Wer behauptet, Schwule und Lesben hätten nichts zur Gesellschaft beigetragen, soll eines Besseren belehrt werden. Eine Ausstellung im Singener Rathaus will aufzeigen, wie viele bedeutende Persönlichkeiten nicht so einfach in das vorherrschende Rollenmodell eingefügt werden können. Von Friedrich dem Großen bis hin zu Freddie Mercury beschäftigt sich die Ausstellung mit queeren Persönlichkeiten. Ausgesprochen wird das „kwir“ und bezeichnet Menschen, die sich nicht in der binären Geschlechterunterteilung von Mann und Frau wiederfinden oder nicht nur Beziehungen zum anderen Geschlecht unterhalten wollen.

Glaubt man den Ergebnissen einer jüngeren Befragung der Statista Consumer Insights, sei knapp jede achte Person der heutigen Jugendgeneration zwischen 14 bis 29 nicht heterosexuell. Der Bedarf nach mehr Aufklärung rund um das Thema Queer werde auch im Kreis Konstanz deutlich. „Der Impuls, einen Fachtag zum Thema queere Jugend abzuhalten, kam vor allem aus dem Kreis der Schulsozialarbeit“, berichtet Susanne Herz vom Arbeitskreis Respekt.

Es braucht Austausch und Sichtbarkeit

Etwa 40 Teilnehmende, darunter vor allem Schulsozialarbeiter und Pädagogen, trafen sich zum abrundenden Teil der Fortbildungsreihe „Jung und Queer“ im Rahmen der Ausstellung vor Ort in Singen. Dabei zeigt sich: „Das Thema wird von Schule zu Schule unterschiedlich gelebt“, reflektiert Susanne Herz, was in ihrer Gruppe besprochen wurde. An manchen Schulen sei es kaum thematisiert, an anderen fände hingegen intensive Beratung statt, führt sie fort.

Insgesamt müsse das Thema viel sichtbarer werden, meint Marlena Rekla, „damit queere Personen wissen, dass es wirklich okay ist, darüber zu sprechen“. Es bedürfe mehr als nur einer Regenbogenflagge, damit verunsicherte Jugendliche sich wirklich sicher und wahrgenommen fühlen könnten, führt Rekla fort. Aber sie betont auch, dass die Schule allein nicht die Strukturen der gesamten Gesellschaft ändern könne. Es brauche also auch darüber hinaus Engagement für das Thema Queer.

Wie gehen wir Menschen mit Unbekanntem um?

„Wenn wir Menschen vor etwas Angst haben, dann lehnen wir es erstmal ab“, hebt die Gleichstellungsbeauftragte Petra Martin-Schweizer hervor: „Es bedarf mehr Aufklärung“, schiebt sie nach. Die Aufklärungs- und Beratungsarbeit werde aber vor allem durch eine mangelhafte Infrastruktur und lückenhaftes Netzwerk erschwert, was aus Gruppen verschiedener Teilnehmenden bemängelt wurde. Auch die Koordinatorin Susanne Herz wünsche sich dahingehend Unterstützung von Land und Bund. Aber „mit den Fachtagen haben wir eine Basis geschaffen und Netzwerke geknüpft“, blickt Herz auf die vergangenen Veranstaltungen zurück.

Holger Edmaier und Tonia Krupinski nach der Eröffnung der Ausstellung. Hier bei dem Banner über Agatha Dietzschin, die im 16. ...
Holger Edmaier und Tonia Krupinski nach der Eröffnung der Ausstellung. Hier bei dem Banner über Agatha Dietzschin, die im 16. Jahrhundert unter dem Namen Hans Kayser bei Donaueschingen lebte. | Bild: Laura Lerch

Genau hier soll die Ausstellung „We are Part of Culture“ im Rathaus bis zum 1. Juli anknüpfen. Als Teil der Kultur präsentiert die Wanderausstellung quer durch die ganze Republik berühmte Persönlichkeiten, die die europäische Kultur nachhaltig geprägt haben von Hans Scholl und Oscar Wilde bis zu Greta Garbo. Aber auch unbekannte Menschen werden vorgestellt. Bei allen liegt der Fokus vor allem auf dem versteckten Aspekt dieser Leben: der Sexualität, erzählt Holger Edmaier, Gründer der gemeinnützigen Organisation 100 Prozent Mensch.

Der Bedarf nach mehr Aufklärung rund um das Thema Queer werde auch im Kreis Konstanz deutlich. Glaubt man den Ergebnissen einer jüngeren ...
Der Bedarf nach mehr Aufklärung rund um das Thema Queer werde auch im Kreis Konstanz deutlich. Glaubt man den Ergebnissen einer jüngeren Befragung der Statista Consumer Insights, sei knapp jede achte Person der heutigen Jugendgeneration zwischen 14-29 nicht heterosexuell. | Bild: Juliet Brook Blaut

Für Edmaier sei das Projekt auch ein Herzensthema, weil es gut tue zu wissen, dass es schon immer queere Menschen gegeben habe. Das träfe vor allem auch auf Schüler zu, die queer sind. Die Ausstellung könne zeigen, dass man Teil der Gesellschaft sein und Großes bewirken könne, egal wen man liebe oder wer man sei. Deshalb versuche die Ausstellung möglichst viele Epochen und Genres abzudecken, um zu zeigen: „Wir waren schon immer da und wir werden auch immer da sein. Wir haben von Anfang an zur Gesellschaft beigetragen“, so Edmaier.

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Zum Auftakt der Ausstellung wurde auch die Dichterin Tonia Krupinski aus Tübingen eingeladen. Die 25-Jährige beschäftige sich in ihrer Poesie auch mit dem Großwerden in einem queeren Umfeld. Sie erzählt von einer Freundin, die „befürchtete“, lesbisch zu sein, und stellt ganz gezielt die Frage: „Was gibt uns das Recht, über andere Menschen zu urteilen?“ Man sollte doch eigentlich problemlos jeden lieben können, „doch wer dieser Meinung ist irrt“, platzt es aus Krupinski heraus.

Die Konstanzerin Erika Korn ist begeistert von Käthe Kollowitz. Die Künstlerin bekannte sich schon Anfang des 20. Jahrhunderts zu ihrer ...
Die Konstanzerin Erika Korn ist begeistert von Käthe Kollowitz. Die Künstlerin bekannte sich schon Anfang des 20. Jahrhunderts zu ihrer Bisexualität. | Bild: Laura Lerch

Doch auch Fortschritte seien in den vergangen Jahren gemacht worden, wie die 83-Jährige Erika Korn zu berichten weiß: „Mein Enkel hat mich einmal gefragt, ob auch Männer heiraten können. Es ist so schön, dass ich diese Frage einfach mit ‚Ja‘ beantworten konnte.“