Sie sind gegen die Trennung von Religion und Staat, gegen Abtreibungen, aber für erzkonservative Geschlechterrollen. Sie wähnen sich in einem göttlichen Kampf gegen dämonische Mächte und üben seit Jahrzehnten Einfluss auf die US-amerikanische Politik aus – die religiöse Rechte. Donald Trump hofft, wie schon andere republikanische Präsidentschaftskandidaten zuvor, mit ihrer Unterstützung im November ins Weiße Haus einzuziehen. Am Dienstag, 5. November, wählt die USA einen neuen Präsidenten oder eine neue Präsidentin.
Doch was ist die Geschichte der Bewegung, was treibt ihre Vertreter an, was sind ihre Ziele sowie Taktiken und wie groß ist ihr Einfluss auf die amerikanische Politik? Darüber sprach die Journalistin und Autorin Annika Brockschmidt, die sich seit vielen Jahren mit dem Thema auseinandersetzt, bei ihrem Vortrag „Amerikas Gotteskrieger“ im gut besuchten Milchwerk in Radolfzell. Moderiert wurde der Vortragsabend samt Fragerunde von Stephan Kühnle, dem Programmdirektor der Volkshochschule Landkreis Konstanz. Brockschmidt schreibt unter anderem für den „Tagesspiegel“ sowie „Zeit Online“ und sie produziert Podcasts unter anderem für die Bundeszentrale für politische Bildung über die religiösen Rechte in den USA.
Das Weltbild der religiösen Rechten
Zunächst skizzierte Annika Brockschmidt die Denkwelt der religiösen Rechten in den USA: Die Bewegung, in der bis heute weiße Evangelikale tonangebend seien, verbinde ein rechtes Weltbild mit einer rechtskonservativen Theologie. Im Zentrum davon stehe die Vorstellung, dass Amerika vor dem Abgrund stehe, weil sich das Land von Gott abgewandt habe, so Annika Brockschmidt.
Die Vertreter der Bewegung teilen vor allem eine Sache: die Idee des christlichen Nationalismus, also der engen Verbindung von Religion und Politik. Wahrer, richtiger Amerikaner könne demnach nur sein, wer ein rechtes, erzkonservativ-christliches Weltbild vertrete. Anhänger des christlichen Nationalismus könnten, aber müssten nicht zwangsläufig religiös sein.
Dass der christliche Nationalismus in den USA kein Randphänomen ist, verdeutlichte Annika Brockschmidt anhand der Studie „Taking America Back for God“ (auf Deutsch: Amerika für Gott zurückerobern) der Soziologen Samuel Perry und Andrew Whitehead.
Demnach seien über 51 Prozent der Befragten dem christlichen Nationalismus gegenüber eher positiv bis sehr positiv eingestellt, berichtete Brockschmidt. Der christliche Nationalismus sei aber ein großes Spektrum mit unterschiedlichen Strömungen, das auch über die religiöse Rechte und die republikanische Partei hinausreiche.
Die religiöse Rechte als Machtfaktor
Das erste Mal, dass die religiöse Rechte in den USA mit ihrer politischen Infrastruktur und ihren Organisationen, so wie man sie heute kenne, in Erscheinung getreten ist, sei in den späten 1970er- und frühen 1980er-Jahren gewesen. „Das heißt nicht, dass es davor keine Aktivitäten gab, aber das ist der Moment, in dem die Führer der Bewegung sie institutionalisieren“, sagte Brockschmidt. Bei der Präsidentschaftswahl 1980 seien die weißen Evangelikalen das erste Mal geschlossen als Wählerblock von einer der beiden Parteien angesprochen und aktiviert worden – zu Gunsten des Kandidaten der Republikaner, Ronald Reagan.
Doch an diesem Abend sollte es nicht nur um die Geschichte und das Weltbild der Bewegung gehen, sondern auch um aktuelle Entwicklungen innerhalb der amerikanischen religiösen Rechten. Annika Brockschmidt zeigte hierfür unter anderem ein Video des evangelikalen Predigers Mark Driscoll. Darin spricht dieser über den Dämon Jezebel, der Unheil verbreite und bekämpft werden müsse.
Mark Driscoll und andere sehen in der demokratischen Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris die aktuelle Form des Dämons Jezebel, erklärte Brockschmidt. Driscolls Jesus sei nicht der Jesus, der auch die andere Wange hinhalte, sondern der, der im „blutgetränkten Gewand“ und mit dem Schwert in die Schlacht reite.
Diese Vorstellung vom „Spiritual Warfare“, dem permanenten Kampf zwischen Gut und Böse, sowie das Gerede von dämonischer Besessenheit sei mit einem relativ jungen Strang des Evangelikalismus, der „New Apostolic Reformation“ (NAR), verbunden. Personen aus dem Umfeld der pfingstkirchlich geprägten NAR seien durch Donald Trump in die erste Reihe der religiösen Rechten vorgerückt. Auch deren Vokabular sei langsam und zumindest in einer abgeschwächten Form in den Mainstream der religiösen Rechten und der Republikaner eingeflossen.
Taktiken im Kampf gegen Abtreibung
Auch mit einem der wichtigsten Themen für die religiöse Rechte – Abtreibung – befasste sich Annika Brockschmidt an diesem Abend. Sie sprach unter anderem über die strengen Abtreibungsgesetze in einigen von Republikanern regierten US-Bundesstaaten und deren Folgen für Betroffene. Daneben ging es auch um die Taktiken der religiösen Rechten in der Abtreibungsdebatte. So würden die Abtreibungsgegner beispielsweise den Begriff „Pro Life“ (“Für das Leben“) benutzen, um ihre Position zu bezeichnen. „Das ist ein schlauer PR-Trick“, meinte Brockschmidt. „Denn wer will gegen Leben sein, wer will denn dafür sein, dass Kinder umgebracht werden.“
Gegen Ende der Veranstaltung stand Annika Brockschmidt den Besuchern noch einmal Rede und Antwort, was die Zuhörer ausgiebig nutzten, um sie mit den unterschiedlichsten Fragen zu löchern.