Während Schulleiterin Petra Wieshoff und ihre Kollegin Rahel Andresen von ihrer Grundschule in Stahringen erzählen, fallen sie immer wieder ins Englische: Aus schwierig wird tricky, die Versammlung nennen sie Assembly und ihre Schüler verfolgen nicht Nachrichten, sondern News. Und im Eingangsbereich der Schule stehen Nachbildungen der Wachen vor dem britischen Buckingham Palace sowie einer typisch britischen roten Telefonzelle. Das alles ist kein Zufall.

Denn die Schule hat ein bilinguales Profil – als einzige Grundschule im Landkreis und eine der wenigen in Baden-Württemberg. Das bedeutet: Die Schüler lernen zweisprachig, Englisch ist fast genauso Alltagssprache wie Deutsch. Warum? Und wie kann das bei Sechsjährigen überhaupt funktionieren?

Kinder sollen fit werden für Europa

Petra Wieshoff, die sich selbst anglophil bezeichnet und Englisch studiert hat, sagt: „Die Kinder sollen fit gemacht werden für Europa und Offenheit für andere Kulturen lernen.“ Da die Stahringer Grundschule ohnehin ein „Alleinstellungsmerkmal gesucht hat, um den Erhalt auf dem Dorf zu sichern“, schlug Wieshoff 2014 ein bilinguales Profil im Kollegium vor. Die Reaktion: Lehrer und auch Eltern seien begeistert gewesen.

Zunächst unterrichtete eine Muttersprachlerin aus Konstanz einige Stunden pro Woche auf Englisch, die Finanzierung übernahmen Spender. Zum Schuljahr 2016 fanden sie eine Expertin: Katie Cormier, gebürtige Engländerin und ausgebildete Lehrerin. Seither unterrichtet sie Sport und Musik auf Englisch, Kunst übernimmt Petra Wieshoff, in den anderen Fächern wird die Fremdsprache nur sporadisch eingesetzt.

Zusätzlich unterrichtet Katie Cormier regulären Englischunterricht – allerdings bereits ab der ersten Klasse, und nicht wie in anderen Schulen erst zwei Jahre später. Und wenn es mal hakt? „Dann dürfen die Kinder jederzeit ins Deutsche wechseln“, erklärt Wieshoff.

Enge Verbindung nach Großbritannien: Zu Ehren von Queen Elizabeth II. pflanzten die Schüler im Rahmen einer britischen Aktion einen Baum ...
Enge Verbindung nach Großbritannien: Zu Ehren von Queen Elizabeth II. pflanzten die Schüler im Rahmen einer britischen Aktion einen Baum vor ihrer Schule. | Bild: Petra Wieshoff

Das ist laut Theo Marinis vom Fachbereich Linguistik der Uni Konstanz wichtig. Neue Wörter zu lernen sei einfacher, wenn man bereits die Bedeutung in der Muttersprache kennt. Bei komplett neuen Konzepten sei es daher wichtig, dass die Kinder jederzeit in eine bekannte Sprache wechseln können. „Deswegen kann Lernen scheitern, wenn zum Beispiel Mathematik in einer Fremdsprache ohne Unterstützung der Muttersprache gelernt wird“, erklärt er.

Lernen mit Bildern, Tanz und Musik

Doch wie lernen Sechsjährige, die noch nicht einmal in ihrer Muttersprache richtig schreiben können, überhaupt eine Fremdsprache? Wieshoffs Kollegin Rahel Andresen beschreibt: „Wir arbeiten viel damit, alle Sinne der Schüler auszusprechen. Also mit Bildern, Musik, Tänzen und Körpersprache und Spielen, damit die Kinder neue Wörter direkt mit einem Eindruck verknüpfen können.“

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Kern des bilingualen Unterrichts sei es, Englisch spielerisch und eingeflochten in die Alltagssprache zu lernen – nach der Immersionsmethode. Vokabeltests seien hingegen verpönt. Die Kinder lernen auch nicht strikt die Grammatik auswendig, sondern sprechen einfach den Lehrerinnen nach. Kurz gesagt: „Die Kinder sollen einfach drauflos plappern“, sagt Wieshoff lachend. Denn im Grundschulalter hätten sie, anders als in der Pubertät, noch keine Sprechhemmung. Niemand schäme sich für eine falsche Aussprache.

Chancengleichheit für Kinder mit Migrationshintergrund

Besonders Kinder mit Migrationshintergrund können von dieser Methode profitieren. „In Englisch sitzen alle Kinder im selben Boot, die Sprache ist für alle neu. Das stärkt das Selbstbewusstsein von Kindern, die auf Deutsch vielleicht einen kleinen Nachteil haben“, erklärt Rahel Andresen.

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Bilingualer Unterricht, bestätigt Forscher Theo Marinis, erhöht die Chancengleichheit. Es profitiere aber jedes Kind davon: „Je mehr Gelegenheiten Kinder haben, eine Sprache für Kommunikation zu benutzen, desto besser werden sie die Sprache lernen und automatisch benutzen, ohne von der einen zu der anderen Sprache zu übersetzen.“ Das Ergebnis: Schüler einer bilingualen Schule seien sprachlich in der Regel besser. Hinzu komme mehr interkulturelle Kompetenz.

Schüleraustausch nach England geplant

Den Stahringer Lehrerinnen ist auch wichtig, ihren Schülern die britische und irische Kultur näherzubringen, zum Beispiel mit Festen wie der Guy Fawkes Night oder dem St. Patricks Day. Die Folge: Als die Queen starb, bekamen es die Schüler mit, sprachen darüber. Die Schule schloss sich einer Aktion aus Großbritannien an und pflanzte mit den Kindern einen Baum zu Ehren der Queen. Und mit der Partnerschule in Aylesbury gebe es regen Austausch – meist per Video.

Doch dabei soll es nicht bleiben. „Wir würden künftig gerne einen kleinen Schüleraustausch nach England machen“, sagt Petra Wieshoff. Der Plan: Eine Kurzreise von Freitag bis Mittwoch mit Übernachtungen bei Gastfamilien. Zunächst soll eine kleine Gruppe von sieben oder acht Kindern teilnehmen – natürlich freiwillig. „Als wir die Idee erwähnt haben, wollten die meisten Eltern direkt die Koffer packen und los“, berichtet die Schulleiterin.

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Tatsächlich wird es aber wohl erst Anfang 2024 so weit sein. Dann können die Kinder die roten Telefonzellen und die legendären Wachen am Palast nicht nur als Nachbildung in ihrer Schule, sondern vielleicht auch live in der Realität sehen.