Dass Kinder und Jugendliche ihrem Gegenüber in einem Konflikt mit dem älteren Bruder drohen, kommt schon mal vor. Dass dieser dann aber bei seiner Ankunft auf Minderjährige einschlägt, ist ungewöhnlich. Die Konstanzer Richterin Peltz spricht von einem „unnötigen Vorfall“, der an Verhaltensmuster aus dem Kindergarten erinnere.
In der Anklageschrift wirft der Konstanzer Staatsanwalt Sklar drei angeklagten Brüdern vor, auf Minderjährige eingeschlagen und sie teilweise verfolgt zu haben, als diese zu fliehen versuchten. Ein Jugendlicher sei nach Schlägen des ältesten Bruders sogar bewusstlos zu Boden gesunken. Erst als Passanten eingriffen, habe die Auseinandersetzung ein Ende gefunden. Auf Körperverletzung steht in Deutschland eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder eine Geldstrafe.
Brüder sehen sich selbst in der Opferrolle
Zu Beginn des Prozesses sind sich die drei Geschwister in ihren Aussagen einig: Sie wurden 2021 selbst Opfer bei der Konfliktsituation vor dem Einkaufszentrum am Zähringerplatz. Schon vor dem Vorfall sei der jüngste Bruder, damals 15 Jahre alt, von einer Gruppe Jugendlicher bedroht worden. „Einen Tag vor der Auseinandersetzung vor dem Kaufhaus standen mehrere von denen bei uns vor der Haustüre und wollten, dass mein Bruder rauskommt. Ich habe sie dann einfach nur weggeschickt“, erklärt Mario G., der mittlere Bruder.
Am Tattag selbst sei Jeremy G., der jüngste Bruder, vor dem Einkaufszentrum von mehreren Jugendlichen bedrängt worden. Weil er Angst gehabt habe, habe er mit seinem Smartphone seine Brüder angerufen, um sie um Hilfe zu bitten. Mario G. erinnert sich vor Gericht daran, dass sein Bruder geweint habe und ihm durch das Telefon kurz darauf jemand anderes zugerufen habe: „Komm her, deine Schläge abholen. Sonst ist dein Bruder dran.“ An eine solche Aussage erinnert sich im Verlauf der Verhandlung keiner der Zeugen.
Video zeigt nur einen Ausschnitt
Als Simon G., der älteste Bruder, und Mario G. mit dem Auto am Zähringerplatz ankamen, sei alles ziemlich schnell gegangen. Entgegen der Anklageschrift seien die Brüder nach eigener Aussage von den Jugendlichen attackiert worden und hätten sich lediglich gewehrt. „Einer hat seinen Rucksack auf den Boden geworfen, als er mich sah, ist auf mich zu gerannt und hat mich am Kragen gepackt. Da habe ich einfach versucht, mich aus seinem Griff zu winden“, sagt Simon G., der wegen mehrerer Vorstrafen bereits hinter Gittern saß.
Richterin Peltz zieht vor Gericht ein Video als Beweis hinzu, das aus einiger Entfernung von Unbeteiligten aufgenommen wurde. Der Nachteil an dem kurzen Film: Die Rangelei war bereits in vollem Gange, es bleibt offen, wie der Streit zu Beginn eskalierte. Es ist also nicht zu erkennen, ob die Aussagen der Brüder stimmen – sie können jedenfalls nicht klar als Angreifer identifiziert werden.

Wie schon die drei Brüder sind sich auch die geschädigten Jugendlichen bei ihren Aussagen vor Gericht einig. Ihnen zufolge hat Simon G. die erste Backpfeife ausgeteilt, woraufhin der Streit eskaliert sei. In vielen weiteren Punkten und vor allem im Detail widersprechen sie sich aber gegenseitig. Teilweise stimmen zudem ihre Aussagen vor Gericht nicht mit den eigenen Angaben gegenüber der Polizei direkt nach der Schlägerei überein. Der angebliche Grund: Sie könnten sich nicht mehr genau an das Geschehen erinnern.
Das erzürnt Verteidiger Zahner so sehr, dass er die einzelnen Zeugen nach ihren Aussagen regelrecht mit Fragen bombardiert und ihnen sogar Falschaussagen vorwirft. Richterin Peltz muss eingreifen und den Rechtsanwalt daran erinnern, den Zeugen lediglich angemessene Fragen stellen zu dürfen. Selbst ein nicht am Streit beteiligter Zeuge kann dem Gericht keine Details zum Tathergang liefern, da auch er sich nur vage an den Tag erinnert.
Verständigung statt Vertagung
Weil der genaue Hergang nicht festgestellt werden kann, ist Verteidiger Zahner gerade dabei, die Ladung zweier neuer unbeteiligter Zeugen zu beantragen, als Staatsanwalt Sklar eine Verständigung vorschlägt. Der Lösungsvorschlag findet Anklang, da die Verhandlung sonst hätte vertagt werden müssen.
Eine Verständigung im Strafverfahren ist eine legitime Möglichkeit, bei der sich das Gericht mit den Verfahrensbeteiligten über den weiteren Fortgang und das Ergebnis verständigt. Und tatsächlich kommt es zu einer Lösung, die für alle Beteiligten in Ordnung ist. Auch die drei Brüder stimmen dem Ergebnis der Verständigung zu. Wenig später spricht die Konstanzer Richterin Peltz nach viereinhalb Stunden das „wenig überraschende“ Urteil. Vor dem Zähringerplatz hätte es an besagtem Tag „eine Auseinandersetzung unter Jugendlichen bleiben können“.
Simon G. bekommt wegen zahlreicher Vorstrafen und Einträge im Bundeszentralregister eine Freiheitsstrafe von acht Monaten auf Bewährung. Mario G. bekommt eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu jeweils 20 Euro, als 1800 Euro. Jeremy G., der seine älteren Brüder überhaupt erst in die Bredouille brachte, kommt mit einer Verwarnung und einer geringen Geldauflage davon. Die Urteile gegen die beiden älteren Brüder sind noch nicht rechtskräftig. Jeremy G. nimmt das Urteil vor Gericht an.