„…und die Frauen?“ – betitelte die Konstanzer Kunsthistorikerin Andrea Hofmann ein Kapitel ihres Buchs „Künstler auf der Höri“ (1989). Bei ihrer Recherche hatte sie feststellen müssen, dass die Kunstgeschichte nur wenige Namen von Frauen nennt. Hofmann zitierte als beispielhafte Erklärung den Museumsdirektor Emil Hannover, der noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts unwidersprochen behaupten konnte, Männlichkeit sei eine der ersten Bedingungen in der Kunst.

Bis in die 1960er-Jahre hinein galt diese Auffassung, selbst bei fortschrittlichen Ausstellungsmachern wie Harald Szeemann. Frauen, die sich dieser herrschenden Konvention verweigerten und sich in dieser Zeit als Künstlerinnen zu behaupten versuchten, hatten es nicht leicht. Und mit Heirat und Kindern übernahmen sie oft den Haushalt. Für Kunst blieb da keine Zeit.

Zu ihrer Zeit setzten sich nur wenig Frauen als Künstlerinnen durch

Was für die „große“ Kunstgeschichte galt, galt auch für die „Künstler auf der Höri“. Wenn von ihnen die Rede war, so nahezu ausschließlich von Männern. Die Ausnahme von dieser Regel war Rose-Marie Stuckert-Schnorrenberg. Die Malerin, die seit 1976 in einem Bauernhaus in Weiler-Bettnang lebte, ist jetzt im Alter von 95 Jahren gestorben.

Es trauern ihre Töchter und deren Männer, die Enkel und Verwandten, aber auch Freunde und Bewunderer ihrer Kunst. Ihr Mann, Rudolf Stuckert, ebenfalls ein bekannter Höri-Künstler, starb bereits 2002.

Von See-Landschaft verzaubert

Was trieb die Düsseldorferin an den Untersee? „Im Jahre 1952 kam die junge Malerin Rosemarie Schnorrenberg, eine Schülerin von Ferdinand Macketanz, zum Segeln auf die Höri. Sie verfiel dem Zauber der malerischen Landschaft, und seit 1954 lebt sie in Wangen, in einem Bungalow, mitten unter Bäumen, nahe dem See…“

So anheimelnd beschrieb der Wiener Schriftsteller Leopold Zahn die Ankunft der jungen Frau in seinem Buch „Künstler auf der Höri am Bodensee“ mit dem er nebenbei den Begriff „Höri-Künstler“ etablierte. Das Buch ist 1956 im Verlag Simon + Koch erschienen, dem das Hesse-Museum Gaienhofen zurzeit eine Ausstellung widmet.

Die Höri am Untersee war aber nicht nur eine gesuchte Idylle und der See gut zum Segeln. Während der NS-Zeit war die so malerische wie verschlafene Landschaft nahe der Schweizer Grenze für Künstler wie Otto Dix oder Erich Heckel ein Zufluchtsort.

Rose Marie Stuckert-Schnorrenberg hat der Gemeinde Moos im März 2006 mit der Druckerpresse Erich Heckels ein außergewöhnliches Geschenk ...
Rose Marie Stuckert-Schnorrenberg hat der Gemeinde Moos im März 2006 mit der Druckerpresse Erich Heckels ein außergewöhnliches Geschenk gemacht. Rechts im Bild der damalige Bürgermeister Peter Kessler. Die Malerin wünschte sich, dass viele Künstler die Gelegenheit wahrnehmen, auf ihr Drucke herzustellen. | Bild: Archivbild: C. Antes-Barisch

Auch Macketanz, Lehrer von Rose-Marie Schnorrenberg an der Düsseldorfer Akademie der Bildenden Künste, gehörte zu den Emigranten. Die Kaufmanns-Tochter, 1952 noch Studentin, hatte nicht nur die Lust am Segeln an den See geführt, sondern auch die Gewissheit, hier auf andere „Düsseldorfer“ zu stoßen, wie etwa Curth Georg Becker oder Jean Paul Schmitz.

Auch ihr späterer Mann, Rudolf Stuckert, der zum ersten Mal 1934 zum Malen auf die Höri kam und sich um 1947 in Wangen niederließ, war Absolvent der Akademie. Das Paar heiratete 1967.

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Rose-Marie Stuckert-Schnorrenberg war nicht die einzige Künstlerin auf der Höri. Erwähnt werden müssen an dieser Stelle Margarete Macke, Gertraud Herzger und Grete Kindermann. Sie war jedoch die einzige unter ihnen, die innerhalb ihrer Künstler-Paarbeziehung zu eigenem Ruhm gelangte. Wobei ihr das auch nicht von der ersten Stunde an gelang.

Eine Zeitlang arbeitete sie auch als Kunsterzieherin

Um ihr Leben und das ihrer Familie zu sichern, arbeitete sie als Kunsterzieherin in der Schlossschule in Gaienhofen, während ihr Mann 1959 in Konstanz einen Antiquitätenladen eröffnete, in dem er gelegentlich Ausstellungen durchführte. Eine intensivere Ausstellungsarbeit ergab sich nach dem Umzug in neue Räume.

Den Schwerpunkt des Ausstellungsprogramms bildeten die Höri-Künstler. Aber auch Stuckert selbst und seine Frau stellten immer wieder ihre Werke aus. Dazu kamen die Künstler-Kollegen aus dem „Kleinen Kreis“, den das Paar 1962 mitgegründet hatte. Zu ihnen gehörten unter anderem Hans Sauerbruch, Walter Matysiak und Karl Einhart.

Mitbegründerin eines Künstlerkreises der See-Region

Der „Kreis“ wusste, dass sich in der Gruppe mehr erreichen ließ, als im Alleingang. Fast zehn Jahre bestand die Initiative, die viel beachtete Ausstellungen in der internationalen Bodensee-Region auf den Weg brachte. Ein gemeinsamer stilistischer Nenner ließ sich bei den Künstlern dieser Gruppe nicht erkennen, doch orientierte sich die Mehrzahl der Künstler letztlich an einem verhaltenen expressiven Realismus.

Internationaler Erfolg erst spät

Das galt auch für Rose-Marie Stuckert-Schnorrenberg. Trotz der vielen familiären und beruflichen Pflichten und manchen Schicksalsschlags – 1986 hatte ihre Tochter einen schweren Unfall – hörte sie nie auf, im Atelier zu arbeiten.

Ihre Bilder, mit Vorliebe geordnete Kulturlandschaften, Architektur und Stillleben, „sind zwar gegenstandlich-motivbezogen, jedoch nicht mehr, um einen dahinterliegenden Sinn zum Klingen zu brin­gen, sondern vielmehr, um die reine Malerei, den asthetischen Wert der Farben und Formen in ihrem Gefuge zur Geltung zu bringen“, wie Dorothee Kaufmann im Katalog der 2003 gegründeten Kunststiftung des Landkreises Konstanz schrieb. Für den Landratsamtsneubau schuf Rose-Marie Stuckert-Schnorrenberg 1984 den zauberhaften Aquarellzyklus „Baum durch die Jahreszeiten.“

Kunst für den Neubau des Landratsamtes

Aber auch ihr Mann widmete sich der Kunst als reiner Kunst, wie es Paul Cézanne, der Vater der Moderne, so grandios vorgemacht hatte. Der Landkreis Konstanz besitzt etliche seiner Werke, Stuckert hatte zudem für die Kantine des Landratsamtes eine Wand künstlerisch gestaltet. Dabei ist ein durch Artisten und Akrobaten belebter Ort der Leichtigkeit entstanden, der es für einen Moment erlaubt, aus dem Arbeitsalltag zu schlüpfen.

Die Anerkennung als Künstlerin über die nationale Grenze hinaus ließ allerdings auf sich warten. Erst im Alter von 86 Jahren wurde Rose-Marie Stuckert-Schnorrenbergs Kunst in Italien, Frankreich und in der Schweiz ausgestellt und war plötzlich viel gefragt.

Der Region blieb sie immer treu

Sie nahm es mit Genugtuung hin, blieb aber geerdet und stellte auch weiterhin in der Bodensee-Region aus. Einen ihrer letzten öffentlichen Auftritte hatte sie im Sommer 2019 im Bürgerhaus in Moos anlässlich der Gemeinschaftsausstellung „Bilder und Objekte aus den Ateliers am See“.

Der Autor dieser Zeilen durfte die Laudatio auf die 19 Künstler der Ausstellung halten. Rose-Marie Stuckert-Schnorrenberg zeigte in Moos drei Arbeiten, darunter zwei neue Werke, „Hafen“ und „Birke“, gegenständliche Bilder in karger, fahler Farbigkeit von hoher sinnlicher Qualität. Sie beherrschte das Handwerk der Kunst.

Und übrigens: Die Druckerpresse, ein Erbstück von Erich Heckel, hat sie allen Kunstschaffenden im Landkreis zugänglich gemacht. – Wir werden sie vermissen.