Der Wohnungsmarkt in Radolfzell ist angespannt. Freien und vor allem auch mit kleinem Geldbeutel bezahlbaren Wohnraum gibt es kaum. Die Stadt reagiert deshalb nun gleich doppelt: Nachdem der Gemeinderat jüngst die Einführung eines Zweckentfremdungsverbots beschlossen hat, sodass Wohnungen nicht mehr illegal als Ferienwohnungen vermietet werden dürfen, kommt der nächste Schritt.
In einer öffentlichen Sondersitzung des Gemeinderats zum Thema Wohnen stellten Ulf Millauer, Leiter der Stadtplanung, sowie Philipp König und Tobias Meigel vom Unternehmen Reschl Stadtentwicklung ein gemeinsam entwickeltes Handlungsprogramm Wohnen vor, das fraktionsübergreifend viel Lob erhielt. Analyse und Umsetzung des Handlungsprogramms stimmte eine Mehrheit zu. Kritik gab es von Dietmar Baumgartner (FW) aber daran, dass über eine mehrmals geforderte kommunale Wohnungsbaugesellschaft nur nicht öffentlich diskutiert wurde.
1. Das Handlungsprogramm: So möchte die Stadt künftig bauen
Auf den insgesamt rund 200 Seiten des Programms hat die Stadt etliche Punkte zusammengebracht. Im ersten Teil findet sich zum einen eine Analyse der Bevölkerungsentwicklung Radolfzells, aus der sich die künftigen Bedarfe verschiedener Bevölkerungsgruppen ableiten lassen. Zum anderen sind drei Handlungsfelder definiert, in denen mehrere Ziele zu erreichen sind, sowie die dafür notwendigen Mittel.
Konkret möchte die Stadt damit folgende Frage beantworten: Welche Art von Wohnungen und in welcher Menge möchte man künftig für welche Zielgruppe bauen, und welche Infrastruktur und Grünflächen braucht es dazu?
Handlungsfelder, Ziele und Maßnahmen
Das Ergebnis soll künftig als Grundlage bei der Entwicklung von Neubaugebieten und Nachverdichtungen dienen. Als Basis dienten die Ergebnisse der drei Dialogforen Wohnen, an denen sich auch die Radolfzeller Bürgerinnen und Bürger in den vergangenen Monaten beteiligen konnten.
Neu ist: Der Wohnungsbau soll künftig nicht mehr als reine Reaktion erfolgen. „Das Programm ist vom Ziel her gedacht, also wie viele Einwohner die Stadt künftig haben möchte und nicht wie viele Flächen es maximal geben würde“, erläuterte König. Ziel sei ein moderates Wachstum von 32.190 auf 32.500 bis 33.000 Einwohner bis zum Jahr 2030, errechnet auf Basis des Wachstums der vergangenen Jahre.
Das Ziel: 130 neue Wohneinheiten pro Jahr
Dabei unterscheidet die Stadt zwischen sogenannten normalen Nutzergruppen, also Erwerbstätigen, und größer werdenden besonderen Nutzergruppen, womit Menschen gemeint sind, die auf geförderten Wohnraum angewiesen sind. Diesen soll genauso Rechnung getragen werden wie den Veränderungen durch den demografischen Wandel. So nehme beispielsweise der Anteil der über 65-Jährigen und von Geflüchteten zu, der Anteil der Jungen nehme ab.
Um allen Bedürfnissen gerecht zu werden, ist einiges nötig, wie König in der Sitzung deutlich machte: „50 neu gebaute Wohneinheiten pro Jahr decken gerade mal den Bedarf durch den demografischen Wandel ab. Erst darüber schaffen wir Wachstum.“ Ziel sei daher, durchschnittlich 130 Einheiten jährlich zu bauen, 30 Prozent davon mit Sozialbindung.
Denn in diesem Bereich herrscht aktuell der größte Bedarf. Von den 16.500 Haushalten in Radolfzell benötigten 2023 1800, also 11 Prozent, geförderten Wohnraum. Deshalb möchte die Stadt weiterhin 11 Prozent der Neubauten als sozialen Wohnraum fördern. Hinzu kommen die Menschen, die bezahlbaren Wohnraum benötigen. Dafür braucht es laut dem Programm bis 2030 weitere 138 Wohneinheiten, also etwa 17 pro Jahr. Bei insgesamt 130 neuen Einheiten pro Jahr müssten also mindestens 24 Prozent in diese beiden Bereiche fallen.
Hierzu stimmten die Räte einstimmig dem Vorhaben der Verwaltung zu, bis zum Herbst eine konkrete Strategie zur Umsetzung der einzelnen Ziele im Bereich geförderter Wohnungsbau vorzulegen.
2. Die Umsetzung: Welche Flächen geht die Stadt zuerst an?
Zweitens nahmen die Räte einstimmig Teil B des Programms zur Kenntnis, „mit dem die Stadt in die Umsetzung des Programms starten kann“, so König. In diesem sind einzelne aktuelle Neubaugebiete, Nachverdichtungsgebiete und künftig nutzbare Flächen in fünf Kategorien priorisiert – je nach Dringlichkeit zum Erreichen der Ziele des Programms.
Dabei wurde auch analysiert, ob in dem jeweiligen Gebiet für jüngere oder ältere Menschen, für ärmere oder reichere Schichten, für mit oder ohne Kinder sowie ob mit oder ohne Ferienwohnungen geplant wird. Außerdem sind auf den 200 Seiten des Handlungsprogramms jeweils die Vorteile, mögliche Probleme und die Eigentumsverhältnisse der Gebiete aufgeführt.
Die Gebiete und ihre Prioritäten
Kategorie eins und zwei sollen von der Stadtverwaltung sofort betreut und umgesetzt oder weiterentwickelt werden. In die erste Gruppe gehört der Bebauungsplan Hübschäcker in Böhringen, die Nachverdichtung Regiment-Piemont-Straße und Hohenfriedingen-Straße in der Kernstadt sowie das Sanierungsgebiet Ortsmitte Böhringen.
In die zweite Kategorie fällt der Bebauungsplan Gleisdreieck, die Stadterweiterung Nord, der Bebauungsplan Seelenhofer Süd in Liggeringen, die Nachverdichtungspotenziale Ost, Mezgerwaid/Sonnenrain und Schlesierstraße in der Kernstadt sowie die Nachverdichtung Böhringen Nord.
Gebiete in der Kategorie drei sind erst mittelfristig zur Zielerreichung erforderlich. Hierzu zählt das Gebiet Lohrinsel in der Kernstadt. In Gruppe vier befinden sich Flächen, die je nach weiteren Planungen erforderlich werden könnten, wie zum Beispiel die Gebiete Schlossbergstraße 12/Jägerpfad in Güttingen, Kleines Öschle in Böhringen und Grub-Ost und Schulstraße in Möggingen.
In der letzten Kategorien befinden sich lediglich Flächen, die zum Erreichen der Ziele des Handlungsprogramms nicht notwendig sind. Hierzu zählen die Gebiete Durchäcker in Güttingen, Am Riedweg in der Kernstadt, Gatteräcker Süd in Liggeringen und Unter Bohlinger Weg in Böhringen. Sie sind laut Dezernentin Angelique Augenstein als mögliche künftige Tauschflächen wertvoller für die Stadt. Allerdings soll über die Einteilung im Herbst erneut beraten werden.