„Ich musste bisher noch nie so lange für eine Fähre warten“, sagt Sven Scheureck an einem kalten Montagabend in Konstanz-Staad. Seit 15 Minuten steht sein Auto in der Schlange. Auf das Schiff, welches soeben den Hafen verlässt, hat er mit seinem Fahrzeug nicht mehr draufgepasst. Er wird noch 20 weitere Minuten warten müssen, bis er mit der Fähre nach Meersburg gelangen kann.

Sven Scheureck nutzt gelegentlich die Fähre. So lange warten wie aktuell musste er noch nie.
Sven Scheureck nutzt gelegentlich die Fähre. So lange warten wie aktuell musste er noch nie. | Bild: Maurice Sauter

Alle paar Wochen nutzt Sven Scheureck, der in München lebt, die Fähre für einen Heimatbesuch. Mit seinem Ärger stellt der Reichenauer keine Ausnahme dar. In den vergangenen Wochen häuften sich die Beschwerden von Fahrgästen am Fähreverkehr, der von den Stadtwerken Konstanz betrieben wird. Grund dafür ist eine Veränderung des Fahrplans seit Anfang des Jahres. Seitdem legen die Schiffe in Konstanz und Meersburg tagsüber nur noch alle 20 Minuten anstatt, wie früher, jede Viertelstunde ab.

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In der Mittagszeit mag dies kein Problem darstellen, doch in den Stoßzeiten – vor allem morgens zwischen 7 und 9 Uhr sowie abends zwischen 17 und 19 Uhr – sorgt dies dafür, dass die Schlangen und damit auch die Wartezeiten an den Anlegern immer länger werden.

Vor allem für Pendler, die die Fähre täglich nutzen, ist das ein großes Ärgernis. „Das liegt aus meiner Sicht ganz klar an der veränderten Taktung“, sagt Paul Born. Der 34-jährige Schweizer nutzt die Überfahrt des Bodensees regelmäßig, um zu seiner Partnerin nach Friedrichshafen zu gelangen.

„Nur punktuelle Beschwerden“ bei der Fähre

Die Stadtwerke Konstanz sind sich des Problems der langen Wartezeiten wohl bewusst, versuchen sich jedoch im Beschwichtigen. „Im Fährebetrieb bewegen sich die Umsätze bei circa 72 Prozent eines Normaljahres […]. Das wird natürlich auch von unseren Fahrgästen wahrgenommen, weshalb insgesamt Verständnis für die Reduzierung auf einen 20-Minuten-Takt besteht“, erklärt Pressereferentin Teresa Gärtner auf SÜDKURIER-Nachfrage. Beschwerden gebe es lediglich „punktuell in Starklastzeiten, wenn Wartezeiten entstehen, weil die Kapazität der Fähre nicht ausreicht.“

Warum wird die Kapazität dann überhaupt reduziert? Das Problem ist der Rückgang der Fahrgastzahlen wegen der Corona-Pandemie. Zählte der Fährebetrieb 2019 noch 6,17 Millionen beförderte Personen und Fahrzeuge, sank diese Zahl auf 4,81 Millionen im Jahr 2020 – ein Minus von etwa 23 Prozent. 2021 ist die Zahl mit 4,86 Millionen fast identisch.

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Der Rückgang der Kunden habe Auswirkungen auf die Ökobilanz der Fähren. Das meint zumindest Michael Müllner, der bei den Stadtwerken für den Fährebetrieb zuständig ist. Seinen Angaben zufolge würden sich die Fahrzeuge beim üblichen 15-Minuten-Takt selbst zu Stoßzeiten derart auf die verschiedenen Schiffe verteilen, sodass diese nur maximal halb voll verkehren würden. Dies sei ökologisch nicht zu vertreten.

Die Fähre fährt nachhaltig

Doch ist das wirklich so? Pro Überfahrt benötigt ein Fährschiff nach Angaben der Stadtwerke 50 Liter Diesel. „Eine positive Ökobilanz ergibt sich, wenn diese Menge durch Fahrzeuge kompensiert wird, die nicht um den See fahren“, so Teresa Gärtner. 50 Liter Diesel werden jedoch durchschnittlich bereits von etwa elf Autos verbraucht, die die circa 62 Kilometer lange Strecke zwischen Konstanz und Meersburg um den See herum auf der Straße zurücklegen.

Ähnlich verhält es sich mit den Treibhausgas-Emissionen. Bei einer Überfahrt stößt ein Fährschiff etwa 190 Kilogramm Kohlendioxid-Äquivalente aus. Dies entspricht umgerechnet ungefähr 23 Autos, die um den See herumfahren. Somit würde selbst ein halbvolles Fährschiff mit etwa 30 Fahrzeugen gemessen an Spritverbrauch und Abgasen eine positive Ökobilanz aufweisen.

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Mit ökologischen Aspekten begründeten die Stadtwerke auch die Preiserhöhungen im Fährebetrieb zum Jahreswechsel 2022. Damals setzten sie ihre Gebühren für Fahrzeuge mit einer Länge von mehr als drei Metern bei Einzel, Tages- und auch Jahreskarten um 2,5 bis 3 Prozent nach oben. Neben erhöhten Lohn- und Betriebskosten argumentieren die Stadtwerke: „Hier haben wir das Augenmerk auf den ökologischen Aspekt gelegt und wollen vor allem Fußgänger und Fahrradfahrer entlasten, weshalb es bei diesen Gruppen keine Tariferhöhung gab.“

Aber ist es wirklich ökologisch sinnvoll, das Nutzen der Fähre für Autofahrer teurer zu machen, sodass sich diese womöglich irgendwann dafür entscheiden, um den See herum zu fahren? „Nein, natürlich nicht“, entgegnet Pressereferentin Teresa Gärtner. Die Preiserhöhung solle die Kostensteigerungen abfangen. „Es können aber Anreize durch die Preisstabilität der weiteren Produktangebote entstehen.“ Es besteht also der Wunsch, dass Fahrgäste durch die Preiserhöhung in Zukunft lieber das Auto stehen lassen und auf die Fähre radeln. Für Pendler wie Paul Born, die auf ihren PKW angewiesen sind, ist das aber wohl nicht möglich.

Statt ökologischer scheinen vielmehr wirtschaftliche Zwänge Triebfeder für die Reduzierung der Taktung an den Fährablegern. Der Verlust von 23 Prozent der Fahrgäste im ersten Jahr der Pandemie führte zu einem nahezu identischen Umsatzrückgang – von 19,7 Millionen auf 15,3 Millionen Euro 2020. „Die Auslastung der Fährschiffe sinkt. Dieser veränderten Nachfragesituation wurde der Schiffseinsatz angepasst“, erklären die Stadtwerke.

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Ohne Sparmaßnahmen wie den 20-Minuten-Takt oder Kurzarbeit würde der Fährebetrieb bei den aktuellen Kundenzahlen Verluste von 3,5 Millionen Euro jährlich machen. Im Jahr 2021 erwirtschaftete dieser einen Umsatz von 15,1 Millionen Euro – weit entfernt von den ursprünglich geplanten 20,6 Millionen Umsatz und 2 Millionen Gewinn.

Weiter an der Kostenschraube drehen können die Stadtwerke nicht. Die einzige Chance, wie aus der aktuell erreichten „schwarzen Null“ wieder ein Plus werden kann, ist über eine Steigerung des Fahrgastniveaus. „Die Verkehre können nicht weiter reduziert werden und es sind auch keine weiteren Kosteneinsparungen mehr möglich“, betont Teresa Gärtner. Der Fährebetrieb ist mit dem 20-Minuten-Takt wohl an die Grenze der Praktikabilität und Kundenzufriedenheit gegangen.

Wie geht es nun weiter?

Die Hoffnung auf eine Entspannung der Pandemie-Lage und die damit verbundenen Touristenströme in der Hochsaison im Sommer könnten die Besucherzahlen und damit auch die Einnahmen verbessern. Spätestens zum 1. April soll die Fähre wieder zum altbewährten 15-Minuten-Takt zurückkehren. Dies sei auch schon früher möglich, „wenn die Auslastung entsprechend steigt. Bis dahin werden wir in Starklastzeiten möglichst passgenau ein Verstärkerschiff einsetzen“, erklärt Teresa Gärtner.

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Im Frühling will Sven Scheureck wieder auf die Reichenau zurückkehren und dabei auch die Fähre nutzen. Auf ein erneutes langes Warten in der Schlange hat er keine Lust mehr. Er sagt: „Es wäre schön, wenn es bis dahin wieder etwas schneller geht.“