Eine tröstende Umarmung, die stützende Nähe von Freunden und Verwandten oder mit einem Handschlag das Mitgefühl und sein Beileid für den Verlust eines Menschen zum Ausdruck bringen – der Formenreichtum menschlicher Begegnungen auf einer Bestattungsfeier macht durchaus Sinn und erleichtert Trauernden das Abschied nehmen. Doch genau dieses hat sich in Zeiten der Corona-Pandemie verändert: „Die Bestattungsfeiern sind für alle Beteiligten sehr befremdlich“, beobachtet der evangelische Pfarrer der Radolfzeller Christuskirche, Christian Link.
Ungeachtet des Wetters finden die Bestattungsfeiern am Grab statt. Es fehlt der schützende Raum beim Abschied nehmen und der gemeinsame Gang von der Trauerhalle zum Grab. Aus Vorsicht gegenüber einer Ansteckung zersprengt sich der trauernde Verband in vereinzelte Personen. Die Anzahl der anwesenden Trauernden ist nochmals drastisch beschränkt worden. „Es ist brutal, was wir da tun“, hält der evangelische Pfarrer kurz inne und fährt fort: „Dass wir nicht Abschied nehmen lassen. Ich glaube, wir sind uns nicht klar, was das bedeutet: Wir züchten uns ein Trauertal.“
Pfarrer Link missfällt die derzeitige Distanz
Nachbarn, Freunde und Verwandte, aber auch heimliche Geliebte müssen nun den Bestattungsfeiern fern bleiben. Fehlten passende Worte während einer Bestattungsfeier, so konnte man sich noch gegenseitig die Hand reichen und Kraft wünschen oder kurz in den Arm nehmen. Pfarrer Link macht keinen Hehl über die gegenwärtige Lage: „Menschen halten untereinander Distanz. Und die Distanz gefällt mir nicht.“
Genau in dieser Zeit bräuchte man eigentlich das Zusammenstehen. Auch das versöhnliche. Familien seien hoch komplex, weiß Pfarrer Link zu berichten: Werden Angehörige bestattet, so geschehe dabei sehr viel: „Bei Bestattungen konstituieren und ordnen sich die Familien neu“, so Link: Grundsätzlich stehe die Frage im Raum, was es mit uns mache, wenn wir so auf Distanz gehen und uns nicht berühren.

Auch Pfarrer sind angehalten, Menschen nicht zu besuchen. Gespräche finden per Telefon statt. Es fehlen bei der Seelsorge die visuelle und körperliche Interaktion und damit auch Nuancen körperlicher Gestik, die das Gegenüber aufschließt und verstehbar macht. Was geschieht mit der Trauer, wenn wir zu Angehörigen und Sterbenden nicht können? Besuche in Krankenhäusern und Altersheimen stehen zusätzlich unter einem ethischen Konflikt. Die Vernunft zur Verringerung der Infektionsrate kämpft mit dem tiefen Bedürfnis nach Nähe und dem Spenden und Erhalten von Trost. Wie gehe ich mit Bedürfnisaufschub um?
Fehlende Nähe kann überwunden werden
Pfarrer Link ist sich sicher, dass Menschen Kanäle finden, um Liebe und Nähe zu erfahren. Man könne Gegenstände der Erinnerung aufstellen oder an verschiedenen Orten Kerzen zeitgleich anzünden. Fehlende Nähe könne auf andere Weise überwunden werden. Link empfiehlt das Telefonieren und den Mut haben, auf persönliche Ebenen zu gehen, sowie das Briefeschreiben an einen Sterbenden – auch auf die Gefahr hin, dass dieser Brief nicht mehr rechtzeitig ankomme.
Pfarrer Vogel spürt die Sehnsucht nach Begegnung
Heinz Vogel ist Pfarrer der katholischen Seelsorgeeinheit Sankt Ratoldt und fühlt sich wie amputiert. Sein Beruf lebe von den persönlichen Kontakten und nicht über Telefon und andere Medien, macht der Radolfzeller Pfarrer transparent: Die Seelsorge und die Kirchengemeinde lebe von persönlichen Begegnungen und von ihren Versammlungen, sowohl für die Tagesgeschäfte einer Pfarrei wie auch für die Liturgie im Münster. Man spüre nun, dass man die Nähe der Menschen und den Kontakt braucht, aber auch, was wir aneinander haben.
Vogel beobachtet in seiner Kirchengemeinde deutlich weniger Beerdigungen als zuvor. Ob ein Verschieben von Beerdigungen bis zum Ende der Pandemie sinnvoll sei, stellt er in Frage. Irgendwann müsse man Trauer an einen Punkt bringen, so Vogel: Man bräuchte ein Zeigen, das man den Toten beigesetzt und das getan habe, was man tun konnte. Pfarrer Vogel ist ebenso auf der Suche nach Formen, wie man in der gegenwärtigen Lage mit der Trauer, der Seelsorge und Bestattungsfeier umgehen kann. Die Rituale, die früher die Trauer fast schon reflexartig bewältigen konnten, fielen in der Neuzeit weg. Nun greife man mit Sperrungen in die Kernzelle der Familie ein, indem der Zugang zu Angehörigen verwehrt wird.
Erinnerung an den Klang in der Kirche
Heinz Vogel macht darauf aufmerksam, dass wir Nähe auch durch eine räumliche Trennung erfahren können. Er ermutigt die Menschen zu einem Prozess, wie man den Anderen trotz Trennung spüren könne. Er erinnert dabei an Liebende, die ihren Ring betrachten und die Nähe und Gegenwart ihres Partners erspüren. „Trauernde sprechen mit Bildern“, so Vogel: Das sei keine Pathologie, sondern gehöre zum Menschen dazu, da ein sich Erinnern eine Vergegenwärtigung meint.
Seiner Kirchengemeinde versichert Heinz Vogel, dass auch die Priester in der Eucharistie für die Menschen beten. Er macht hier eine neue Erfahrung: Es gebe bei der morgendlichen Andacht im Münster ein Gedächtnis des Klangs und wie ihm Antworten entgegen hallen. Er erinnert sich an diesen Klang und spürt Gegenwart und Nähe. Vogel ermuntert Formen zu finden, wie man trotz allem Menschen nah sein könne.