Es sind nervenaufreibende Tage für Maria Brendle aus Mühlhausen. Denn die Filmemacherin, die derzeit in Zürich lebt, wartet auf eine Nachricht aus Hollywood. Dort werden dieser Tage hoffentlich die Mitglieder der US-amerikanischen „Academy of Motion Picture Arts and Sciences“ ihren Kurzfilm „Ala Kachuu“ ansehen – und ihn für gut bewerten. Denn dann käme der Film auf die sogenannte Shortlist für die Kurzfilm-Oscars 2022. Ein Lebenstraum für die 38-Jährige, deren Film unter ungünstigen Bedingungen der Corona-Pandemie startete und dennoch zahlreiche Preise erreicht hat.

„Dass wir überhaupt über die Oscars sprechen können, ist der Wahnsinn“, sagt Maria Brendle. Ein wesentliches Ziel habe sie schon erreicht: Dass mehr Menschen von der verbotenen und dennoch alltäglichen Tradition des Brautraubs in Kirgistan erfahren.

Diese Szene aus dem Film „Ala Kachuu“ zeigt einen Brautraub, bei dem eine Frau von einem fremden Mann entführt und letztlich ...
Diese Szene aus dem Film „Ala Kachuu“ zeigt einen Brautraub, bei dem eine Frau von einem fremden Mann entführt und letztlich zur Ehe gezwungen wird. | Bild: Maria Brendle

Juroren müssen den Film erst einmal wahrnehmen

„Momentan steht alles im Zeichen der Oscars“, erklärt die Filmemacherin im Gespräch mit dem SÜDKURIER. Viele Hände würden daran arbeiten, ihren Kurzfilm möglichst bekannt zu machen. Die Academy-Mitglieder, die selbst erfahrene Filmschaffende sind, müssen sich nicht alle qualifizierten Werke ansehen, sagt Brendle. Dafür seien es zu viele. Noch stünden 150 bis 200 Filme auf der Liste, die 900 Juroren vorgelegt wird. „Wenn niemand von dem Film weiß, ist die Chance aber natürlich gering, dass sie dafür abstimmen“, erklärt die Filmemacherin. Also gilt es, die Jury auf ihren Film aufmerksam zu machen.

Einer von über 40 internationalen Preisen für das Filmprojekt.
Einer von über 40 internationalen Preisen für das Filmprojekt. | Bild: Maria Brendle

Am 21. Dezember soll dann die sogenannte Shortlist mit 15 Filmen veröffentlicht werden. Nach einer weiteren Auswahl stehen die fünf Filme fest, die für den Oscar nominiert sind.

Filmdatenbank sieht ihren Film auf Platz 2

Maria Brendle darf hoffen. Sie schrieb das Drehbuch und führte Regie, nachdem ein Freund ihr von der brutalen Tradition erzählte. Nun sieht sogar die internationale Filmdatenbank Imdb (Internet Movie Database) „Ala Kachuu“ auf Platz zwei der Kurzfilme des vergangenen Jahres. Nun brauche es Geduld – auch wenn es schwer fällt. Schließlich ist ein Oscar der Lebenstraum jedes Filmemachers.

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Um Chancen auf einen Oscar zu haben, müssen Kurzfilme bei gewissen Festivals erfolgreich sein. Mit 43 Auszeichnungen nach über 60 Festivals hat Maria Brendle schon Einiges erreicht. Außerdem mietete ihr Team extra für eine Woche ein Kino in Los Angeles, damit der Film auch offline über die Leinwand läuft. „Es lief wahnsinnig gut“, sagt die Filmemacherin zusammenfassend.

Dabei startete ihr Film zum ungünstigsten Zeitpunkt: „Wir hatten den Film fertig und dann kam der Lockdown.“ Viele Festivals fanden nur noch online statt, dabei fehlte neben Einnahmen auch Begegnungen mit dem Publikum. „Im August 2020 hatten wir Weltpremiere in Rhode Island und gewannen gleich den ersten Preis. Das war eine enorme Erleichterung nach all dem enormen Druck. Und dann ging es weiter.“

Auch bei einem der wenigen Live-Termine beim Fünf-Seen-Festival in Bayern gewann Maria Brendle mit ihrem Film einen Preis.
Auch bei einem der wenigen Live-Termine beim Fünf-Seen-Festival in Bayern gewann Maria Brendle mit ihrem Film einen Preis. | Bild: Maria Brendle

Der Film sei auf der ganzen Welt gezeigt worden. Wenige Festivals habe sie auch live besuchen können, zum Beispiel in Bayern und in Ravensburg. „Das war ganz toll, mal das Publikum zu erleben. Eigentlich ist der Film ja für die große Leinwand gemacht.“

Jetzt hilft ein ganzes Team – und eine Oscar-Gewinnerin

Auch der Abschlussfilm ihres Studiums „Blinder Passagier“ hätte 2015 in die engere Auswahl für einen Oscar kommen können, erinnert sich Brendle. Doch damals habe sie weder das Wissen noch das Budget gehabt, um diesen Weg professionell zu gehen. Das sehe nun anders aus, sie werde von einer Agentur in Los Angeles beraten. Vor wenigen Tagen hat auch die Oscar-Gewinnerin Jaime Ray Newman ihre Unterstützung zugesagt. „Auch im Jahr 2021 bedeutet es in vielen Teilen der Welt die Aufgabe von essenziellen Menschenrechten, wenn man als Frau geboren wird. Maria Brendles Film ist ein Hilferuf und ich hoffe, dass nicht nur die Academy ihn bemerken wird, sondern Führer dieser Welt“, sagt Newman. Sie wird sich als ausführende Produzentin besonders um die Vermarktung kümmern.

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Der Oscar sei mehr als nur ein Preis, wie Maria Brendle betont. „Das kann einem Tür und Tor öffnen.“ Außerdem würde ihr Film dann vielleicht noch mehr gezeigt. „Ein Kurzfilm ist nichts, womit man reich wird. Mit einer Oscar-Nominierung hat er aber vielleicht mehr Chancen, dass er zum Beispiel mal im Fernsehen gezeigt wird.“

Starke weibliche Hauptrolle soll inspirieren

Der Film ist ein Herzensprojekt, das die Filmemacherin bereits seit Jahren beschäftigt. Gedreht wurde unter erschwerten Bedingungen. Teils hätten sie keinen Strom und kein Wasser gehabt, außerdem drehten sie in einem fremden Land in einer fremden Sprache. Auch das Thema lag nicht gerade auf der Hand: Dass junge Mädchen einfach geraubt und dann verheiratet werden, sei theoretisch verboten und praktisch dennoch Alltag in Kirgistan. Gesprochen werde darüber aber nie. Ihr Ziel sei gewesen, auf diesen Missstand mit einer starken weiblichen Protagonistin aufmerksam zu machen.

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„Dieses Ziel ist durch die große internationale Aufmerksamkeit erreicht“, findet die 38-Jährige nach den jüngsten Erfolgen. „Wenn wir nur einem Mädchen helfen, dann ist das schon mehr als ich mir hätte erträumen können.“ Die Filmemacherin rechnet aber damit, dass das Thema noch einige Jahre aktuell bleiben werde: „Das ändert sich leider nicht so schnell. Es gibt noch viel zu tun bei der Rolle der Frau weltweit.“

Wie es weitergehen soll

Das nächste Filmprojekt sei noch nicht konkret. Sie arbeite momentan an einem historischen Thema, das viel Zeit und Geduld für die Recherche benötige – und viel Geld für die Umsetzung. Doch erstmal darf Maria Brendle weiter vom Oscar träumen. Und von den Türen, die sich dadurch öffnen könnten.

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