Damit hatte Kati Sallai-Balog nicht gerechnet: Nachdem sie in einem SÜDKURIER-Artikel Ende März ihrem Ärger über die Wiedereinführung der Grenze zwischen Deutschland und der Schweiz freien Lauf ließ und ihren Schweizer Lebensgefährten Adrian Lottenbach demonstrativ über den Zaun hinweg küsste, wurde sie täglich darauf angesprochen.
Medien auf beiden Seiten der Grenze wollten das Paar interviewen oder ins Studio einladen. „Wildfremde Menschen schrieben mich an. Zunächst erhielt ich viel Zuspruch“, erinnert sich Kati Sallai-Balog.
Jeder wollte die mutige Frau vom Bodensee sprechen
„Aber irgendwann ist die Stimmung etwas gekippt“, erzählt die 47-Jährige. Immer öfter wurde sie von Medien- und Rundfunkhäusern kontaktiert. Jeder wollte die mutige Frau vom Bodensee sprechen und sehen.
Nach einem Live-Interview mit dem Bayerischen Rundfunk, als sie mit einer Psychologin über die Folgen einer räumlichen Trennung diskutierte, erlebte sie erstmals negative Reaktionen.

„Ich wurde angerufen und beschimpft“, sagt sie. „Vielleicht war es ein Fehler, dass ich zugegeben hatte, dass wir uns über die Grenze geküsst haben. Aber ist das ein Verbrechen?“

Anonyme Anrufer beschuldigten sie, für die Verbreitung des Virus verantwortlich zu sein. „Ich wurde persönlich verbal angegriffen und beleidigt. Das geht zu weit.“ In Diskussionen im Internet wurde ihr gar die Schuld an der Errichtung des zweiten Grenzzauns auf Schweizer Seite, der erst später aufgebaut wurde und Treffen der Menschen mit Körperkontakt verhindert, in die Schuhe geschoben.
Ein Schweizer Radiosender rief bei ihr an, sie gab dem Redakteur Auskunft. Ein paar Tage später liefen ihre Aussagen über den Äther – Kati Sallai-Balog wurde schlichtweg nicht informiert, dass das Gespräch aufgezeichnet wurde.

Die Boulevardblätter Bild und Blick versuchten vergeblich, Kontakt mit ihr aufzunehmen. „Irgendwann haben wir beschlossen, uns zurückzuziehen. Alles, was wir wollen, ist eine normale Partnerschaft über die Grenze hinweg – so wie früher.“ Trotz der Grenze und der rund 50 Kilometer Entfernung zwischen beiden Wohnorten hatte das Paar eine gut organisierte und harmonische Beziehung, sah sich mehrmals pro Woche. „Wir wollen nur das, was andere Paare ebenfalls haben und genießen.“
„Absurde Situation“
Sie vergleicht ihre Situation mit der von Mitarbeitern des Einzelhandels: „Wenn ein Bäckereiverkäufer den ganzen Tag Kundenkontakt hat, darf er abends seine Frau in die Arme nehmen. Wir aber leben und arbeiten ohne Kundenkontakt und dürfen uns abends nicht in die Arme nehmen, nur weil eine Grenze existiert. Das ist doch absurd.“
Zuletzt wollte das Fernsehmagazin Brisant über das Paar berichten, RTL wollte sie für die Talkshow von Moderator Marco Schreyl engagieren – vergeblich. Für den SÜDKURIER macht sie eine Ausnahme.