Natürlich ging es auch um die M-Frage, als Cem Özdemir, Bundeslandwirtschaftsminister der Grünen, auf der Bühne in der Singener Stadthalle beim SÜDKURIER-Forum saß. Also: Will Özdemir 2026 Ministerpräsident werden? Die Antwort im Gespräch mit SÜDKURIER-Chefredakteur Stefan Lutz fiel diplomatisch aus. Er selbst habe einen tollen Job als Landwirtschaftsminister, das Land einen tollen Ministerpräsidenten und überhaupt werde man rechtzeitig jemanden nominieren. Er selbst, Özdemir, wolle dabei aber ein Wort mitreden.
Ein Schulfach Medienkompetenz, Gewalt in der politischen Auseinandersetzung, das geplante Verbrenner-Aus: Özdemir antwortet redegewandt, glänzt mit Detailwissen in vielen Bereichen und erklärt Dinge so, dass der sprichwörtliche Mann auf der Straße sie versteht. Dabei sind das nicht einmal seine Kernthemen. Als zuständiger Minister hat er auch zur Landwirtschaft einiges dabei. Zum Beispiel: Auf Ebene der EU wolle er erreichen, dass öffentliches Geld – also Subventionen – künftig eher für öffentliche Aufgaben fließen, etwa wenn sich ein Landwirt besonders für Klimaschutz und Biodiversität einsetzt.
Landwirte sprechen über ihre Sorgen
Bei Doris Buhl rennt Özdemir damit offene Türen ein. Sie ist Kreisteamleiterin des Bundes Deutscher Milchviehhalter (BDM), einem Verband, der nach ihren Worten nicht im Bauernverband organisiert ist wie der Badische Landwirtschaftliche Hauptverband (BLHV).

Sie und ihr Mann bewirtschaften das Hofgut Homboll beim Hilzinger Ortsteil Weiterdingen mit 50 Milchkühen und 100 Hektar Land. Vor 40 Jahren habe es noch 18 Milchviehhalter in Weiterdingen gegeben, jetzt noch vier – von denen keiner einen Nachfolger habe. „Wir wollen unser Geld über unserer Hände Arbeit verdienen, nicht über Subventionen“, sagt sie dann in der Publikumsfragerunde.

Ihr Problem: Wenn sie ihre Milch bei der Molkerei abliefert, würde sie den Preis, den sie dafür bekomme, erst einen Monat später erfahren, erzählt sie. Özdemir spricht in seiner Antwort seinen Gesprächspartner Stefan Lutz direkt an. Der fände es sicher auch nicht so gut, wenn sein Chef am Ende eines Monats sagen würde, dass ihm die Artikel nicht gefallen haben und er deswegen nur das halbe Gehalt bekomme. „Aber so müssen die Milchbauern arbeiten“, sagt der Minister. Und: „Ich finde, das gehört geändert.“
Doch er gibt auch zu bedenken, dass es die eine Landwirtschaft nicht gebe und dass verschiedene Verbände mitunter völlig unterschiedliche Positionen haben. Während Doris Buhl am Rande der Veranstaltung meint, dass es ganz gut war, dass die jüngste Bundestagswahl das traditionell CDU-geführte Landwirtschaftsministerium mal durcheinandergewirbelt habe, sagte Wilfried Jerg, Landwirt aus Heiligenberg im Bodenseekreis, in der Publikumsrunde zum Thema Auflagen: „Manchmal denke ich da: Herr, wirf Hirn vom Himmel.“
Jerg, der bis zur Kommunalwahl Anfang Juni für die CDU im Gemeinderat von Heiligenberg saß, berichtet von einem Nachbarhof mit eigener Quelle, der vor Jahren Wasser für die öffentliche Trinkwasserversorgung hergegeben habe. Nun solle dort ein Wasserschutzgebiet eingerichtet werden, was den betroffenen Landwirt auf seinem eigenen Land stark einschränken würde. Ist die Sozialpflichtigkeit des Eigentums da nicht überreizt? Mit Sozialpflichtigkeit ist gemeint, dass öffentliche Interessen berücksichtigt werden müssen – und das beim Boden umso mehr, da er nur begrenzt verfügbar ist.

Özdemir reagierte mit einer Aufzählung, was in seiner Amtszeit alles zugunsten von Landwirten passiert ist: So sei mehr Geld für Schweinehalter ausgegeben worden als je zuvor und das Baurecht sei vereinfacht worden. Und ein wenig zeigt er sich angefasst von der langjährigen Verbindung vieler Bauernverbände mit der CDU: „Hätte ich das als Schwarzer gemacht, hätten Sie mir die Ehrenmitgliedschaft angetragen.“ Özdemir mahnt im Laufe des Abends mehrfach, nicht parteipolitisch, sondern an der Sache orientiert zu sein.
Betonung der Gemeinsamkeit imponiert im Publikum
Dass der Minister die gemeinsamen Lösungen so betont, hat Wolfgang Bandel imponiert. Er ist langjähriges CDU-Mitglied, zählt sich aber zum Arbeitnehmerflügel der Partei. Im aktiven Berufsleben war er lange stellvertretender Betriebsratsvorsitzender bei Constellium, jetzt ist Bandel noch Landesvorsitzender des Kolpingwerks. „Gemeinsame Lösungen und Wege zu finden, ist in der heutigen Zeit wichtig“, sagt er nach der Veranstaltung.
Dass Özdemir Ministerpräsident kann, würde er ihm zutrauen. Doch die Bundestagswahl 2025 sei eigentlich noch wichtiger. Da hoffe er auf eine schwarz-grüne Koalition auf Bundesebene. Und er ist der Meinung: Özdemir habe an dem Abend bewusst die europa- und bundespolitischen Karten gespielt.
Grünen-Politikerinnen sehen den Auftritt positiv
Sollte Özdemir als Ministerpräsident kandidieren, ist ihm die Unterstützung von zwei Grünen-Politikerinnen aus der Region sicher. „Özdemir kann Menschen zusammenbringen“, sagt etwa Saskia Frank aus Rielasingen-Worblingen, die ab 1. September der bisherigen Grünen-Landtagsabgeordneten Dorothea Wehinger im Parlament nachfolgen wird.

Wehinger selbst war wegen Terminen in Stuttgart nicht bei der Veranstaltung. Frank, die auch Gemeinderätin in Rielasingen-Worblingen ist, lobt weiter: „Wenn man Baden-Württemberg zukunftsfest aufstellen will als starken Wirtschaftsstandort, ist Özdemir die richtige Person.“ Denn er suche nicht nach Problemen, sondern nach Lösungen.

Begeistert vom Landwirtschaftsminister war auch Regina Henke, die Wehingers Büro leitet und für die Grünen im Singener Gemeinderat sitzt: „Er war authentisch, sympathisch und super informiert. Ich finde: Er sollte kandidieren.“

Franz Hirschle, Vorsitzender der CDU-Fraktion im Singener Gemeinderat, sah die Sache etwas anders. Er schätze zwar Özdemir und finde auch das Veranstaltungsformat gut. In seinen Augen sei Özdemir allerdings häufig eher im Allgemeinen geblieben: „Er hat nicht den ganz großen Bogen gespannt.“ Auch wenn die Umfragen etwas anderes sagen, gibt Hirschle mit Blick auf den möglichen CDU-Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten doch zu: „Als Person könnte er Manuel Hagel gefährlich werden.“