Michael Palm ist ein „homo ludens“, ein spielender Mensch, über den der Kulturwissenschaftler Jospeh Huizinga schon 1938 in seinem gleichnamigen Buch geschrieben hat, dass dieser Menschentypus sich die Welt durch Spielen aneigne. 1991 kam Palm an den Bodensee, um Jura zu studieren und machte gleich einen Aushang: „Suche Brett-und Rollenspieler“, die er auch schnell in einer Wohngemeinschaft fand. Dort spielte man viel und oft.

Bald stellte sich ihnen die Frage, warum es eigentlich in Konstanz nicht, wie in allen anderen größeren Städten Baden-Württembergs, einen Comic-und Spieleladen gab. Ja, warum eigentlich nicht? Also gründeten sie zu viert 1993 den „Seetroll“, neben dem Studium, das Michael Palm dann abbrach.

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Mehr als 30 Jahre sitzt er nun also schon an Brettspielen. Spielt und probiert sie aus, um sie dann in seinen Läden in Friedrichshafen und Konstanz zum Verkauf anzubieten. Oder spielt einfach nur so. Sein erstes selbst entworfenes Brettspiel hieß „Volle Lotte“ (1990), wurde noch von Ravensburger abgelehnt, „obwohl ich extra dafür sauteure Farbkopien gemacht hatte.“

Und nun das: Der Große Erfolg. Am 16.Juli wurde sein Brettspiel „Dorfromantik“, das er zusammen mit Lukas Zach aus einem Videospiel weiterentwickelte und umgestaltete, als „Spiel des Jahres 2023“ ausgezeichnet. Deshalb weilt Palm auch noch in Berlin, nur telefonisch erreichbar, die Preisverleihung noch in frischer Erinnerung. „Ich bin überwältigt!“ Er schwebe immer noch, wache morgens auf und sage sich: „Ja, es ist wahr! Das ist in unserer Branche wie der Gewinn eines Oscars für den besten Film!“

Ein Mehrgenerationenspiel

In „Dorfromantik“ legen bis zu sechs Spielende gemeinsam eine Landschaft zusammen und versuchen gleichzeitig, Aufträge der Bevölkerung zu erfüllen: Ein möglichst langes Gleis bauen oder Bäume pflanzen. Um so zu Punkten zu kommen. „Ein kooperatives Mehrgenerationen-Spiel, bei dem es nicht ums Gewinnen geht.“ Alle Entscheidungen, so Palm, werden belohnt, am Ende habe man eben gemeinsam mehr oder weniger Punkte erzielt. Man könne sich einbringen oder nur dabei sein, wie man möchte. Ein Kampagnenbaum in der Mitte motiviert, weitere Runden zu spielen, bei denen dann zusätzliche Aufgaben warten.

Palm wohnt im Hegau in Watterdingen. „Ich gehe mit meiner Familie oft auf den Mägdeberg.“ Von dort habe er während der Entwicklungsphase dem Dorfromantik-Team dann Fotos geschickt und drunter geschrieben: „Schaut mal, wer in der Dorfromantik-Welt zu Hause ist!“ Wiesen, Hügel, ein vorbeifahrender Seehas, ein sich schlängelnder Fluss. „Natürlich ist unsere Umsetzung von dieser Gegend inspiriert.“ Auch wenn das ursprüngliche Videospiel aus Berlin kommt. Vier Studenten haben es als ihre Masterarbeit entworfen, angeregt durch Carcassonne, gründeten daraufhin eine Firma und wurden vom Erfolg so überwältigt, sodass sie zu einer Umsetzung in ein Brettspiel nicht mehr kamen.

Stand Pate für das Spiel des Jahres: Das Dorf Watterdingen, Wohnort des Spieleerfinders.
Stand Pate für das Spiel des Jahres: Das Dorf Watterdingen, Wohnort des Spieleerfinders. | Bild: Uli Zeller

Da saß Michael Palm gerade mit Lukas Zach, der in Bremen lebt und mit dem er seit 20 Jahren Spiele entwirft, an einer Idee, die in der Südsee spielen sollte. „Aber Lukas hatte auf Dorfromantik schon ein Auge geworfen, weil es 2020 zum Computerspiel des Jahres nominiert war.“ Und deshalb baten sie den Spieleverlag Pegasus: „Bitte, holt euch diese Lizenz!“ Was Geschäftsführer Andreas Finkernagel auch tat.

Man kam ins Geschäft und so machten sich Lukas Zach und Palm an die Arbeit, 15 Monate lang. „Es war Corona, wir hatten Zeit.“ Palms beide Söhne, damals fünf und sieben, spielten eifrig in der Erprobungsphase mit, bis sie stöhnten: „Papa, können wir mal was anderes spielen?“ Der Jüngere gestaltete sogar eigene Legeplättchen. „Guck mal, hier treffen sich Gleise und Fluss!“ An der Arbeit habe wirklich alles Spaß gemacht: Vom Gestalten der Plättchen über die Entwicklung des Belohnungssystems und der Zusatzaufgaben.

Anspannung vor dem Preis

Als es dann im Herbst 2022 auf den Markt kam, wurde es von der Kritik gleich sehr wohlwollend besprochen. Maren Hoffmann von Spiegel online, die nun in Berlin auch in der Jury saß, schrieb zum Beispiel, Dorfromantik sei „wie ein Schaumbad mit extra Prickel“. So sei im Vorfeld bald klar gewesen, dass sie gute Chancen hätten, zu gewinnen. „Aber die Favoritenrolle machte es auch nicht einfacher für Geist und Körper.“ Die Anspannung vorher war riesig.

Sonntagabend dann: Holger Sienich, der bei „Wetten dass…?“ eine Wette gewonnen hatte, indem er blind Spiele alleine durch das Ausschütten der Packung erkannte hatte, öffnet das Kuvert und verkündete: „Und der Gewinner ist Dorfromantik.“

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Normalerweise würden von einem Spiel eine Auflage von 5000 Stück produziert. „Dorfromantik hatte schon vor der Preisverleihung mehrere Auflagen.“ Es kam von Anfang an gut an. Und jetzt, nach der Preisvergabe, gehe der Verkauf natürlich durch die Decke. Ein großer Online-Händler meldete schon wenige Tage später: ausverkauft.

Im „Seetroll“ in Konstanz aber nicht. Da stapeln sich die Exemplare noch bis fast unter die Decke. Und dahin wird Palm nun in den nächsten Tagen zurückkehren. „Und dann können alle gerne vorbeikommen, die sich das Spiel signieren lassen wollen.“ Alle von der treuen Kundschaft, „die oft ein Spiel einfach gekauft haben, wenn sie gesehen haben, ach, das ist von euch“. Und die das Geschäft in drei Jahrzehnten so wunderbar unterstützt hätten.