Erst wochenlange Einschränkungen im Rahmen der Corona-Pandemie, nun ein Warnstreik: Eltern brauchen derzeit starke Nerven. Denn am Mittwoch schlossen einige Betreuungsgruppen in Singen ganz oder vorzeitig, weil sich Erzieher und Erzieherinnen an einem Warnstreik beteiligten, zu dem die Gewerkschaft Verdi im Tarifkonflikt im Öffentlichen Dienst aufgerufen hatte. Drei von zehn städtischen Einrichtungen waren in Singen betroffen, wie Bürgermeisterin Ute Seifried dem SÜDKURIER sagt. „Viele Erzieherinnen und Erzieher tun sich schwer zu streiken, weil sie wissen, wie belastet die Familien sind“, ergänzt sie.
Die Bürgermeisterin wünscht sich intensivere Gespräche der Verhandlungspartner: Sie habe das Gefühl, dass beide Parteien auf ihren Standpunkt beharren und dann umgehend gestreikt werde, dabei könne man den Konflikt mit ernsthaften Gesprächen vielleicht lösen.
In drei Kitas gab es Einschränkungen
Ute Seifried hatte die Ankündigung zum Warnstreik am Montag auf ihrem Schreibtisch, wie sie sagt. Betroffene Eltern seien vorab informiert worden. In den beiden Krippengruppen der Kita Masurenstraße konnte nur eine kleine Anzahl Kinder notbetreut werden. In der Kita An der Aach wurden zwei Gruppen ganz geschlossen, das betrifft laut Seifried etwa 40 Kinder. Die Ganztagesgruppe wurde früher geschlossen: Statt bis 16 Uhr wurden die Kinder nur bis 14.15 Uhr betreut. „Die meisten Erzieherinnen und Erzieher machen aber ganz normal weiter“, sagt Seifried.
Beschwerden waren der Bürgermeisterin am Mittwochmorgen nicht bekannt. Es sei auch „ganz, ganz wichtig“, dass die Kitas nun Stabilität bieten. „Die Eltern sind froh, dass die Kinderbetreuung wieder funktioniert“, sagt Ute Seifried, nachdem wegen der Corona-Pandemie über Wochen nur eine Notbetreuung stattfand und viele Eltern im Homeoffice sehr gefordert waren. Auch wenn viele Arbeitgeber lange Verständnis für die Doppelbelastung von Eltern gehabt hätten, sei Kinderbetreuung existenziell.

Nächstes Mal wollen mehr Erzieher aus Singen streiken
Wenn es im nächsten Tarifgespräch keine Einigung gibt, könnten die Einschränkungen in Singen deutlicher ausfallen: „Beim nächsten Streik werden wir sicher schließen und dann komplett“, kündigt Nicole Grison an. Sie leitet die Kita Bruderhof sowie die Kita An der Aach. Die Entscheidung zu streiken mache sich kein Erzieher leicht: „Wir sehen, was es für Eltern bedeutet“, betont Grison. Deshalb hätten sie sich aktuell nicht beteiligt, nachdem es an der Kita Bruderhof krankheits-bedingt zuletzt Einschränkungen gegeben habe.
Doch um ihren fordernden Beruf attraktiv zu machen, müsse man die Mitarbeiter besser bezahlen. „Arbeit mit Menschen ist allgemein mehr wert. Wir haben in den vergangenen Monaten gehört, dass wir systemrelevant sind, doch vom Klatschen kann ich mir leider nicht so viel kaufen“, sagt die Kita-Leiterin. Von Eltern erfahre sie dafür Verständnis. Ein Vater habe sie sogar angesprochen, dass er es schade findet, dass die Kita Bruderhof nicht mitstreike.
Die Kritik: Erzieher verdienen doch gar nicht so schlecht
Und wie reagiert sie auf Kommentare im Internet, demnach Erzieher doch gar nicht so schlecht verdienen? Solche Kritiker möchte Nicole Grison zum Praktikum einladen, sobald das Corona-bedingt wieder möglich ist. „Wir arbeiten mit dem wichtigsten, was wir haben: unserer Zukunft“, sagt Grison. Beziehungsarbeit sei eine der wichtigsten Arbeiten und nicht immer leicht. Und Lebenshaltungskosten würden kontinuierlich steigen.

Streiken während andere in Kurzarbeit sind? Schwer zu vermitteln
Bürgermeisterin Ute Seifried äußert grundsätzlich Verständnis für den Warnstreik. Das sei ein Recht ihrer Mitarbeiter. Sie tue sich aber schwer mit der Forderung der Gewerkschaft und hätte sich eine Differenzierung gewünscht. „Es ist klar, dass bei Pflegekräften das Klatschen nicht reicht“, sagt Seifried. Eine flächendeckende Erhöhung von 4,8 Prozent sei aber schwer zu vermitteln, während viele Menschen in der freien Wirtschaft noch in Kurzarbeit seien und die Folgen der Pandemie noch nicht absehbar sind.
Bürgermeisterin findet Arbeitsbedingungen entscheidend
Die Bürgermeisterin glaubt auch nicht, dass Geld allein hilft, den Fachkräfte-Mangel in den Kitas zu lösen. Wichtig seien auch die Arbeitsbedingungen, beispielsweise kleinere Gruppen, bessere Planbarkeit und weniger Stress. Auch wenn das eine Gratwanderung sei zwischen den Bedürfnissen von Erziehern und denen von Eltern. „Wir suchen immer Mitarbeiter für unsere Kitas. Und anders als noch vor zehn Jahren haben wir heute keine große Auswahl mehr.“ Eine Berufsanfängerin verdiene laut Seifried rund 2800 Euro brutto, maximal möglich sind nach einigen Berufsjahren 3850 Euro.
Bürgerzentrum wegen Streik geschlossen
Auch das Bürgerzentrum war von dem Warnstreik betroffen und am Mittwoch komplett geschlossen, nachdem ein Großteil der Mitarbeiter angekündigt hatte, seine Arbeit niederzulegen. Auch da habe man das aber auffangen und die Termine einfach verschieben können, sagt Seifried.