Eine Baugenossenschaft, die nicht baut? Ganz so sieht es bei der Baugenossenschaft Hegau nicht aus, denn das Vorhaben Überlinger Höfe in der Überlinger Straße in der Singener Südstadt wächst sichtbar. Das Umfeld bleibe trotzdem schwierig, sagt Kai Feseker, der seit 1. April dieses Jahres Vorstandschef der Hegau ist. Er stellte die Bilanz der Genossenschaft zum ersten Mal allein vor, nachdem sein Vorgänger Axel Nieburg zum 1. April aus dem Amt ausgeschieden ist. Verantwortlich für das Geschäftsjahr 2023 war somit noch Nieburg.
An dem, was Feseker über das Umfeld am Bau sagt, hat sich im Vergleich zu Nieburgs Aussagen zum Thema nicht viel geändert. Die Zinsen fürs Bauen seien gestiegen, die Kosten am Bau ebenfalls – eine „toxische Mischung“ für alle, die Bauwerke errichten wollen, so Feseker. Die Ursachen dafür sind bekannt: Die Kriege in der Ukraine und in Israel drücken auf die Wirtschaftslage, Energiepreise und Inflation sind gestiegen und die Nachwirkungen der Corona-Pandemie halte er auch für noch nicht ganz überwunden, sagt Feseker: „Aber die Inflation geht inzwischen wieder zurück.“ Und Feseker vermutet auch Mitnahmeeffekte bei manchen Baustoffherstellern, die ihre Preise einfach mit erhöht hätten.
Bei vielen Projekten wird erst einmal nur geplant
In diesem Umfeld bewegt sich auch das Baugewerbe mit großen Vermietern wie der Hegau. Das Bauprojekt Überlinger Höfe wird umgesetzt, die ersten Wohnungen sollen am 1. November bezugsfertig übergeben werden, erklärt der Genossenschafts-Chef. Bei weiteren Projekten würden aber vorerst nur die Planungen laufen, für den Bau warte man auf günstigere Bedingungen.
Die wichtigsten Kennzahlen
Für die Bürger bedeutet das: Die Wohnungssuche wird zumindest nicht leichter. Denn die Hegau steht damit nicht allein da. 400.000 Wohnungen wollte die Bundesregierung eigentlich pro Jahr bauen, fertiggestellt wurden laut dem Statistischen Bundesamt im Jahr 2023 knapp 300.000. Der Zentrale Immobilien Ausschuss (ZIA), eine Interessensvertretung der Bauwirtschaft, prognostiziert, dass im Jahr 2027 etwa 800.000 neu gebaute Wohnungen fehlen werden – auch diese Zahlen hat Feseker in seine Präsentation eingebaut. Gleichzeitig geht die Zahl der erteilten Baugenehmigungen zurück, wie ebenfalls Zahlen des Statistischen Bundesamtes zeigen. Im ersten Halbjahr wurden demnach bundesweit etwa 135.000 Baugenehmigungen erteilt. Und das bei wachsender Bevölkerung.
Für die Baugenossenschaft Hegau als Unternehmen heißt es trotzdem: „Wir jammern nicht auf hohem Niveau, wir haben eigentlich keinen Grund, überhaupt zu jammern“, sagt Feseker. Die Bilanzsumme lag 2023 bei 118,7 Millionen Euro (2022: 113,0 Millionen Euro), damit erzielte die Hegau einen Jahresüberschuss von 3,4 Millionen Euro (2022: 4,2 Millionen Euro). „Das Unternehmen ist gesund und für 2024 sieht es bislang ähnlich aus“, sagt der Vorstandsvorsitzende.
Dennoch: Feseker zitiert auch den ZIA-Präsident Andreas Mattner mit dem Satz „Wer heute noch baut, geht bankrott.“ Und der Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW) hat ausgerechnet, dass durch Zins- und Baukostensteigerungen 2023 eine Quadratmeterkaltmiete von 18,10 Euro notwendig gewesen wäre, um kostendeckend Mietwohnungen zu bauen. „Das kann kaum jemand zahlen“, bewertet Kai Feseker. Und zu einer Baugenossenschaft, die ihre Durchschnittskaltmiete mit 6,60 Euro pro Quadratmeter angibt, dürfte es auch nicht passen. Jedes einzelne Bauprojekt müsse zudem in sich wirtschaftlich funktionieren, eine Querfinanzierung über höhere Mieten im Bestand gebe es nicht.
Vier Projekte sind in Vorbereitung – und unterschiedlich weit
Wie kann man also trotzdem bauen, trotz dieser Rahmenbedingungen? Die Nachfrage ist da, hat Feseker bei einem Besichtigungswochenende in der Überlinger Straße gesehen. Man könne zum Beispiel kleinere Wohnungen mit gleich vielen Zimmern bauen, um Kosten zu drücken. Oder das gleiche Gebäude mehrfach errichten, wie es an der Albert-Schweitzer-Straße in Stockach geplant ist. Für dieses Projekt sei der Architektenvertrag inzwischen unterschrieben, nun soll die konkrete Planung beginnen. Diese dauere sicher etwa ein Jahr. Und dann hoffe er darauf, dass die Bedingungen so sind, dass man mit dem Bau starten könne.
In Radolfzell werden die Genossenschafts-Wohnungen in der Hohenfriedingenstraße renoviert und aufgestockt. Außerdem soll ein Neubau die bisherigen zwei Gebäude ergänzen, sodass am Ende 62 statt derzeit 36 Wohnungen zur Verfügung stehen. Dieses Projekt sei schon recht konkret, sagt Feseker, ohne einen Baustart zu nennen. Doch es gebe dafür Rückhalt von der Stadt.
Auch die Königsberger Straße in Gottmadingen stehe weiter auf dem Plan, sagt der Genossenschafts-Chef, es sei aber noch nicht in trockenen Tüchern. Der Entwurf sei da, doch die Planung noch nicht fertig.
Viele offene Fragen gebe es auch noch im Singener Bruderhofgebiet. Dort sollten drei Riegelhäuser in der Schauinslandstraße aufgestockt und um einen neuen Querbau erweitert werden. Für ihn habe das hohe Priorität, sagt Kai Feseker, denn auch am Bestand müsse man etwas tun. Doch die Frage der Stellplätze und der Lärmbelästigung, die von ihnen ausgeht, sei noch offen. Und es gebe viele Einwendungen aus dem Umfeld: „Das hat mich in dieser massiven Ausprägung schon überrascht“, sagt Feseker. Die Frage laute jetzt: Gibt es eine andere Lösung, die weniger Widerstand hervorruft? Denn auch morgen brauchen die Menschen noch Wohnungen.