Der Pulverturm, direkt am Rhein an der Kurve von Rheinsteig und Unterer Laube gelegen, ist noch heute sichtbares Monument der wehrhaften, mittelalterlichen Stadt Konstanz. Und er gibt so manches Rätsel auf, denn wirklich wissenschaftlich erforscht wurde er bislang noch nicht, wie Mario Böhler, Präsident der Narrengesellschaft Niederburg, feststellt.
„Mir ist ein Faltblatt vom Pulverturm in die Hände gefallen. Nett und gut“, merkt er an. „Da steht vieles Richtiges drin, aber es dürfte noch etwas mehr sein“, findet er, der beim Lesen über einen wesentlichen Satz stolperte: „Der Ziegelturm – gegenwärtig Pulverturm genannt – wurde im Jahre 1321 erbaut.“ Der Niederburg-Präsident stutzte: Ein Jubiläum!
Historiker aus der Badewanne geklingelt
Der Fest-affine Fasnachter hatte eine Idee: Wenn wegen der Pandemie mit dem Coronavirus kein Fest möglich sein dürfte, so könnte man in einem handlichen Heft die Historie aufarbeiten. Umgehend rief er bei Historiker Daniel Groß an. „In der Badewanne hab ich ihn erwischt“, schmunzelt Mario Böhler. Wahrscheinlich hat sich Daniel Groß noch nicht einmal abgetrocknet, als er schon seine Zusage gab, als Autor tätig zu werden.

Seine Hand ins Feuer legen würde Daniel Groß für das Erbauungsdatum 1321 nicht. „Es gab noch keine dendrochronologische Untersuchung (Anmerkung der Redaktion: Bestimmung des Holzalters)“, stellt er fest und fügt an: „Wahrscheinlich wurde er mit der Stadtmauer gebaut.“ Er wünscht sich, dass der Pulverturm endlich einmal wissenschaftlich erforscht wird, denn vieles gründet noch auf Mutmaßungen.
Daniel Groß geht davon aus, dass der Pulverturm – im Gegensatz zu den Tortürmen als Eingangstore zur Stadt – als maritimer Wehrturm diente. Zudem schreibt er ihm eine weitere Funktion zu: „Wahrscheinlich diente dieser Eckturm dazu, die Stadtmauer stabil zu halten.“ Die Mauer entlang des Rheins schied den Fluss vom Wassergraben, beschreibt Daniel Groß. So müsste der Pulverturm im Mittelalter von allen Seiten von Wasser umgeben gewesen sein.
Wieso hat der Turm drei Namen?
Fasziniert ist Daniel Groß von der Bautechnik des massiven Bauwerks „auf nicht gerade festem Boden“. „Er ist 21 Meter hoch und damit der kleinste der noch bestehenden Türme, dafür aber der mit den dicksten Mauern“, so Groß. Im Eingangsgeschoss umschließen 2,5 Meter dicke Mauern die quadratische Grundfläche, die zehn auf zehn Meter misst. „Nach oben hin verjüngen sich die Mauern auf etwa 1,5 Meter“, beschreibt der Historiker, der auf die Namensgebung hinweist: „Er hat eigentlich drei Namen: Ziegel-, Pulver- und Judenturm.“

Im Mittelalter wurde er nach dem angrenzenden Quartier, das Ziegelgraben hieß, wie Daniel Groß erzählt, Ziegelturm genannt. Der Name Pulverturm rührt daher, dass er mit Waffen bestückt war und zeitweise zur Dauerstationierung von wehrhaften Männern diente. „Im späten 19. Jahrhundert ist auch von Judenturm als singulärer Name der Rede, weil im Mittelalter hier im Kerker auch Juden eingesperrt waren“, so Groß.
Ein Rätsel ist ihm, warum der Pulverturm nicht abgetragen wurde, als im 19. Jahrhundert Stadtmauer und Türme abgebrochen wurden, um der Stadtentwicklung Vorschub zu leisten. Der frühere Stadtrat und Gründer des Rosgartenmuseums Ludwig Leiner hatte sich nämlich „nur für den Erhalt von Schnetztor und Rheintorturm eingesetzt“, erzählt Daniel Groß. Fest steht hingegen, „dass der Pulverturm im Zweiten Weltkrieg als Panzerfaust- und MG-Nest diente. Darüber wird der Historiker Lothar Burchardt einen Artikel für unsere Broschüre schreiben“, fügt Mario Böhler einen kleinen Werbeblock ein.
Heimat der Narrengesellschaft Niederburg
Dass der Pulverturm nicht dem Zerfall preisgegeben wurde, ist letztlich der im Jahr 1982 gegründeten Handwerkerinitiative Pulverturm um Ernst Redl und Ernst Held zu verdanken, die das historische Monument sanierte. Die Stadt Konstanz stellte ihn dann 1992 der Narrengesellschaft Niederburg zur Nutzung zur Verfügung.

Karl-Heinz Nack, seinerzeit Dreizehnerrat der Niederburg und amtierender Turmwächter, ist die „besenreine Übergabe“ unvergessen, denn: „Ein Boden war nicht drin, lediglich die Querbalken; von Strom und Wasser ganz zu schweigen.“ Niederbürgler, Freie Blätz und befreundete Handwerker haben dann in enger Abstimmung mit dem Landesdenkmalamt den Innenausbau bewerkstelligt. Drei Jahre lang arbeiteten sie hart.
„Der Pulverturm atmet Gesichte“, meint Mario Böhler. Er empfindet es als Ehre, dass die Narrengesellschaft ihn nutzen darf, und als Auftrag, ihn in Schuss zu halten und dann und wann für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen, zum Beispiel im Rahmen des Konziljubiläums, der Reihe „Literatur in den Häusern“ oder eigenen Veranstaltungen.