Eine kaputte Tür eröffnete den Blick hinter die dörfliche Fassade, die Schauplatz des Geschehens war. Eine Tür, eingetreten von bis heute unbekannten Personen, brachte im Frühjahr dieses Jahres Ereignisse ins Rollen, die jetzt vor dem Konstanzer Landgericht in zwei Verhandlungstagen aufgearbeitet wurden. Hinter dieser Tür zeigte sich alles andere als das dörfliche Idyll einer kleinen Gemeinde auf der Höri. Dahinter soll sich ein florierender Handel mit harten Drogen verborgen haben, von Kilos Crystal Meth und anderen Amphetaminen war die Rede. Es ging um Waffen, Erpressung und Angst.

Vor Gericht verantworten mussten sich zwei Männer. Ein 42-jähriger Mann aus der ehemaligen Sowjetunion, seit 2012 lebt er mit seiner Frau und den vier Kindern in Deutschland. Das Jüngste ist gerade einmal ein Jahr alt. Wegen einschlägiger Kriegserfahrung ist er seit Jahren in psychiatrischer Behandlung, hat gegen die Symptome einer diagnostizierten posttraumatischen Belastungsstörung Medikamente bekommen. Mehrfach in seinem Leben war er auch in stationärer Behandlung. Hatte auch einen Selbstmordversuch hinter sich. Diese Erfahrungen wurden beim Urteil zwar berücksichtigt, allerdings galt er vor Gericht als voll schuldfähig. Ein Gutachter vom Zentrum für Psychiatrie Reichenau attestierte ihm zwar eine psychische Erkrankung, aber er habe sein Verhalten zu jeder Zeit steuern können.

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Mehrjährige Haftstrafen für beide

Der zweite Angeklagte war ein 20-Jähriger aus Syrien. Seit 2015 lebt er ebenfalls mit seinen Eltern und den Geschwistern in Deutschland. Die Familien beider Angeklagten sollen hier angekommen sein, sich integriert haben. So die Aussagen vor Gericht. Aber beide hatten sich vom Familienverbund gelöst und wohnten getrennt von ihren Verwandten in einer Flüchtlingsunterkunft in der kleinen Gemeinde mit wenigen tausend Einwohnern. Dort lernten sie sich kennen. Seit mittlerweile acht Monaten sitzen sie in Untersuchungshaft und werden dort auch bleiben. Der 42-Jährige ist nun zu sieben Jahren und acht Monaten Haft verurteilt worden. Der 20-Jährige, verurteilt nach Jugendstrafrecht, muss für drei Jahre ins Gefängnis.

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Denn die Tatverwürfe gegen beide wogen schwer: Besonders schwerer Raub, räuberische Erpressung, Körperverletzung, Drogenhandel, Sachbeschädigung. Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft, der das Landgericht fast vollständig folgte, las sich wie das Drehbuch eines Kinofilms. In den letzten Februartagen 2020 soll der 42-Jährige mit einem Golfschläger, einem Messer und einem Zigarrenschneider früh am Morgen in die Wohnung des 31-jährigen Opfers gegangen sein.

Türen verschloss man zu der Zeit eher selten. Wozu auch? Jeder kennt dort jeden. So ist das auf dem Dorf eben. Der 42-Jährige habe einfach in die Wohnung eintreten und das dort schlafende Opfer überraschen können. Geld und Drogen habe er gefordert, das perplexe Opfer mit dem Golfschläger, ein Neuner-Eisen, bedroht. Mit seinen Fäusten soll er auf den Überfallenen eingeschlagen haben.

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Drohung mit Zigarrenschneider

Aus dem Geldbeutel des Opfers soll er 130 Euro genommen haben, mehr sei nicht da gewesen. Ein Gläschen mit Marihuana, welches auf dem Tisch stand, habe er ebenfalls eingesteckt, berichtete das Opfer als Zeuge vor Gericht. Doch dies war nicht genug. Der 42-jährige Täter habe mehr haben wollen. Noch einmal 100 Euro. Er soll dem 31-Jährigen gedroht haben, ihm mit den Zigarrenschneider die Finger abzutrennen.

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Der Überfallene beteuerte, kein Geld mehr zu haben. Es war Monatsende und das Konto bereits überzogen. Der 42-Jährige habe nicht locker gelassen und beide gingen zusammen zur nahe gelegenen Bank, ein Kontoauszug habe die finanzielle Lage beweisen sollen. Bilder der Überwachungskamera zeigen beide Männer vor der Bank. Tage später bekam das Opfer dann sein Gehalt und soll die geforderten 100 Euro an seinen Erpresser übergeben haben.

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Mann, Schüler, Joints, Bewährungsstrafe, Abgabe, Rauschgift, Jugendliche, Landgericht Konstanz, 40-jähriger Mann, prozess, Berufungsgericht, Ex-Unternehmer, Handelsfirma Bild: dpa | Bild: Patrick Seeger

Warum er das tat? Vor Gericht waren die Aussagen des Zeugen vage. Er habe Angst vor dem 42-Jährigen gehabt. Warum er das nicht der Polizei gemeldet hatte? Diese Frage konnte er nicht beantworten. Immer wieder machte er von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch. Er müsse sich schließlich nicht selbst belasten. Die Zeugenaussage eines Beamten der Kriminalpolizei wird später erklären, dass alle Beteiligten in diesem Verfahren, Zeugen, Opfer, Angeklagte, zu einem Freundes- und Bekanntenkreis gehörten, „in dem alle Drogen kaufen, verkaufen und auch selbst konsumieren“.

Im späteren Verlauf des Verfahrens wurde jedoch angedeutet, dass der 42-Jährige in der Wohnung des Opfers durchaus mehr und auch härtere Drogen gesucht haben könnte. Vor Gericht behauptet er, bei dem Opfer nie mit einem Golfschläger in der Wohnung gewesen zu sein. Er habe den 31-Jährigen zufällig vor der Bank getroffen.

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Angeklagter nahm harte Drogen

Wäre es bei dieser Tat geblieben, hätte die dörfliche Fassade keinen Riss bekommen. Denn das Opfer zahlte und schwieg. Aber etwa einen Monat später gab es einen weiteren Vorfall. Die Zimmertür des 42-Jährigen in der Flüchtlingsunterkunft wurde aufgetreten. Bis jetzt ist unklar, wer es war. Vor Gericht gibt der 42-Jährige an, er sei sich sicher gewesen, dass es der Bruder des 31-jährigen Opfers gewesen sei. Der Angeklagte soll ihm nachts unzählige Sprachnachrichten mit wüsten Beschimpfungen geschickt und dann sein Opfer erneut aufgesucht haben.

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Der Angeklagte berichtete, zu diesem Zeitpunkt habe er seit einigen Monaten Crystal Meth konsumiert und seit Tagen kaum geschlafen. Zudem soll das 31-jährige Opfer sein Dealer gewesen sein. Nun war die Tür im Flüchtlingsheim zerstört und er forderte Entschädigung. Am frühen Morgen soll der Angeklagte erneut in die Wohnung des Opfers eingedrungen sein, dieses Mal mit Gewalt. Er trat ebenfalls die Eingangstür ein und die Zimmertür auf. Das Opfer soll sich in Panik im Schrank versteckt haben. Der Forderung nach 300 Euro für die zerstörte Tür im Flüchtlingsheim will er „in Todesangst“ bezahlt haben. Bei der Geldübergabe soll ihn der Angeklagte mit einem Schlagstock in der Hand empfangen haben. Er habe nicht damit gedroht, aber „er hatte ihn dabei“.

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Einige Tage später erschien dann der zweite Angeklagte auf der Bildfläche. Gemeinsam mit dem 42-Jährigen besuchte der 20-Jährige einen 29-Jährigen, ein weiteres Mitglied dieser Drogen-Clique. Das Opfer hatte um kurz vor Mitternacht bereits geschlafen, als es klingelte. Vor der Tür soll der 20-Jährige erst einmal allein gestanden haben. Doch aus dem Hintergrund soll sich der 42-Jährige hereingedrängt und dem 29-jährigen ein Messer an die Kehle gehalten haben.

Der 20-Jährige soll derweil die Wohnung nach Geld und Drogen durchsucht haben. Gefunden habe er wenig, 150 Euro lagen auf dem Tisch, die soll der 20-Jährige eingesteckt haben. Er selbst sagte aus, er habe ein „Gläschen mit Cannabis„ gefunden und mitgenommen. Doch die Drogen lagen laut Aussage des 29-jährigen Opfers ganz woanders. Er hatte sie im Nachgang freiwillig der Polizei übergeben und ein eigenes Verfahren wegen Drogenbesitzes in Kauf genommen.

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Zeugen wirken glaubwürdig

Die Erklärung des 42-Jährigen für die Gewalt klang wenig plausibel. Er habe auch bei dem 29-Jährigen harte Drogen, Amphetamine, gesucht. Er wollte sie vernichten, sie in den See werfen. Denn er ertrage es nicht mehr, dass die beiden Überfallenen dieses Gift an Kinder und Jugendliche aus dem Dorf verkauften. Auch andere Zeugenaussagen deuteten an, dass die Opfer durchaus einen florierenden Drogenhandel betrieben hätten. Doch sie saßen als Zeugen vor Gericht, nicht auf der Anklagebank.

Auch rechtfertige das nicht die Gewalt, die Raubüberfälle, die Drohungen, stellte der Vorsitzender Richter am Landgericht, Joachim Dospil, klar. Die Zeugen seien sicher keine Unschuldslämmer, aber glaubwürdig, begründete er das Urteil gegen die beiden Angeklagten. Psychisch hätten die Opfer durch die massive Bedrohung und die Überfälle einen großen Schaden davongetragen. Der 31-Jährige sei umgezogen, weil er sich in seiner Wohnung nicht mehr sicher gefühlt hatte. Seine aktuelle Adresse hielt er auch vor Gericht geheim. Er trat als Nebenkläger auf, ihm wurde Schmerzensgeld in Höhe von 1600 Euro zugesprochen.