Es war ein Arbeitsleben im Zeichen der Maggi: Alfred Gruber, genannt Freddy, hat seit 1980 bei dem Singener Werk des Lebensmittelriesen Nestlé gearbeitet, zuletzt war er seit 2012 Vorsitzender des Maggi-Betriebsrats – und Mitglied in zahlreichen anderen Gremien im Konzern und bei der Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG). Nun ist er zu Anfang Februar in den Ruhestand gegangen. Für einen der prominentesten Betriebe der Region, in dem etwa 600 Menschen arbeiten, steht damit eine gravierende Änderung an.

Das Singener Maggi-Werk muss sich im Zusammenspiel mit den anderen Standorten des Nestlé-Konzerns behaupten. Einige Herausforderungen von Digitalisierung über Tarifverhandlungen bis Wettbewerbsfähigkeit des Standorts kommen da nicht nur auf die Unternehmensleitung, sondern auch auf die Arbeitnehmervertretung zu. Seit Januar steht an deren Spitze der 44-jährige Thomas Ley. Er rückt von der Position des Stellvertreters des Maggi-Betriebsrats auf, neuer stellvertretender Betriebsratsvorsitzender ist Robert Rastädter.

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Ley kam 2002 als Produktionsmitarbeiter ins Singener Maggi-Werk, im Jahr 2004 sei er gleich in einen großen Streik hineingeraten. Als gelernter Elektriker habe er zuvor bei einem kleinen Baubetrieb gearbeitet, erzählt Ley: „Arbeitskampf, das war mir vom Handwerk her nicht bekannt.“ Doch wenn man bei der Maggi einsteige, dann sei die Gewerkschaft sofort ein Thema, etwa 80 Prozent der Belegschaft seien Mitglied. Im ersten Anlauf sei er dann 2006 in den Betriebsrat gewählt worden, als 29 Kandidaten für 13 Betriebsratsposten antraten.

„Gute Arbeitsbedingungen für die Belegschaft, wirtschaftliche Perspektiven des Standorts und der Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit ...
„Gute Arbeitsbedingungen für die Belegschaft, wirtschaftliche Perspektiven des Standorts und der Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit liegen beiden Seiten am Herzen.“ Dominik Paintner, Werkleiter bei Maggi in Singen, über die gemeinsamen Interessen von Betriebsrat und Unternehmen | Bild: Nestlé Deutschland AG

Womit wird sich die Arbeitnehmervertretung künftig beschäftigen? Digitalisierung und Künstliche Intelligenz werden die großen Themen bleiben, da sind sich Vorgänger und Nachfolger einig. „Wenn man sich komplett gegen die Automatisierung sperrt, wird man als Werk abgehängt“, lautet die Überzeugung von Thomas Ley.

Einfachste Arbeit gibt es kaum noch

Die Effekte hat auch er in seinem Arbeitsleben beobachten können: „Als ich angefangen habe, haben drei Frauen den ganzen Tag die Flaschen mit der Maggi-Würze in Kartons gepackt.“ Das sei inzwischen nicht mehr so. Und Gruber ergänzt: „Viele Einfachstarbeitsplätze sind weggefallen.“ Die Qualifikation der Mitarbeiter für die Digitalisierung werde ein großes Thema bleiben.

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Beide, Gruber und Ley, signalisieren, dass ihnen an einem guten Miteinander im Unternehmen liegt. Gruber: „Es gibt Betriebsräte, die nur auf Konfrontation gehen. Aber wenn man immer nur Krawall macht, wird man auch nicht akzeptiert.“ Auf Konfrontation sollte man nur gehen, wenn es wirklich notwendig ist.

Aus dem Nähkästchen der Tarifverhandlungen

Und er plaudert ein wenig aus dem Nähkästchen der jüngsten Verhandlungen über den Haustarif im Jahr 2023, als der Abschluss vergleichsweise geräuschlos und ohne Streik zustande kam. „Das haben wir gut hinbekommen“, sagt Gruber mit leicht schelmischem Grinsen. Doch im kleinen Kreis und hinter verschlossenen Türen müsse man aus Sicht der Beschäftigten auch mal sanften Druck ausüben, um zum Ziel zu kommen – „und das habe ich auch getan“. Am Ende habe das beste Ergebnis gestanden, „das wir je hatten“, sagt Gruber.

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Gleichzeitig seien die relativ hohen Gehälter am Standort Singen auch eine Verpflichtung. Denn denen muss aus Sicht des Unternehmens ein Nutzen gegenüber stehen. „Man steht permanent unter dem Druck, sich für die hohen Löhne zu rechtfertigen“, sagt Gruber. Durch digitale Arbeitsweisen würden zudem die Werke unternehmensweit vergleichbar – eine Grundlage für Investitionsentscheidungen.

Vegane Produkte aus Serbien statt Singen

In welches Werk Geld fließt, werde eben nicht allein mit Blick auf das Personal und die Laufleistung von Maschinen entschieden, sagt Thomas Ley. Und Freddy Gruber gibt ein Beispiel: Vegane Produkte seien am Standort Singen mit dem benachbarten Nestlé Produkt- und Technologiezentrum, englisch NPTC abgekürzt, entwickelt worden. Der Konzern habe am Ende aber doch entschieden, diese Produkte in Serbien herzustellen.

Aus Sicht der Arbeitnehmervertreter ist es ohnehin nicht immer einfach, in einem weltweit operierenden Konzern zu arbeiten. Das deutsche Betriebsverfassungsgesetz sehe nationale Berichtslinien vor, sagt Thomas Ley. Bei Nestlé seien zuletzt aber Unternehmenssparten gebildet worden, die nicht mehr an die deutsche Zentrale in Frankfurt berichten, sondern an die europäische Zentrale.

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Auch nach Grubers Ausscheiden ist das Singener Maggi-Werk gut in den verschiedenen Arbeitnehmervertretungen von Nestlé vertreten: Ley geht in den Gesamtbetriebsrat der Nestlé Deutschland AG, sein Stellvertreter Robert Rastädter in die Arge, ein Zusammenschluss von Betriebsräten des Konzerns in Deutschland.

So sieht es der Werkleiter

Wie sieht es die Unternehmensseite? Dominik Paintner, seit August 2023 Werkleiter bei der Singener Maggi, schreibt: „Ich habe die Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat von Anfang an als sehr vertrauensvoll empfunden.“ Eine gut organisierte Arbeitnehmervertretung würde eine wichtige Rolle in einem Betrieb dieser Größenordnung spielen, so Paintner weiter. Dass sich gemeinsam viel erreichen lasse, sei auch seine Erfahrung von früheren Stationen bei Nestlé in den USA.

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In Singen trage der Betriebsrat positiv zum Arbeitsklima bei. Und: „Gute Arbeitsbedingungen für die Belegschaft, wirtschaftliche Perspektiven des Standorts und der Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit liegen beiden Seiten am Herzen. Insofern vertreten Werksleitung und Betriebsrat hier die gleichen Interessen, wenn auch mit teilweise unterschiedlichen Herangehensweisen und Standpunkten.“

Umgekehrt loben auch die Arbeitnehmervertreter die Zusammenarbeit mit Paintner. Thomas Ley sagt: „Unterm Strich haben wir beide das gleiche Ziel: Es soll allen im Werk gut gehen.“