In einem neuen Land anzukommen, ist nie einfach. Erst recht nicht, wenn man unfreiwillig und traumatisiert dorthin flüchten musste und die neue Sprache noch nicht beherrscht. Manchmal kann ein solch einschneidendes Erlebnis einen sogar auf die falsche Bahn führen – wie in einem Fall vor dem Radolfzeller Amtsgericht deutlich wurde.
Wegen zweifachen Diebstahls saß dort ein 19-jähriger Ukrainer auf der Anklagebank – unsicher, schüchtern und sehr schweigsam. Wegen des Krieges in seinem Heimatland seien er, seine Mutter und mehrere Geschwister aus Kiew nach Deutschland geflüchtet, berichtete die Jugendgerichtshilfe in der Verhandlung. Der 19-Jährige habe mit ansehen müssen, wie sein Vater, der noch immer in der Ukraine sei, mit einer Maschinenpistole bedroht worden sei. „Er hat Gewalt und Todesangst erlebt“, so die Jugendgerichtshilfe.
Angeklagtem drohte Einberufung in der Ukraine
Weil seine eigene Einberufung gedroht habe, sei die Familie dann Hals über Kopf geflohen. Sein ganzes Leben sei zusammengebrochen, in Deutschland habe er zunächst keinen Lebenssinn mehr gesehen, so die Jugendgerichtshilfe. Der 19-Jährige sei traumatisiert, auch die Geschwister seien psychologisch auffällig. Die Familie sei finanziell in einer sehr schwierigen Lage.
In Deutschland sei der Angeklagte, der die Gewerbeschule besucht, zudem an die falschen Leute geraten: schlechte Freunde, einen kriminellen Onkel. Am 5. Oktober 2022 soll er dann in einem Bekleidungsgeschäft in Konstanz eine Jacke und wenige Wochen später in einem Supermarkt in Radolfzell ein Ladegerät, ein Ladekabel, Batterien, Unterhosen und Socken geklaut haben – jeweils zusammen mit Freunden. Die Staatsanwaltschaft warf ihm Diebstahl vor. Eine Vorstrafe hatte er noch nicht.
„Ich räume den Tatvorwurf ein und bin bereit, die Strafe dafür zu tragen“, erklärte der Angeklagte unumwunden. Er bereue die Tat und wolle sich von diesen nun fernhalten. Dabei helfen soll ihm der Sport. Der 19-Jährige erklärte vor Gericht, er wolle gerne wieder Volleyball oder Basketball spielen, um so Kontakte zu knüpfen und ins Leben zurückzufinden. Zudem möchte er Deutsch lernen und nach der Schule eine Ausbildung als Fliesenleger beginnen.
Verwarnung und Arbeitsstunden
Die Vertreterin der Staatsanwaltschaft zeigte Verständnis für seine Situation: „Ich sehe das Problem.“ Dennoch müsse er lernen, sich von falschen Freunden abzugrenzen und Nein zu sagen. Jedoch sah sie aufgrund der Traumatisierung eine Reifeverzögerung und plädierte daher nach dem Jugendstrafrecht auf eine Verwarnung mit Arbeitsauflage.
Richterin Julia Elsner stimme dem zu und verwarnte ihn mit der Auflage, 30 Stunden gemeinnützige Arbeit zu leisten. Sie verstehe seine Situation, aber Straftaten würden alles nur verschlimmern. „Wir können uns nicht aussuchen, woher wir kommen. Aber wir können uns aussuchen, wo wir hingehen“, gab sie dem 19-Jährigen mit auf den Weg.