Richter Bastian Hoenig machte unmissverständlich klar: „So geht es nicht. Das sollten Sie als Politiker wissen.“ Dieser Satz fiel am Ende eines Prozesses, bei dem ein Kreistagsmitglied verurteilt wurde. „Man kann sich über die Maskenpflicht streiten“, so der Richter weiter. Doch wenn man eine Meinung vertrete, suche man sich Mitstreiter und finde Mehrheiten und rufe nicht zu Straftaten auf.
Die Staatsanwaltschaft warf dem 56-Jährigen vor, am 13. Januar 2022 um 18.33 Uhr im Internet in der Gruppe „Gemeinsam stark im Hegau“ des Anbieters Telegram in einer Textnachricht öffentlich zu massenhaftem Hausfriedensbruch, also zu Straftaten, aufgefordert zu haben. Der Angeklagte äußerte laut Staatsanwaltschaft in der Gruppe in einer Zeit, in der beim Einkaufen Maskenpflicht herrschte, schriftlich die Idee, mit zehn, 20, 30 Leuten, ohne Maske, in Supermärkte zu gehen.
Dabei nannte er auch bestimmte Supermarktketten, die das Ziel der Aktion sein könnten. Das Personal in den Supermärkten sei damit überfordert und könne die Maskenpflicht nicht mehr durchsetzen. Der Marktleiter würde dann wahrscheinlich, Zitat aus dem Chat „die Schlümpfe vom Trachtenverein“ rufen, womit der Angeklagte offensichtlich die Polizei meinte. Doch bis die einträfen, müsse man wieder weg sein.
Das müsse man oft wiederholen und auch überregional durchführen, so der Angeklagte weiter. Diese Aktionen würden „die Schlümpfe vom Trachtenverein“ dann noch mehr in Personalnot bringen als das bereits durch die sogenannten Montagsspaziergänge der Fall gewesen sei. Auch schrieb er in dem Zusammenhang den Satz: „Nennen wir es doch einfach den Tag des Ungehorsams.“
Angeklagte bejahte die Frage, ob die Nachricht weitergeleitet werden darf
Für diese Idee erntete der Angeklagte in der „Stark im Hegau“-Gruppe laut Richter Hoenig viel Beifall und Bekundungen, bei einer solchen Aktion dabei sein zu wollen. Als ein Gruppenmitglied fragte, ob es die Nachricht weiterleiten dürfe, antwortete der Angeklagte: „Ich bitte darum.“ Später antwortete dann ein Gruppenmitglied, dass sie die Idee gern umsetzen würden, auch wurde Ravensburg als mögliches Ziel der Tat genannt und der Angeklagte antwortete: „Gebt mir Ort und Zeit und ich bin dabei.“
Es sei ohne Probleme möglich gewesen, in die Gruppe „Gemeinsam stark im Hegau“ zu kommen, berichtete ermittelnde Kriminalbeamte, der als Zeuge aussagte. Sie sei öffentlich zugänglich. Dass der Aufruf tatsächlich vom Angeklagten stamme, wurde auch dadurch deutlich, dass er sich, direkt nach seiner Vorladung zur Vernehmung durch die Polizei in der Gruppe mit dem Hinweis meldete, dass man aufpassen solle, was man in den Chat schreibe.
Nachdem sich der Angeklagte nicht zur Sache äußern wollte, brachte sein Verteidiger, Gianpiero Fruci, die Argumente vor, die seiner Meinung nach gegen eine Aufforderung zu Straftaten sprachen. Der Angeklagte habe vielmehr eine Idee geäußert, ein abstraktes Gedankenkonstrukt, das laut Fruci niemand ernst genommen habe. Das mache die Formulierung am Anfang der Nachricht „Was haltet ihr von folgender Idee“ deutlich.
Verteidiger sieht in der Nachricht keine Aufforderung
Unter einer Aufforderung verstehe er, dass sich die Empfänger der Nachricht unmittelbar nach dem Lesen des Textes auf den Weg machten, die Tat umzusetzen. Das sei nicht geschehen. Die Nachricht habe vielmehr Appellcharakter und Fruci sprach von reiner Stimmungsmache, von der Dynamik einer Gruppe, in der schnell mal etwas geschrieben sei und man „schneller mit den Fingern als mit dem Kopf sei“. Der Verteidiger brachte auch ins Spiel, dass die Nachricht ja nur für eine bestimmte Gruppe, einen überschaubaren Personenkreis und nicht die breite Öffentlichkeit bestimmt gewesen sei.

Schließlich berief er sich auf die Meinungsfreiheit, durch die die Äußerung gedeckt sei und plädierte für Freispruch. Über die Sinnhaftigkeit der Maskenpflicht könne man sowieso streiten und ob die Inhaber der Supermärkte diese tatsächlich durchgesetzt hätten, sei fraglich, erklärte Gianpiero Fruci.
Der Vertreter der Staatsanwaltschaft ging nicht auf diese Argumente ein und blieb dabei, dass der Sachverhalt feststehe. Auch aus Sicht des Richters gab es keinen Zweifel an der Urheberschaft der Nachricht. Durch die konkreten Handlungsanweisungen, mit wie vielen Leuten und in welche Supermärkte man gehen könne, handle es sich um mehr als einen Diskussionsbeitrag. Der Angeklagte habe billigend in Kauf genommen, dass seine „Idee“ umgesetzt werde. Auch sah der Richter nicht, dass sich der Aufruf nur an einen kleinen, geschlossenen Personenkreis richtete. Die Gruppe sei öffentlich zugänglich und der Angeklagte habe die Frage, ob die Nachricht weitergeleitet werden dürfe, bejaht.
Da die Taten, der Hausfriedensbruch, nicht begangen wurde, handle es sich um eine Aufforderung zu Straftaten und nicht um eine Anstiftung, die härter bestraft werden würde. Zu Gunsten des Angeklagten legten Richter und Staatsanwaltschaft aus, dass er bisher strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten sei und sein Vergehen über ein Jahr zurückliege.
Corona-Maßnahmen galten dem Schutz der Bevölkerung
Die Corona-Maßnahmen mit der Maskenpflicht, so der Richter, galten dem Schutz der Bevölkerung. Er erinnerte daran, dass zu diesem Zeitpunkt die Omikron-Variante auf dem Vormarsch war und man nicht genau wusste, wie sie sich auswirkte. Die Meinungsfreiheit habe ihre Schranken in den allgemeinen Gesetzen. Diese hätten die Aufgabe, den Frieden in der Gesellschaft schützen. Und in diesem Fall wäre das Hausrecht Dritter, der Supermarktleiter, durch die Straftaten beeinträchtigt worden. Das Gericht verurteilte das Kreistagsmitglied zu 45 Tagessätzen zu je 60 Euro. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.