Lautes Gebell erfüllt das Hundehaus des Tierheims Radolfzell. Trotz der drückenden Hitze springen einige Hunde wie wild gegen das Gitter ihrer Box, als Julia Bierbach, die Leiterin des Tierschutzvereins, eintritt. Einige der Tiere wirken aggressiv, manchen tragen sogar Maulkorb. Zwei Dinge fallen sofort auf: Die Tiere sind verhaltensauffällig. Und alle 16 Hundeboxen des Tierheims sind voll. Weitere Tiere würden hier aktuell keinen Platz finden. Doch täglich erreichen zig Anfragen das Heim, berichtet Bierbach.
Das Problem besteht schon seit Monaten. Dem Tierheim fehlt es an Geld für ausreichend Platz und genügend Mitarbeiter, um alle Tiere in Not aufnehmen zu können. Doch nun haben sich erstmals fast alle Tierheime bundesweit zusammengeschlossen, um auf das Elend aufmerksam zu machen. Denn die Situation ist in ganz Deutschland ähnlich.
Zu viele Hunde in falschen Händen und zu wenig Geld
Laut Julia Bierbach bestehen die Probleme auf zwei Seiten. Zum einen befänden sich durch den unkontrollierten Handel mit Hunden über das Internet, fehlende Gesetze, die die Haltung eines Hundes erlauben und regeln, sowie verbotene Züchtungen zu viele Hunde in den falschen Händen in Deutschland. Die Folge: Die Tierheime werden mit Anfragen, Tiere aufzunehmen oder zu retten, überschwemmt.
Zum anderen seien die Tierheime zu schlecht ausgestattet. Es fehle an finanzieller Unterstützung – und in Radolfzell auch an Platz. Die Heime können die Tiere daher nicht unterbringen. In ihrer Not müssen sie die Tiere zwischen den Heimen hin- und herschieben, Problemfälle landen auf Wartelisten und in so genannten Gnadenhöfen – oder irgendwann auf der Straße, wenn die Bundesregierung nichts tut, warnt Julia Bierbach.
Täglich hunderte Anfrage wegen Notfällen
Zudem seien Hunde, die misshandelt wurden, meist so traumatisiert und verhaltensauffällig, dass sie nicht vermittelbar sind und jahrelang im Heim bleiben. „Schlimm ist, wenn nun jemand zurecht anruft, weil er sein Tier abgeben muss, zum Beispiel weil der Ehepartner pflegebedürftig wurde und keine mehr Zeit für das Tier ist. Solchen Leuten aus Platzmangel absagen zu müssen, ist brutal“, beschreibt Bierbach das tägliche Leid der Tierschützer.
Das Radolfzeller Tierheim

In einer WhatsApp-Gruppe der deutschen Tierheime, die für Absprachen da ist, gebe es täglich hunderte Anfragen, ob jemand ein Tier abnehmen kann. „Und wir erhalten Anfragen von Haltern aus ganz Deutschland, die teilweise schon zig Heime durchtelefoniert haben“, berichtet Bierbach weiter. „Wir machen das Ehrenamt gerne, aber wenn sich nichts tut und man Notfälle nicht mehr annehmen und helfen kann, fühlt man sich ausgelaugt und hilflos“, klagt sie.
Heime fordern mehr Geld und strengere Gesetze
Die Tierheime haben sich daher auf Initiative des Bündnisses Schattenhunde zusammengeschossen und einen Brandbrief an Bundes-Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) aufgesetzt. Darin fordern sie bessere Maßnahmen zur Eindämmung und Überwachung des meist illegalen Welpen- und Hundehandels, konsequente Kontrollen und Regeln für den übermäßigen Import von Hunden aus dem Ausland sowie die Durchsetzung des Qualzucht-Verbots.
Zudem müssten die Tierheime finanziell besser ausgestattet werden, um deren Existenz zu sichern, und es brauche eine Registrier- und Kennzeichnungspflicht für Hunde sowie einen Befähigungsnachweis für Neu-Hundehalter.
Neben dem Brandbrief unterstützte das Radolfzeller Tierheim einen Protest der Hamburger Heime gegen die katastrophalen Zustände am Freitag, 11. August. „Bei denen ist die Situation noch schlimmer. Wir haben uns daher solidarisch gezeigt und in den Sozialen Medien ein schwarzes Bild gepostet. Es ist nicht fünf vor, sondern fünf nach zwölf“, macht Bierbach deutlich.
„Der Bund ist in der Bringschuld“
Adressat der Kritik sei aber ganz klar die Bundesregierung, die die Kommunen besser ausstatten müsse. „Wir haben zu Stadt ein sehr gutes Verhältnis“, bekräftigt die Leiterin des Vereins. „Der Bund ist in der Bringschuld“, fasst Bierbach zusammen.
Natalie Reiser, Pressesprecherin der Stadt, bestätigt: „Zwischen der Stadt Radolfzell und dem Tierschutzverein ist die Versorgung von Fundtieren seit Jahren vertraglich geregelt.“ Der Vertrag enthalte Klauseln, um ihn bei extremen Veränderungen anzupassen. „Das ist bisher nicht eingetreten“, so Reiser. Zu den Forderungen des Heims gegenüber dem Bund möchte die Stadt sich nicht äußern.
Tierschützerin warnt: Tiere könnte auf der Straße enden
Die zum Brandbrief gehörende Petition hat inzwischen über 100.000 Unterschriften erreicht. Die Heime planen gerade die Übergabe der Petition inklusive Demonstration in Berlin. Dann muss sich der Bundestag mit dem Thema beschäftigen.
Doch bis dahin werde jeden Tag jeweils eines der beteiligten Tierheime ein Video in den Sozialen Medien teilen, um auf die Lage aufmerksam zu machen. „Wir sind optimistisch, nun gehört zu werden, und hoffen, dass es zeitnah einen Ansatz gibt, das Problem zu lösen“, sagt Bierbach. Sollte sich nichts ändern, würden ansonsten bald Tiere auf der Straße enden oder müssten schlichtweg getötet werden, weil alle Heime überfüllt sind, warnt Bierbach.