Nervös reibt der Angeklagte vor Verhandlungsbeginn am Singener Amtsgericht seine sichtbar zitternden Hände aneinander, kneift die Augen unruhig zusammen und senkt den Blick, als die Amtsrichterin den Saal betritt. Bei einer Hausdurchsuchung haben Ermittler hunderttausende kinder- und jugendpornografische Schriften auf seinem Laptop und einer externen Festplatte gefunden. Hierfür muss sich der 41 Jahre alte Familienvater nun vor Gericht verantworten.
Vier Seiten Anklageschrift
Es sind vier volle Seiten Anklageschrift, die die Staatsanwaltschaft dem Beschuldigten vorhält. In brutalen Details werden die Bilder und Videos beschrieben: 30.000 kinderpornographische und 14.000 jugendpornographische Bilder. Hunderttausende sexualisierende Videos von Mädchen im Alter zwischen sechs und 16 Jahren. Abgebildet seien die Minderjährigen teils in Reizwäsche, teils nackt. Dabei stets in aufreizenden Posen und in einigen Fällen sei schwerer sexueller Missbrauch von Mädchen im Kindergartenalter gefilmt worden. Eigene Bilder oder Videos habe der Beklagte aber nicht aufgenommen.
Über seine Verteidigerin Renate Bens hat der 41-Jährige noch vor der Zeugenvernehmung ein Geständnis abgelegt. Die unsagbare Menge an kinder- und jugendpornographischem Material besessen und weiterverbreitet zu haben sei seine Sammelwut gewesen. Diese habe den Beschuldigten – wie die Verteidigerin ausführte – dazu verleitet, Bilder- und Videopakete auf Chatportalen herunterzuladen und auf digitalen Tauschbörsen weiterzuverbreiten. Dabei habe der Angeklagte seinen Fantasien nur im Internet Raum geboten. Es sei ihm nicht bewusst geworden, welche Mitschuld er durch das Verbreiten der Aufnahmen von minderjährigen Sexualopfern trägt, so die Rechtsanwältin. in der virtuellen Welt habe er die Schwere seiner Tat nicht wahrgenommen.
Vor knapp 20 Jahren zog der Beschuldigte in den Hegau. Zuvor lebte er gemeinsam mit seiner Mutter in Berlin, absolvierte dort seinen Hauptschulabschluss und arbeitete als Mechaniker. Das Verhältnis zu seiner Mutter sei stets von Gewalt und Unterdrückung geprägt gewesen. Vor Gericht erzählt der 41-Jährige, dass er täglich geschlagen wurde, die Mutter ihn eingesperrt und erniedrigt habe. Sein Vater hingegen sei nie für ihn dagewesen. „Während andere 14- bis 16-Jährige sich in ihrer Jugend – auch sexuell – ausleben konnten, war ich zu Hause eingesperrt. Ich hatte Angst vor Frauen. Das habe ich meiner Mutter nie verziehen“, sagt er mit einer klaren, doch gleichzeitig unsicheren Stimme. Seine sexuelle Präferenz für Mädchen im frühpubertierenden Alter sei voraussichtlich darauf zurückzuführen.
Um seiner gewalttätigen Mutter zu entkommen, zog der Beschuldigte vor mehreren Jahren nach Süddeutschland. Dort lernte er seine jetzige Frau kennen, mit der er zwei Kinder hat, einen Sohn und eine Tochter. Wie der 41-Jährige vor Gericht erklärt, sei der Kinderwunsch zu Belastungsprobe für ihn und seine Frau geworden. Es habe anfangs einfach nicht funktioniert. Dass seine Frau nicht schwanger geworden sei, habe ihn sehr unter Druck gesetzt, erläuterte der Angeklagte gegenüber dem Gericht. Schuldgefühle und Zweifel an seiner eigenen Männlichkeit haben ihn während der Hochphase seines Konsums in die Kinder- und Jugendpornografie geführt. Nach eigenen Angaben habe sich der Mann damit „sexualisieren“ wollen.
Ehefrau völlig ahnungslos
Seine Frau habe von den illegalen Vorlieben ihres Mannes nichts gewusst. Sie hätten ein funktionierendes Sexleben und eine ohnehin glückliche Beziehung geführt, beschreibt der Angeklagte. Bis zu dem Tag, an dem die Kriminalpolizei mit einem Durchsuchungsbefehl vor der Tür der vierköpfigen Familien stand. Der Aufenthaltsort des Laptops mit den heruntergeladenen Bildern und Videos sei über die IP-Adresse des Rechners verortet worden, nachdem das Bundeskriminalamt auf die kinderpornografische Chatplattform aufmerksam wurde. Dort war der Angeklagte unter mehreren Nutzernamen angemeldet. Meist waren es Mädchennamen wie Celina oder Marie. Als die als Zeugin geladene Kriminalpolizistin den besagten Vormittag aus ihrer Erinnerung wiedererzählt, fängt der Angeklagte an zu weinen. Das Erfahrene habe psychische Schäden hinterlassen. „Für meine Frau ist am Tag der Durchsuchung eine Welt zusammengebrochen“, berichtet er.
Doch bis heute steht seine Frau hinter ihm. Und die Kinder seien noch zu jung, um zu verstehen, aus welchem Grund ihr Vater vor Gericht steht. Der Beschuldigte hat bereits vor dem Verhandlungstermin eine Therapeutin aufgesucht, die auf Pädophilie spezialisiert ist. In den Therapiesitzungen, die alle drei Wochen stattfinden, werde nach Gründen für seine sexuelle Neigung gesucht und Strategien erarbeitet, um eine Rückfälligkeit zu verhindern „Es ist das offene Sprechen über meine Probleme, was mir sehr hilft“, sagt er. Auch mit seiner Ehepartnerin könne er mittlerweile über die vergangenen Taten sprechen.
Auf Grund des detaillierten Geständnisses des Beschuldigten stellte sich nach der Beweisaufnahme nicht mehr die Frage ob, sondern lediglich wie der Mann bestraft werden soll. Nach Einschätzung der Amtsrichterin habe die kooperative und geständige Art für den Angeklagten und ein milderes Strafmaß gesprochen. Auch spreche zugunsten des Mannes, dass er vor wie auch nach der Anklage strafrechtlich nicht aufgefallen sei. Seine letzte aktive Tat hat er vor mehr als vier Jahren begangen. „Doch all das soll die schwere ihrer Tat und die Menge an kinder- und jugendpornografischem Material, das sie besessen und verbreitet haben, nicht verharmlosen“, so die Richterin.
Vor der Urteilsverkündung äußert sich der Angeklagte ein letztes Mal zu den Vorwürfen. Dabei erhob er sich und sagte unter Tränen: „Mir tut das alles so unglaublich leid“. Es schien, als habe er noch mehr sagen wollen. Doch seine Stimme versagte.
Das Strafmaß fiel auf ein Jahr und zehn Monate Freiheitsstrafe, die zu vier Jahren auf Bewährung ausgesetzt wird. Lässt er sich der Verurteilte in den kommenden vier Jahren erneut etwas zu Schulden kommen, muss er ins Gefängnis. Das Fortsetzen und erfolgreiche Beenden der angefangenen Therapie ist eine zusätzliche Bewährungsauflage. Außerdem muss der Mann 6000 Euro an das SOS Kinderdorf zahlen und sich mit dem Opferschutz in Verbindung setzen.
Trotz des strikten Urteils wirkte es auf die Prozessbeobachter, als seien sowohl Täter als auch Verteidigerin nach der Verhandlung erleichtert gewesen. Beide atmeten sichtbar auf. „In diesem Strafgebiet sind Täter meist froh, wenn sie verurteilt werden. Es ist wie eine ungewollte Sucht und werden sie erwischt, müssen sie sich dazu bekennen und können Hilfe annehmen“, so Bens Schlussworte.