Im Uferpark von Ludwigshafen geht es quirlig zu. Vorne am Steg liegt die „Hoppetosse“, das Schnellboot des Vereins Wings for handicapped. Denn Kinder und Jugendliche mit verschiedensten Einschränkungen dürfen heute mitfahren – und ein ganz besonderes Abenteuer erleben. Der Bootsname klingt fröhlich und passt genau zur 16. Bodenseetour des Vereins, die in Konstanz, Ludwigshafen, Friedrichshafen und erneut in Konstanz Station macht.

„Hoppetosse“ heißt nämlich auch das Schiff von Kapitän Efraim Langstrumpf, dem Vater von Pippi Langstrumpf aus den Kinderbüchern der schwedischen Autorin Astrid Lindgren. Und Pippi ist bekanntlich das stärkste Mädchen der Welt, das vor nichts und niemandem zurückschreckt und das Unmögliche möglich macht. Ein Blick in die Gesichter der Teilnehmer zeigt: Sie genießen den Ausflug samt Nervenkitzel und haben viel Spaß.
So kam es zu der besonderen Aktion
Die Wasserschutzpolizei unterstützt die Aktion des Vereins Wings for handicapped. Thomas Biller, Leiter der Wasserschutzpolizeistation Konstanz, erklärt, wie es zu der Verbindung kam. Beim Kompetenzzentrum Bootskriminalität der Wasserschutzpolizei Konstanz (KBK), das nicht nur am Bodensee zuständig, sondern auch zentrale Fahndungsstelle in Europa sei, kooperiere man mit diversen Fach-Publikationen, wie beispielsweise der Zeitschrift „Boote“.

Deren ehemaliger Autor Gernot Apfelstedt habe sowohl den Vereinsgründer Jörg Leonhardt, als auch die Konstanzer Fahnder gekannt und den Kontakt hergestellt. Matthias Mink, Leiter des Kompetenzzentrums Bootskriminalität, habe mitgeholfen und die Aktion habe sich so über Jahre entwickelt.
Normalerweise fährt Jörg Leonhardt, der nach einem Unfall querschnittsgelähmt ist, das Boot selbst. Diesmal sei er verhindert, sodass Billers Amtsvorgänger Andreas Dummel als Fahrer fungiere.
Wassersportfreunde sind seit vergangenem Jahr dabei
Roland Schober, Vorsitzender der Wassersportfreunde Ludwigshafen, macht an Land eine kurze Pause am Grill, um ein paar Sätze beizusteuern. Sie seien zum zweiten Mal bei der Bodenseetour dabei. „Vorher haben wir beim Kinderferienprogramm der Gemeinde mitgewirkt. Thomas Biller hat bei uns am Steg sein Boot liegen, so erfuhren wir von der Veranstaltung. Wir waren uns schnell einig, dass wir diese unterstützen können und werden das auch in Zukunft gerne machen“, erklärt er. Einige Mitglieder, die nicht mehr im aktiven Berufsleben stünden, brächten sich ein.
Einer von ihnen ist Bernhard Thum. Er sieht im Uferpark den besten Platz für ein solches Angebot: Es gebe Toiletten, das schützende Dach der Konzertmuschel und nahegelegene Parkplätze – das hätten mehrere Betreuer schon erfreut festgestellt. Während es an anderen Orten rein ums Fahren gehe, unterstützen die Gastgeber die Aktion außerdem mit Würstchen, Brötchen und Getränken, so Thum.

Kinder kommen sogar aus dem Schwarzwald
Auf der Wiese helfen die Betreuer und Vereinsmitglieder der Wasserfreunde Ludwigshafen den Teilnehmern beim Anziehen der Schwimmwesten. Die Kinder und Jugendlichen mit unterschiedlichen Behinderungen kommen aus den Camphill Schulgemeinschaften Brachenreute, der Carl-Orff-Schule Villingen-Schwenningen, vom Sonderpädagogisches Bildungs- und Beratungszentrum (SBBZ) St. Christoph in Zußdorf und der Arbeiterwohlfahrt Kreisverband Konstanz, Bereich Sozialpsychiatrie.
Sie werden mit ihren Betreuern etwa zu zehnt auf dem Schnellboot platziert. Manchmal ist es gar nicht so leicht, aber gemeinsam schaffen die Männer am Steg es, auch Rollstuhlfahrer ins Boot zu setzen. Thomas Biller sagt: „Das ist eine Sache der Teilhabe, so etwas können viele sonst nicht erleben. Je schwerer sie behindert sind, umso unwahrscheinlicher ist es, dass sie unmittelbar das Wasser erfahren können.“ Er erinnere sich an Äußerungen wie „Das ist mein schönster Tag“ und wisse, dass sich viele lange darauf freuen, wieder mitfahren zu dürfen.
Wichtige Erfahrungen für die Teilnehmer
Roland Schober bestätigt, es gäbe keine Berührungsängste mit den Teilnehmern. „Das ist eine wichtige Veranstaltung. Die Teilnehmer können Erfahrungen machen, die fürs Leben wichtig sind – in Bereichen, zu denen sie sonst keinen Zugang haben“, erklärt er. Er nennt das Gefühl der Geschwindigkeit, das Spüren des Wellengangs, der aufs Boot schlägt, das Einhalten von Regeln wie das Tragen einer Schwimmweste oder auch das Wissen, dass man, auch wenn das Wetter nicht so toll ist, aufs Wasser kann.
Er beobachtet: „Wenn sie vom Boot kommen, sind die Berührungsängste zum Wasser bei den meisten Teilnehmern weg. Auf dem Boot wirken Kräfte, denen man sich entgegensetzen muss. Heute ist der See schön glatt. Andreas Dummel kann fahren wie er möchte und das richtig ausnutzen.“
An Bord ist die Aufregung greifbar. Als Dummel zum „Countdown wie beim Raketenstart“ auffordert, zählen alle laut von zehn bis eins runter. Er beschleunigt, dreht Kurven, baut Wellen auf und rast hindurch. Jubel und begeisterte Ausrufe sind die Folge. Am Ufer ernennt er alle Bootsinsassen zu Seebären.
Lehrer heben Bedeutung hervor
Ralf Keinath, Lehrer am SBBZ St. Christoph, bestätigt die Wahrnehmung der Veranstalter: „Wir waren schon regelmäßig in Lindau dabei, jetzt zum zweiten Mal in Ludwigshafen. Für unsere Schüler ist es ein gigantisches Erlebnis. Es verlangt ihnen viel ab, kostet sie Überwindung und sie haben Respekt vor der Geschwindigkeit. Aber es ist ein unglaubliches Körperempfinden, gerade für Rollstuhlfahrer.“
Nach der Fahrt seien sie mächtig stolz auf ihr persönliches Erfolgserlebnis. Seine Kollegin Carolin Müller lobt den einfühlsamen und liebevollen Umgang der Helfer vor Ort. Die helfen zu dem Zeitpunkt bereits der nächsten Gruppe in die „Hoppetosse“.