Wo viele Kinder unterrichtet werden, die aus sozial benachteiligten Verhältnisse kommen, muss mehr Personal her. Das sollte eigentlich eine Binsenweisheit sein. Denn wenn Kinder aus den sprichwörtlichen schwierigen Verhältnissen kommen, brauchen sie mehr Förderung, um im Schulsystem bestehen zu können – und um im Idealfall auch einen guten Start in ein späteres Berufsleben zu haben. Nicht zuletzt wird schon lange als Ziel des Kultuspolitik ausgegeben, dass Bildungserfolg nicht von der Herkunft abhängen darf.
Im baden-württembergischen Kultuswesen gibt es nun einen neuen Schritt, mit dem der Zusammenhang von Bildungserfolg und Elternhaus gelockert werden soll. Das Programm nennt sich „sozialindexbasierte Ressourcensteuerung“. Das sperrige Wort bedeutet grob gesagt: Schulen, deren Schüler es brauchen, bekommen mehr Mittel. Das Land legt erst einmal einen Modellversuch für die Grundschulen auf, der für vier Jahre läuft und der vom Institut für Bildungsanalysen Baden-Württemberg (IBBW) begleitet und ausgewertet wird. Die Stadt Singen hat es in diesen Modellversuch geschafft – als eine von fünf Städten im Bundesland neben Mannheim, Pforzheim, Stuttgart und Heilbronn.

Für die Singener Grundschulen bedeutet das zunächst, dass es zusätzliche Stellen für ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) gibt, dass pädagogische Assistenzstellen geschaffen werden können und dass pro Schuljahr 50.000 Euro für multiprofessionelle Teams zur Verfügung stehen. Mit diesem Begriff sind beispielsweise Hilfen im Bereich Sozialpädagogik, Logopädie oder Ergotherapie gemeint.

Bei der Stadtverwaltung und den Mitgliedern des Gemeinderatsausschusses für Schule und Sport traf das Pilotprogramm des Landes auf Beifall. Bürgermeisterin Ute Seifried, in deren Verantwortungsbereich die Schulen fallen, und Bernd Walz, Fachbereichsleiter Bildung und Sport, betonten jeweils, dass das Land nun Schluss mit dem Gießkannenprinzip mache.
Die Ressourcen werden in dem neuen Programm nämlich nicht gleichmäßig auf alle Städte und Schulen verteilt, sondern nur auf solche, in denen der Sozialindex es auch hergibt. In diesen Index fließt laut der Sitzungsvorlage unter anderem ein, wie viel Kaufkraft die Menschen im Einzugsbereich einer Schule haben oder wie viele Menschen rund um eine Schule Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II beziehen – besser bekannt als Hartz IV. „Das ist eine Chance, die wir nutzen wollen“, sagte Bernd Walz in der Sitzung und ergänzte: „Das ist endlich ein Schritt in die richtige Richtung.“ Lob kam zum Beispiel auch von den Ausschussmitgliedern Markus Weber (Neue Linie) und Angelika Berner-Assfalg (CDU).
Freude bei Schulleitungen, aber auch praktische Hindernisse
Anja Claßen, Leiterin der Grundschule Waldeckschule und geschäftsführende Schulleiterin der Singener Schulen, sitzt als beratendes Mitglied im Ausschuss. „Wir haben uns sehr gefreut, dass Singen ausgewählt wurde“, berichtet sie aus dem Blickwinkel der Schulleitungen. Laut der Sitzungsvorlage gehören die sechs Grundschulen in der Kernstadt Singen zum Unterstützungsprogramm. Die Schulen hätten bereits pädagogische Assistenten ausgeschrieben und auch passende Personen gefunden, sagte Claßen. Was das Budget für die multiprofessionellen Teams von 50.000 Euro angeht, liege die Verteilung allerdings beim Staatlichen Schulamt in Konstanz. Es sei also noch nicht klar, wie viele Schulen von diesem Geld am Ende tatsächlich profitieren. Denn neben den Grundschulen in der Kernstadt gibt es Grundschulen in den Ortsteilen.

Unklar ist logischerweise auch, wie viel Geld dann an jeder Schule hängen bleibt. Wird der Kuchen in viele kleinere Stücke aufgeteilt, könnte die Durchschlagskraft pro Schule sinken. Denn die Logopäden und Ergotherapeuten, die in einem multiprofessionellen Team arbeiten sollen, haben auch ihren Preis. Und Claßen sagt auf Anfrage noch: „Es gestaltet sich schwer, die Fachkräfte zu finden. Sie arbeiten in der Regel in einer Praxis und sind gut ausgelastet.“ Die Pläne würden sie zwar spannend finden, aber Kapazität und Honorarvorstellungen seien Hindernisse.
Ähnlich stellte es auch Marc Laporte-Hoffmann dar, der Leiter der Johann-Peter-Hebel-Schule, der ebenfalls beratend im Ausschuss ist. Es gebe Probleme, Fachkräfte zu finden, sagte er in der Sitzung. An der Hebel-Schule habe man hauptsächlich daran gedacht, das Geld für Erlebnispädagogik zu verwenden, damit Kinder auch Erfolgserlebnisse haben, die nicht vom Unterricht abhängen. Seine Schule sei Pilotschule für multiprofessionelle Teams und werde speziell vom IBBW begleitet. „Mit ein bisschen Geld kann man da was machen“, sagte er in der Sitzung und: „Aber man hofft, dass das Geld auch reicht für das, was man erreichen will.“ Die Aufteilung des Geldes werde sich bis zu den Sommerferien entscheiden, schätzt Claßen auf Anfrage.
Trotz allem überwiege bei den Schulleitungen die Freude: „Lieber ein kleiner Anfang als gar nicht beginnen“, sagt Claßen. Und man hoffe, dass das Pilotprogramm nach der Auswertung als Dauereinrichtung in die Fläche gehe.