Herr Koterzyna, Herr Reuther, eigentlich ist es das ureigenste Recht der Narren, Dinge sagen zu dürfen, ohne gleich dafür abgestraft zu werden. Haben Sie das Gefühl, dass sich da in den vergangenen Jahren etwas geändert hat, und man sich mehr Gedanken darüber machen muss, was man sagt und was nicht?
Jürgen Koterzyna: Es ist wirklich die Aufgabe der Narren, dort den Finger in die Wunde zu legen, wo Missstände sind. Aber die Frage, was man noch sagen darf wird tatsächlich zu einem immer größeren Thema gemacht. Wir hatten das erst vor einigen Jahren bei der Verhandlung gegen Annegret Kramp-Karrenbauer, wo mit drei Tagen Versatz nachrecherchiert wurde. Die Leute im Saal hatten mit dem, was gesagt wurde, kein Problem. Niemand hat sich angegriffen gefühlt. Das war auch nicht das Ziel. Erst im Nachhinein wurde es zum Thema gemacht. Inzwischen ist es oft so, dass fast mehr über Formulierungen als über Sachverhalte diskutiert wird.
War das damals bei Annegret Kramp-Karrenbauer etwas Neues, oder gab es so etwas davor schon mal?
Wolfgang Reuther: Sowas hat es davor noch nie gegeben. Zur ersten Frage möchte ich aber noch hinzufügen: Wir hatten auch früher schon immer die eigenen Sprachprüfer. Bei Bunten Abenden gab es gewisse ältere Herren, die immer nochmal die Texte redigiert haben und wenn irgendein unfeines Wort drinnen stand, wurde das gestrichen. Das war aber eine völlig andere Zeit. Inzwischen haben wir so gesellschaftliche Knackthemen wie Diversität, die von politischer Seite instrumentalisiert werden. Damals gab es auch noch keine Sozialen Medien, über die ein solcher Shitstorm losgetreten wird.

Haben Sie nach der Verhandlung gegen Annegret Kramp-Karrenbauer intern darüber diskutiert, wie Sie in Zukunft mit solchen Geschichten umgehen wollen?
Jürgen Koterzyna: Wir haben insofern darüber diskutiert, als dass wir gesagt haben, wie verrückt ist denn die Welt, in der sowas überhaupt zum Thema gemacht wird. Das Narrengericht war damals in der Tagesschau und den Heute-Nachrichten. Das war völlig abstrus. Auf der anderen Seite muss man auch sehen, dass es für uns ein Stückweit Werbung war. So haben die Leute gesehen, das Stockacher Narrengericht ist spannend, das kann man sich anschauen.
Wolfgang Reuther: Das kann man natürlich auch anders sehen. Ich kann mir schon vorstellen, dass der ein oder andere politische Vertreter alarmiert ist, weil er denkt, dass man bei uns vielleicht aufs Glatteis geführt wird.
Ist es denn seit dem AKK-Vorfall schwieriger geworden, Beklagte zu finden?
Wolfgang Reuther: Ich glaube, wenn Politiker davon abgeschreckt wären, dann würden sie uns das nicht mitteilen, sondern andere Gründe vorschieben. Wir haben immer mal wieder Absagen, aber meistens sind das dann auch Leute wo man schon im Voraus vermuten kann, dass ihnen die nötige Spontanität fehlt und sie sich das einfach nicht zutrauen.
Boris Palmer hat an der Dreikönigssitzung mit einer Aussage zur Migrationspolitik polarisiert. In einigen Medien wurde genau diese aus dem langen Vortrag Palmers zum Hauptteil der Berichterstattung, wodurch die Frage aufgeworfen wurde, ob man über ein solches Thema an der Fasnacht sprechen darf. Wie sehen Sie das?
Wolfgang Reuther: In manchen Medien, insbesondere bei den Öffentlich-Rechtlichen sehe ich eine gewisse politische Orientierung: Mit Masse links und grün. Das hat vor einigen Jahren auch schon eine Umfrage unter den Volontären der ARD ergeben. Und genau so werden dort dann auch Themen gesetzt. Dann brauchen wir uns nicht wundern, dass alles, was über den regionalen Bereich hinaus geht, extrem politisch bewertet wird.
Manche Themen werden dabei besonders gerne herausgegriffen. Wenn ich nicht aussprechen darf, dass die überwiegende Masse derjenigen, die an den Silvesterkrawallen beteiligt waren, einen Migrationshintergrund hat, dann läuft etwas falsch. Dann haben wir nämlich auch hinterher in der Auswertung gar nicht die richtigen Maßnahmen und Instrumente, um gegenzusteuern.
Jürgen Koterzyna: Das können wir eins zu eins auf die närrische Rede übersetzen: Eine freie närrische Rede ist nur möglich, wenn hinterher auch fair und ausgewogen darüber berichtet wird. Wenn ein Satz herausgezogen und gegebenenfalls aus dem Zusammenhang gerissen wird, dann ist das nicht fair. Wichtig aber auch: Wer austeilt, muss auch einstecken können. Und solange nichts Beleidigendes dabei ist, ist ja auch alles gut.
Also darf man an Fasnacht wirklich über alles sprechen?
Jürgen Koterzyna: Genau das wurde ich im Nachgang zur Sitzung mit AKK auch gefragt. Meine Meinung ist: Es gibt gute Witze und schlechte Witze. Einen guten Witz darf man über alles machen.
Nochmal zurück zur Narrenfreiheit. Ist es für Sie bedenklich, dass man heute scheinbar schneller das Risiko eingeht, öffentlich abgestraft zu werden, wenn man seine Meinung sagt?
Wolfgang Reuther: Ich bin ohnehin der Meinung, dass das allgemeine Rügerecht jedem offen steht und nicht nur den Narren. Das ist verfassungsmäßig garantiert. Nach meinem Dafürhalten ist es sogar der Anspruch an jeden Bürger, dass er, wenn er einen Missstand sieht, das auch kundtut und sich nicht in einer Ecke verkriecht, ohne etwas zu sagen.
Jürgen Koterzyna: Das sehe ich auch so. Wenn man nicht mehr öffentlich seine Meinung sagen darf, sondern dafür gleich einen Shitstorm erntet, dann ist das bedenklich. Dann verlieren wir auch die Vielfalt und die Toleranz in unserer Gesellschaft. Denn die Freiheit gilt immer in beide Richtungen.
Was sagt es über unsere Gesellschaft aus, dass Worte heute schneller auf der Goldwaage landen als früher?
Wolfgang Reuther: Das Problem ist, dass heute alles und jeder moralisch bewertet wird. Da gibt es nicht mehr die Kategorien richtig und falsch, sondern nur noch gut und böse. Wir haben es hier mit einer gewissen Empörungskultur zu tun. Dabei geht es im Grunde doch oftmals einfach um banales. Wenn einem Sportreporter sein Vertrag gekündigt wird, wenn er über einen Spieler sagt, er habe sein letztes Tor im Land der Sushis geschossen, dann läuft doch was verkehrt. Davon würde sich niemand in Japan beleidigt fühlen, weil es einfach ein flapsiger Spruch ist.
Jürgen Koterzyna: Das ist ein wichtiger Punkt! Die Empörung kommt ja meistens nie aus den Reihen der betroffenen Gruppe, sondern von Leuten, die sich als Anwalt jener wähnen. Da kann ich nur sagen, entmündigt diese Leute doch nicht, sondern lasst sie für sich selbst sprechen.
Wolfgang Kubicki, der dieses Jahr als Beklagter vor das Narrengericht muss, ist ja auch bekannt für sein loses Mundwerk und seine flapsigen Sprüche. Was wünschen Sie sich im Zusammenhang damit, für die kommende Gerichtsverhandlung?
Jürgen Koterzyna: Dass er so redet, wie er ist und kein Blatt vor den Mund nimmt. Sich dem hingibt, was ihn erwartet, und dass das dann auch genauso öffentlich wiedergegeben wird.
Wolfgang Reuther: Ich wünsche mir nur, dass er ungefiltert spricht, denn das wird unseren Weinbestand wieder deutlich erhöhen. Nach zwei Jahren ohne Verhandlung darbt selbiger. Da wird auch der Herr Narrenrichter sicher eher geneigt sein, noch einen Kübel draufzusetzen.