Draußen verlassen gerade zwei Männer einen Flur. Sie sind groß, wirken stark wie Schränke. Anwalt Christoph Nix zeigt auf sie, sagt, dass sie angeben, vom Angeklagten beim Stadtgartenfest im August 2019 beleidigt worden zu sein. Die Version seines Mandanten hört sich anders an, die Security-Mitarbeiter seien übergriffig geworden – möglicherweise aus rassistischem Motiv. „Da sitzt der Falsche auf der Anklagebank“, sagt Christoph Nix. Deshalb ist es wichtig, dass der Prozess in allen Belangen sauber abläuft.
Amtsgericht Konstanz, Saal 44. Die Akustik ist miserabel, aber daran liegt es nicht, dass man sich nicht versteht. Richterin Marie-Theres Polovitzer eröffnet eine Verhandlung mit politischer Dimension. Sie hat erst ein paar Worte gesprochen, da grätscht der Anwalt des Angeklagten dazwischen. Er sieht keinen Sinn in einem Prozess, bei dem die Hilfe eines Dolmetschers nötig ist, dieser aber die Sprache des Angeklagten nicht versteht.
Christoph Nix, der Anwalt, hat das noch in der Nacht vor der Verhandlung recherchiert. So wie er das sagt, hört es sich an, als solle hier in einer Mischung aus Posse und Skandal verhandelt werden.

Die Richterin macht auf Routine und lässt den Anwalt abblitzen. Er solle seine Einwände schriftlich einreichen. Bitte was? – Christoph Nix glaubt nicht recht zu hören. Wieso das denn? Das habe er noch nie erlebt, sagt er, und versucht einen Schleichweg. Er formuliert seinen Antrag, langsam – sodass die Gerichtshilfe mitschreiben kann. Aber die Richterin bleibt hart. Der Anwalt soll seine Bedenken schriftlich einreichen.
Christoph Nix: Ein Anwalt – und kein Schuljunge
Sofort ist Christoph Nix in seinem Element, dem einstigen Intendanten des Konstanzer Theaters schwillt die ergraute Mähne. Er vermutet Befangenheit der Richterin. Er hält die Verhandlungsführung der Richterin für nicht angemessen. Eine Zurechtweisung kontert er mit der Bemerkung, dass er kein Schulbub sei. Er fordert Aufklärung. Wo denn geschrieben stünde, dass das Vorgehen der Richterin rechtens sei. Also wird die Verhandlung unterbrochen, die Richterin zieht sich ins Hinterzimmer zurück.
In der Pause herrscht Schweigen und die Zeit, den Saal genauer in Augenschein zu nehmen. Ist das Barock? Oder Rokoko? Auf jeden Fall Konstanz und vermutlich eine Kopie von beidem. Himmlisches als Deckengemälde, Spiegel, Lüster, an der Kamin-Attrappe hängen die Putten. Eine Bühne, wie geschaffen für Christoph Nix.
Lange hält es ihn nicht auf seinem Stuhl hinter dem gläsernen Virusschutz. Er steht auf, die Robe wallt und er fragt in die schweigende Runde der Wartenden, ob er lüften dürfe. Er darf. Ob er es wegen Corona tut, ist eine andere Frage. Seine Gesichtsfarbe – irgendwie scheint sie in Rouge getaucht.
Der Prolog endet, der Spannungsbogen baut sich auf
Marie-Theres Polovitzer kehrt zurück, nennt einen Paragrafen. Christoph Nix schlägt nach und in seinem Buch steht offensichtlich etwas, was die Vorgehensweise der Richterin zu bestätigen scheint. Trotzdem! So etwas ist ihm neu, aber inzwischen ist es egal. Die Gerichtshilfe hat kopiert, was beim Anwalt auf dem Papier steht, und also liegt Schriftliches vor. Ende des Prologs, man kann zur Sache kommen.
Beim Verständnis hilft das nicht weiter. Es geht um Malinke und Maninka, was sich laut Christoph Nix so ungefähr verhält wie das Flämische zum Hochdeutschen. Er selbst könne das nicht beurteilen, aber so sei‘s ihm bei der nächtlichen Recherche von einer Sprachwissenschaftlerin bestätigt worden. Die Richterin hat auch keine Ahnung von Afrika und also wird der Dolmetscher befragt, der zuvor einen Schwur auf die Gewissenhaftigkeit bei seinen Übersetzungen ablegt.
Der Mann räumt ein, dass er möglicherweise nicht bei jedem Ausdruck sattelfest ist. Aber so weit auseinander lägen Malinke und Maninka nun auch wieder nicht, es handle sich im Prinzip um ein Verhältnis wie im Deutschen zwischen Hochsprache und Dialekt. Oder Nord- und Schwyzerdütsch.
Prompt schießt ein Gedanke durch den Kopf: „Häsch ‚s Puff“ – sagt man nicht so bei den Nachbarn? Doch der Schnörkel verliert sich, weil der Dolmetscher inzwischen tief in die Geschichte Guineas, Gambias und dem Senegal eingedrungen ist. Er erklärt, was im 19. Jahrhundert geschah und wie sich dadurch die Sprachinseln ausbildeten.
Reichen die Sprachkenntnisse denn nun?
Die Richterin hält sich eher an die Gegenwart und will deshalb auch den Angeklagten hören. Der hat sich zwischenzeitlich auf Malinke oder Maninka mit dem Dolmetscher unterhalten, aber angeblich habe man sich nicht verstanden. Marie-Theres Polovitzer antwortet er jetzt auf deutsch – so gut, dass man ihn sogar besser versteht als phasenweise den Dolmetscher. Das sagt die Richterin dem Angeklagten auch. Wenn‘s drauf ankommt, erwidert der Angeklagte, reiche sein Deutsch aber eben doch nicht. „Ist nicht so tief“, sagt er.
Klar ist, dass man so nicht weiter kommt. Es herrscht kein Vertrauen zwischen dem Angeklagten und dem Dolmetscher, sagt Christoph Nix und verweist darauf, dass es in relativer Ortsnähe Dolmetscher gebe, die die Sprache beziehungsweise den Dialekt seines Mandanten beherrschten. Er jedenfalls könne so den Prozess nicht verantworten.
Und immerhin, da kommt es zu einer Verständigung. Denn auch Richterin Marie-Theres Polovitzer will ein sauberes Verfahren. Sie lässt die Zeugen in den Saal rufen, damit sie ihre Auslagen quittieren. Sie werden noch einmal kommen müssen. Wenn es nach Erfahrungswerten geht, wird das mindestens sechs Wochen dauern.