Wahlen werden mitunter im Wirtshaus gewonnen. Ob das auch für den Hegau und die kommende Bundestagswahl gilt, muss sich noch weisen. Einen klassischen Wirtshaustermin im Wahlkampf gab es aber schon, und zwar im Gasthaus Ochsen in Steißlingen. Der CDU-Abgeordnete Andreas Jung, der seit 2005 den Wahlkreis Konstanz im Bundestag vertritt, war dort und hatte eine amtierende Landesministerin als prominenten Gast dabei: Marion Gentges, die in Stuttgart dem Justizressort vorsteht. Sie ist auch Landesministerin für Migration und damit zuständig für ein Thema, das Publikumsinteresse auf sich zieht.
Der Saal des Gasthauses Ochsen war rappelvoll mit geschätzt 100 Zuhörern – dabei wäre am Montag eigentlich Ruhetag gewesen. Wirt Alfred Zwick, der selbst für die Freien Wähler im Steißlinger Gemeinderat sitzt, habe speziell für diese Veranstaltung geöffnet, wie Jung in seiner Begrüßung sagte.
Was haben die Besucher zu hören bekommen? Jung beließ es zur Eröffnung bei allgemeinen Punkten: Wirtschaftswende, Stärkung der inneren Sicherheit, bessere Steuerung von Migration – und die CDU wolle Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der Demokratie schaffen. Gentges spielte direkt zu Beginn ihre Stärke beim Zahlenmaterial aus.

Ein eindrückliches Beispiel: Von der US-Organisation NCMEC erhalte man zunehmend Hinweise auf Kinderpornografie in Deutschland, 2023 seien es etwa 180.000 Hinweise gewesen. Etwa 90.000 Verfahren seien eingeleitet worden, doch etwa 20.000 davon habe man einstellen müssen – weil Verkehrsdaten aus dem Internet nicht mehr verfügbar gewesen seien und man an die Täter nicht habe herankommen können.
„Um diese Kinder aus ihrem Martyrium herauszuholen, braucht man Vorratsdaten, und zwar länger als sieben Tage“, so Gentges. Die Ampelregierung nutze den Spielraum, den die EU lasse, nicht aus. Auch der Hinweis von Besucher Stefan Köstler, dass der Europäische Gerichtshof (EuGH) die deutsche Regelung der Vorratsdatenspeicherung einmal kassiert habe, brachte sie nicht aus der Ruhe. Zuletzt habe der EuGH die Möglichkeiten zur Verbrechensbekämpfung sogar ausgeweitet.
Gentges warb auch für eine strengere Kontrolle der Migration und eine Begrenzung der Zugangszahlen bei Flüchtlingen. Unter anderem soll dieses Ziel durch eine Bezahlkarte erreicht werden, die es unmöglich machen soll, Geld ins Heimatland zu schicken. Das nehme in den Augen der CDU-Frau einen Anreiz, sich auf den lebensgefährlichen Weg nach Europa zu machen.
Welche Koalition die CDU nicht eingehen will
Die Zuhörer brachten in der Diskussion zahlreiche Themen zur Sprache und forderten konkrete Antworten ein. Die gab es nicht immer, etwa als Wilhelm Gofferjé nach möglichen Koalitionen fragte, die CDU und CSU unter einem möglichen Kanzler Friedrich Merz eingehen könnte. Beantworten könne man das erst nach der Wahl, sagte Jung.
Klar sei aber, dass es keine Koalition mit AfD, Linken und dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) geben werde. Das habe Merz bei der Klausurtagung des CDU-Bundesvorstands in Hamburg am Wochenende noch einmal klargemacht – bei der Jung als stellvertretender Bundesvorsitzender seiner Partei auch dabei war. Man wolle möglichst stark werden, um sich nach der Wahl den Partner aussuchen zu können, mit dem man das eigene Programm umsetzen könne, so Jung: „Ein Weiter-so wird es nicht geben.“
Andrea Gnann, Leiterin des Familienzentrums Storchennest, berichtete aus der Praxis einer Einrichtung zur Kinderbetreuung. Viele Familien mit Migrationshintergrund würden die Angebote sehr gerne annehmen. Bei manchen dieser Familien könnten die Erwachsenen zum Start der Kita-Zeit, neun Monate nach der Anmeldung, aber kein Wort Deutsch oder Englisch. „Was ist in dieser Zeit passiert?“, fragte Gnann und hielt auch fehlende Sprachkurse für möglich. Sie fragte weiter: „Kann man die Förderung auch an Bedingungen knüpfen?“
Gentges plädierte dafür, dass zum Fördern durchaus mehr Fordern kommen dürfe. Frauen könnten die Sprache durchaus noch mehr lernen, sagte sie. Das regte Hubert Wehinger, Ehemann der früheren Grünen-Landtagsabgeordneten Dorothea Wehinger und selbst Grünen-Gemeinderat in Steißlingen, zu verständnislosem Kopfschütteln an. Doch Gentges gab auch zu bedenken, dass die Bereitschaft, sich zu integrieren, mit der Zeit abnehme, wenn Flüchtlinge nicht die Möglichkeit dazu bekommen.
Wo vor Ort der Schuh drückt
Migration finde aber nicht nur aufgrund von Flucht und Vertreibung statt, sondern auch aufgrund des Arbeitsmarktes in Deutschland, sagte Gentges nach einem Hinweis eines anderen Besuchers. Und wieder hatte sie eine Zahl parat: 49 Milliarden Euro habe man laut dem Institut der deutschen Wirtschaft (IW) zuletzt nicht erwirtschaften können, weil Arbeitskräfte fehlen. Migration sei dabei ein Teil der Lösung. Deswegen wolle die Landesregierung unter anderem die Stellen, die ausländische Berufsqualifikationen anerkennen, besser miteinander vernetzen.
Patrick Braun, der unter seiner Jacke einen knallvioletten Kapuzenpulli der europafreundlichen Kleinpartei Volt trug, kritisierte, dass eine große Volkspartei sich nicht nur auf das Thema Migration konzentrieren sollte. Gentges begründete den Schwerpunkt mit ihrem Ressort: „Dafür bin ich zuständig.“ Man müsse den Menschen auch zumuten, Probleme klar zu benennen. Und ihre Partei versuche, konsequente Lösungen zu entwickeln.
Steißlingens Bürgermeister Benjamin Mors nutzte die Gelegenheit, der Landesministerin und dem Bundestagsabgeordneten kommunale Botschaften mitzugeben. Viele Flüchtlinge würden zu lange in der Anschlussunterbringung der Gemeinde bleiben, weil sie nirgends eine eigene Wohnung finden würden. Und im Zusammenspiel der Verwaltungsebenen wünsche er sich ein „gutes Miteinander“ bei den Finanzen – und erläuterte anhand eines Raumes für Integrationsarbeit, den die Gemeinde angemietet habe, dass mehr Geld für die eigenverantwortliche Verwendung eher gewünscht sei als eng gefasste Förderprogramme.
Es war ein lebhafter Austausch zwischen der politisch interessierten Basis und den Politprofis in Land und Bund. Nun darf der Hegau gespannt sein, wie CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz bei seinem Besuch im Februar in der Singener Stadthalle für die Positionen seiner Partei wirbt.