöd.“

Konstanzer im Kampf gegen spanische Söldner

Damit leitet Markus Weber zu einem „ganz dunklen Kapitel“ der Stadtgeschichte über: „Am 6. August 1548 wollten spanischen Söldnertruppen von Kaiser Karl V., die bereits in Petershausen lagerten, Konstanz einnehmen. Es war ein saublöder Tag für die Konstanzer, denn die Bürgerwehr war zu dem Zeitpunkt beim Übungsschießen in Weinfelden. So mussten die Konstanzer Bürger selbst zum Schwert greifen“. Markus Weber schildert die Mannkämpfe auf der hölzernen Brücke.

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Die Chancen für die Konstanzer standen schlecht, wenn nicht „ein alter, einsamer Mann, der Plimplamp genannt wurde und gleich in der Nähe wohnte, eingegriffen hätte. Als dieser die Aussichtlosigkeit der Verteidigung erkannte, hatte er einen Geistesblitz: Mit vereinten Kräften wurde die Zugbrücke hochgezogen.“ Vielen Konstanzern kostete der Kampf das Leben, doch die Stadt wurde nicht eingenommen und nicht geplündert. Bei dieser Geschichte handelt es sich nicht um eine Sage; Markus Weber bekräftigt: „Das kann man im Stadtarchiv nachlesen.“

Blick vom Rheintorturm zum Pulverturm.
Blick vom Rheintorturm zum Pulverturm. | Bild: Scherrer, Aurelia

Zurück zum eigentlichen Bauwerk und der hölzernen Rheinbrücke, die Petershausen und die Kernstadt verband. „Gott sei Dank wurde der Rheintorturm aus Sandstein gebaut“, merkt Markus Weber an, denn sonst wäre dieses Baudenkmal längst nicht mehr erhalten. „Mehrfach hat die Brücke gebrannt: 1430, 1548, 1585 und 1675. Am 1. Juni 1856 das letzte Mal. Sie wurde nicht mehr aufgebaut, sondern dann 60 Meter entfernt in schlankerer Form errichtet“, erzählt er. Dieser Großbrand verdeutlichte den Konstanzern einen Sicherheitsmangel, woraufhin letztlich die Gründung der Freiwilligen Feuerwehr Konstanz erfolgte.

Bis August 1900 musste hier Zoll gezahlt werden

Es scheint, als habe ein guter Stern über dem Rheintorturm gewacht. Im 19. Jahrhundert wurden Stadtmauer und Türme größtenteils abgebrochen, weil man sie schlichtweg nicht mehr benötigte und sie der Stadtentwicklung im wahrsten Sinne im Weg standen.

Dieses Schicksal hätte auch den Rheintorturm ereilt, „aber das haben 1861 Stadtrat Ludwig Leiner und Archivrat Johann Marmor verhindert“, sagt Markus Weber, der natürlich noch ein bemerkenswertes Geschichtsdetail aus seinem Wissensfundus zaubert: „Bis zum 16. August 1900 hat man hier im Rheintorturm noch Zoll bezahlen müssen. Torzölle für Mensch und Tier, die im 19. Jahrhundert Chaussee-Geld genannt wurde. Da hat man es sich zweimal überlegt, ob man rein oder raus will.“

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Im Jahr 1990 hat das Hochbauamt der Stadt Konstanz die Fassade des Turms renoviert. Nach dem Vorbild von Blätzlebuebe-Zunft, Handwerker-Initiative und Narrengesellschaft Niederburg, die sich der beiden anderen Türme angenommen hatten, wurde auf Anregung von Helmuth Grathwohl und Max Braunschweig 1996 die Initiative Rheintorturm gegründet. Von der Stadt Konstanz erhielt der Verein 1997 einen Mietvertrag und letztlich die Baugenehmigung für den Innenausbau.

Der Verein sammelte hierfür Spenden und die Gemeinschaft Konstanzer Fanfarenzüge brachte mächtig viel Eigenleistung ein. „Es waren mehr als 10.000 ehrenamtliche Arbeitsstunden“, merkt Markus Weber an. Im Jahr 2008 wurde im Dachgeschoss das Konstanzer Fasnachtsmuseum eröffnet, das anschaulich Einblick in das vielseitige Brauchtum – der DNA der Konstanzer – gibt. Turmgeist Manne ist da selbstredend mit von der närrischen Partie, schließlich versteht er es trefflich, andere von der einzigartigen Konstanzer Fasnacht zu begeistern.

Turmgeist Manne (Markus Weber, der dem Konstanzer Hansele gerade Guetsele stibitzt) ist ein Kenner der Konstanzer Fasnacht und ist im ...
Turmgeist Manne (Markus Weber, der dem Konstanzer Hansele gerade Guetsele stibitzt) ist ein Kenner der Konstanzer Fasnacht und ist im Fasnachtsmuseum im Rheintorturm absolut in seinem Element. | Bild: Scherrer, Aurelia