Der kleine, gelbe Antistressball wandert zitternd zwischen den Händen des Geschädigten hin und her. Nervös lässt der Mann ihn in seinen Fingern kreisen, sein Blick geht starr am Vorsitzenden Richter vorbei.

Links, keine drei Meter neben ihm, sitzt der Angeklagte. Ihn anzusehen, dazu ist das 28-jährige Opfer während seiner Befragung nicht im Stande. Am Ende der mehrtägigen Verhandlung wird der Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung zu 2 Jahren und 10 Monaten in einem psychiatrischen Krankenhaus verurteilt.

Messerattacke im vergangenen Sommer

Dem italienischen Staatsbürger, der 1993 in Deutschland geboren wurde, wird vorgeworfen, am 9. Juni des vergangenen Jahres ein Smartphone aus einer Wohnung in der Schneckenburgstraße entwendet zu haben und in der darauffolgenden Auseinandersetzung den Geschädigten mit einem Messer stark verletzt zu haben.

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Gegen Mitternacht hielten sich vier Freunde und der Angeklagte, den sie am selben Abend kennen lernten, in einer privaten Wohnung auf. Über den ganzen Abend wurde Alkohol getrunken und Cannabis konsumiert. Als der Gastgeber alkoholisiert einschlief entwendete der Angeklagte gegen 3 Uhr nachts dessen Handy und verließ die Wohnung.

Da drei Zeugen den Diebstahl bemerkten, folgten sie ihm und konfrontierten ihn im Erdgeschoss des Hauses. Es kam zur Rangelei, der Angeklagte stach dabei mehrmals mit einem Messer auf das Opfer ein.

Dieser erlitt dabei zwei tiefe Einstiche oberhalb der linken Brust, die Lunge wurde perforiert. Akute Lebensgefahr bestand laut dem sachverständigen Arzt zwar zu keinem Zeitpunkt, allerdings könne eine Verletzung in dem Bereich des Körpers immer auch tödlich sein.

Angeklagter kommt aus „schwierigen Verhältnissen“

Der Angeklagte kommt laut eigenen Aussagen aus „schwierigen, familiären Verhältnissen“. Obwohl er in Deutschland geboren wurde, konnte er mit zehn Jahren immer noch kein gutes deutsch, weil zu Hause nur italienisch gesprochen wurde. Seine Mitschüler mobbten und schlugen ihn. Die Eltern seien überfordert gewesen.

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Das Problemkind litt unter ADHS und Wutausbrüchen. Er kam mehrfach ins Heim und wechselte häufig die Schule und brach sie schließlich ab. 2009 begab er sich in geschlossene Behandlung, 2010 kam er das erste Mal in Haft. Zwischen 2008 und 2014 wurde er 14 mal wegen Delikten wie Diebstahl, Sachbeschädigung und Körperverletzung angeklagt.

2015 wurde er wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von 3 Jahren und 9 Monaten verurteilt. Das damalige Opfer: sein Vater. Die Tatwaffe: ein 17 Zentimeter langes Küchenmesser.

Täter hat psychische Probleme

Es folgte die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Diagnose: Strukturelle Persönlichkeitsstörung, sowie leichte Minderbegabung. Der junge Mann leidet am Klinefelter-Syndrom. „Er handelt dadurch oft impulsiv und hat Schwierigkeiten außergewöhnliche Umstände zu bewältigen“, so der Richter. Der Angeklagte habe eine emotional instabile Persönlichkeit.

Das bestätigt der Sachverständige Psychiater Peter Gabriel: „Er hat häufig Kränkungen erfahren, auch von seinem Vater. Kurzfristige Frustrationen versucht er mit Gewaltausbrüchen zu bewältigen.“ In der Tatnacht sei das Enttäuschungserleben ein Faustschlag ins Gesicht gewesen – einer der Auslöser für den Messerangriff.

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Die Tat selbst kann trotz einer Reihe von Zeugen, darunter auch mehrere Polizeibeamte, auch bis zum Abschluss des Verfahrens nicht eindeutig rekonstruiert werden. Nicht sonderlich förderlich zur Aufklärung sei, dass sich sowohl die Angaben des Angeklagten, wie auch der Zeugen, von der polizeilichen Vernehmung und vor Gericht teilweise unterscheiden. Der Richter fasst zusammen: „Wir haben vier Zeugen, einen Täter und fünf verschiedene Versionen.“

Opfer leidet bis heute unter den Folgen

Das fast zwei Meter große Opfer leidet seit dem Angriff unter psychischen Problemen und Angstzuständen: „Ich bin psychisch am Ende,“ sagt er unter Tränen im Zeugenstand. „Diese Nacht hat mein Leben auf den Kopf gestellt.“

So habe er sich in seinem Betrieb hochgearbeitet. Seinen Traumarbeitsplatz hat er aber mittlerweile verloren. Er arbeite nun wieder als Verkäufer, wodurch er auch weniger verdiene. Er meide Menschenmengen, ginge insgesamt kaum noch vor die Tür.

In der ersten Zeit nach dem Angriff habe er keine Messer mehr anfassen können. Nach einem mentalen Zusammenbruch und Suizidgedanken sei der 28-Jährige wieder bei seinen Eltern eingezogen. Er sagt: „Hätte ich das nicht getan, wäre ich wahrscheinlich nicht mehr hier.“ Aufgrund von Schlafstörungen, Depressionen und Panikattacken nehme er verschiedene Medikamente.

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Von einem Klinikum wurde ihm eine posttraumatische Belastungsstörung bescheinigt. Nach einer Reha-Kur möchte er eine Traumatherapie machen. Aufgrund dieser Reihe an Folgen des Angriffs stellte der Geschädigte als Nebenkläger der Verhandlung einen Adhäsionsantrag.

Angeklagter kommt für Behandlung auf

Der Angeklagte willigt am Ende des Verfahrens ein und zeigt sich einsichtig und geständig. Er bezahlt 12.000 Euro Schmerzensgeld. Zusätzlich verpflichtet er sich alle zukünftigen Schäden zu begleichen. Er trägt die Kosten des Vergleichs und des Verfahrens. Er sagt: „Es leuchtet mir ein, dass ich krank bin. Ich bereue meinen Fehler.“

Als der Geschädigte aus dem Zeugenstand entlassen wird schreitet er am Arm einer älteren Frau an der Anklagebank vorbei. Dem Täter kann er bis zum Ende nicht in die Augen sehen, in seiner Hosentasche umklammert er mit einer Hand immer noch den kleinen, gelben Ball.