Die einen machen „Määäh“, die anderen „Möööh“ – so klingt es derzeit im Schafstall auf der Domäne Hohentwiel in Singen. Denn dort gibt es gerade Lämmer. Und die verständigen sich durch ihre Rufe mit den Muttertieren. Selbst wenn man ein Lamm aus der Herde nimmt, wie es Schäfer Michael Thonnet fürs Foto getan hat, findet es so seine Mutter in der ganzen Herde wieder – und die umfasst laut Thonnet immerhin etwa 450 Muttertiere der Rasse Merino. Hinzu kommen noch zehn Mutterschafe der Rasse Dorper, die ursprünglich aus Afrika stamme.
Vier bis sechs Wochen seien die Lämmer jetzt alt, erzählt Thonnet, der die Domäne auf Singens Hausberg vom Land Baden-Württemberg gepachtet hat. Wenn man mit ihm in den Stall und dort ins Gehege der Schafe gehen darf, laufen die Lämmer zusammen mit den Muttertieren erst einmal weg und halten sicheren Abstand. Doch rasch wird den Tieren klar, dass hier keine Gefahr droht. Und am Ende überwiegt die Neugier: Die Tiere nähern sich wieder an und der Reporter wird sogar beschnuppert und beschleckt.

Das passt zu einem anderen Punkt, den Schäfer Thonnet erwähnt. Schafe gewöhnen sich rasch an alles Mögliche. Zeitweise habe er mit seinen Tieren den Truppenübungsplatz in Immendingen beweidet, auf dem jetzt das Testgelände des Autoherstellers Mercedes ist. Da hätten sich die Tiere rasch an die Geräusche der vorbeifahrenden Panzer gewöhnt. Auch das Hohentwiel-Festival mit lauter Musik und tausenden Besuchern beeinflusse die Schafe kaum, da könne er seine Tiere auch auf die andere Seite des Berges bringen.
Anders ist es bei Silvesterfeuerwerk. Das habe die Tiere früher, wo sie auf die Winterweide mussten, erschreckt – und zwar die Geräusche ebenso wie die bunten Lichter am Himmel. Auf dem Hohentwiel selbst gebe es seit einiger Zeit ein Böllerverbot. Die neonfarbenen Behelfsschilder, die das verkünden, sind an den Straßen schon zu sehen. Das Böllerverbot funktioniere im Großen und Ganzen gut, so Thonnet. Und im Stall bekämen die Tiere insgesamt nicht so viel mit.
Dass die Herde im Winter in den topmodernen Stall kann, ist allerdings erst seit 2022 wieder so. Damals ging der derzeitige Schafstall samt der benachbarten Lagerhalle in Betrieb. Das Vorgängerbauwerk war im Sommer 2019 abgebrannt, durch die Corona-Pandemie mit ihren Lieferschwierigkeiten beim Baumaterial zog sich der Neubau hin. Die Kosten bezifferte das Amt für Vermögen und Bau Konstanz, das bei landeseigenen Immobilien in der Region als Bauherr auftritt, damals mit 2,2 Millionen Euro.
Neuer Stall erleichtert die Arbeit – vor allem im Winter
Dass es nun diesen Stall gibt, macht auch Schäfer Thonnet froh: „Früher kamen die Lämmer draußen zur Welt. Heute ist die Ablammung viel einfacher.“ Im früheren kleineren Stall habe man die Tiere nicht richtig überwintern können, daher habe er die ganze Herde auf die Winterweide gebracht – allerdings nicht im Stil eines Wanderschäfers, der weite Strecken zurücklegt, sondern eher in der Region. Heute können die Schafe nach der Weidezeit auf den Hängen des Hohentwiel in der kalten Jahreszeit drinnen bleiben.

In den Stall gewechselt sei man schon relativ früh, damit die Lämmer in Ruhe zur Welt kommen können: „Die eigentliche Geburt geht in der Regel allein, nur manchmal muss man helfen“, erzählt Thonnet. Und in ein paar Monaten ist für die meisten der Lämmer ihre Lebenszeit auch schon wieder vorbei. Denn dann werden sie als Osterlämmer geschlachtet.
Vier bis sechs Monate alt seien die Tiere dann, sagt Michael Thonnet. Auch das Lebensende seiner Schäfchen begleitet er, in einem kleinen Schlachthaus auf der Domäne schlachtet er selbst – allerdings nur die selbst gezüchteten Tiere. „Gerne macht man es nie, aber es gehört dazu“, sagt er. Vermarktet würde das Fleisch dann über Metzgereien aus der Region.
Vor allem den männlichen Tieren geht es in der Osterzeit an den Kragen, bei den Weibchen leben einige als Muttertiere weiter. Diese werden erst später geschlachtet und auch ihr Fleisch sei nachgefragt, berichtet der Schäfer. Etwa acht Jahre würden die Mutterschafe bleiben. Bei den Böcken tausche er Tiere auch unter Kollegen aus, denn um Inzucht zu vermeiden, müsse es alle zwei Jahre einen Wechsel geben.
Symbolische Bedeutung mit langer Tradition
Zu Ostern kommt den Tieren, die vor ein paar Wochen zur Welt gekommen sind, auch eine religiös-symbolische Bedeutung zu. Denn der Begriff des Osterlamms beruht auf einer jahrtausendealten Tradition, wie Susanne Ploberger zu berichten weiß.
Sie ist Gemeindereferentin der Seelsorgeeinheit Singen und erklärt die Herkunft des Osterlamms mit dem jüdischen Pessachfest. An Pessach, das zu einer ähnlichen Zeit wie das christliche Osterfest im Kalender steht, gedenkt man im Judentum des Auszugs aus Ägypten. Schon zur Zeit Jesu seien Lämmer Opfertiere zu Pessach gewesen, so Ploberger.
Dieser Brauch wiederum geht auf das Alte Testament zurück, auf das Buch Exodus, in dem der Auszug der Israeliten aus der ägyptischen Sklaverei geschildert ist. Darin forderte Gott die Israeliten auf, pro Haushalt ein Lamm zu schlachten und mit dem Blut des Opfertieres die Türen zu markieren. Denn in dieser Nacht vor dem Auszug aus Ägypten wollte Gott alle ägyptischen Erstgeborenen bei Mensch und Vieh erschlagen – aber die israelitischen Familien verschonen, die an dem Blut an der Tür zu erkennen waren.
Im Christentum hat das Opferlamm wieder eine etwas andere Bedeutung bekommen. Jesus, dessen Geburt bekanntlich an Weihnachten gefeiert wird, habe das Tieropfer allerdings verändert, erklärt Ploberger: „Er hat sich selbst als Opferlamm am Kreuz gesehen.“ Ein für alle Mal sei er für die Sünden der Menschen am Kreuz gestorben. Und Jesus habe in seinen Reden gerne Bilder genutzt, die die Menschen seiner Zeit auch gut verstanden – landwirtschaftliche Bilder zum Beispiel. Schäferei sei damals in Jesu Lebenswelt weit verbreitet gewesen. Das Lamm als arg- und wehrloses Tier ebenso wie der gute Hirte gehören zu diesen Bildern.
Von all dieser jahrtausendealten Symbolik ahnen die Lämmer in Michael Thonnets Stall freilich nichts.