Drei Dinge haben sie alle gemeinsam, die Beklagten des Stockacher Narrengerichts: Sie beteuern ihre Unschuld, sie weisen alle Vorwürfe als haltlos zurück – und am Ende werden sie doch für schuldig befunden und müssen eine saftige Weinstrafe bezahlen. In normalen Jahren geben die Grobgünstigen in ihrer ersten Narrenversammlung an Dreikönig bekannt, wen sie am Schmotzigen Dunschtig vor die Schranken des Gerichts zitieren.
Doch in diesem Jahr ist eben alles anders. Und so habe man zwar bereits jemanden gehabt, die oder der willens gewesen wären, den Gang nach Stockach anzutreten, sagt Narrenrichter Jürgen Koterzyna. Doch die Regelungen zum Schutz vor der Corona-Pandemie machten den Narren einen dicken Strich durch die Planung. Trotzdem gab es eine Dreikönigssitzung, die aber dieses Mal virtuell im Internet zu sehen war – ein Bericht folgt.
Unklar, ob die ausgewählte Person nächstes Jahr kommt
Ob dieselbe Person, die für 2021 zugesagt hatte, dann 2022 kommt? Da lässt sich der Narrenrichter nicht in die Karten schauen und sagt nur, dass fürs nächste Jahr diese Karten komplett neu gemischt werden. Eine Parallele zur wegen des Golfkriegs ausgefallenen Fasnacht 1991 gebe es in dem Sinne ohnehin nicht. Der für 1991 vorgesehene Beklagte Erwin Vetter (CDU), damals Umweltminister des Landes Baden-Württemberg, sei dann zwar 1992 in Stockach erschienen. Doch er sei zu Dreikönig 1991 auch bereits verkündet worden – ein alljährlicher närrischer Termin, der in diesem Jahr wegfiel.
Das waren die Beklagten der vergangenen vier Jahre
Wir blicken an dieser Stelle auf die Beklagten, die Kläger und Fürsprech mit dem Narrenrichter in den zurückliegenden Jahren ausgewählt haben – und werfen ein Auge auf die Spekulationen, zu denen sie an Dreikönig angeregt haben.

Cem Özdemir
Der „anatolische Schwabe“ (Özdemir über Özdemir) hat schon aufgrund dieses doppelten Migrationshintergrunds, wie es Anfang 2020 beim Narrengericht hieß, die Aufmerksamkeit der Grobgünstigen erregt. Zur Spekulation nach Dreikönig gehörte, ob diese Selbstbezeichnung Kläger Wolfgang Reuther als Ansatzpunkt für seine Vorwürfe dienen würde. Oder die gefürchtete Schwertgosch des Grünen-Bundestagsabgeordneten und Vorsitzenden des Verkehrsausschusses im Bundestag.
Auch Özdemirs Hang zur deutlichen und auch provokanten Meinungsäußerung spielte eine Rolle. Und schließlich dürsteten die Gerichtsnarren nach Rache. Denn auch Özdemirs Aussagen in der Verhandlung gegen den damaligen Kanzleramtschef und heutigen Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hat das Kollegium zugeschrieben, dass dieser im Jahr 2015 mit der sensationell niedrigen Weinstrafe von einem Eimer österreichischen Maßes oder 60 Litern davon kam.

Annegret Kramp-Karrenbauer
Als CDU-Vorsitzende geladen, vorher Generalsekretärin der Partei – man wähnte AKK, wie ihr Name der Übersicht halber häufig abgekürzt wird, schon auf den Spuren von Kanzlerin Angela Merkel, die dieselbe Ämterfolge hinter sich gebracht hat, ehe sie 2005 zum ersten Mal zur Kanzlerin gewählt wurde. Es folgte ein bundesweit viel beachteter Witz über Toiletten für das dritte Geschlecht, den Kramp-Karrenbauer ausgerechnet in ihrer Verteidigungsrede vor dem Stockacher Narrengericht 2019 fallen ließ, und anderes, wofür sie Kritik auf sich zog.
CDU-Vorsitzende ist sie bis heute, weil die CDU wegen der Corona-Pandemie den Parteitag, auf dem ihr Nachfolger gewählt werden sollte, verschoben hat. Und sie leitet das Verteidigungsministerium. Doch das Kanzleramt? Die Chancen darauf tendieren gegen Null. Der Schweinsgalopp, mit dem Kramp-Karrenbauer die Parteiämter durchlief, hätte ein Ansatzpunkt für Kläger Wolfgang Reuther werden können, der mit AKK zum ersten Mal in dieser Funktion auf der Bühne in der Jahnhalle stand.

Thomas Strobl
Der baden-württembergische Landesinnenminister von der CDU schreckte im Jahr 2018 auch vor der Drohung mit der schärfsten Waffe des Württembergers, dem Trollinger, nicht zurück, um das Narrengericht im Vorfeld der Fasnacht einzuschüchtern. Genutzt hat es – wie bei allen anderen Beklagten, die vor dem Kollegium erschienen – nichts. Der damalige Kläger Thomas Warndorf hatte mit Strobl seinen letzten Beklagten vor sich, Warndorf ist danach aus dem Kollegium ausgeschieden.
Spekuliert wurde in dieser Zeitung damals, ob Strobls pragmatische Beweglichkeit zum Angriffspunkt des Klägers werden würde. Schließlich hat er nicht nur den einstigen grünen Gegner per Koalition entwaffnet. Sondern er hat auch seinen einstigen Widersacher um die Spitzenkandidatur im Land, Guido Wolf, an Fotopräsenz weit hinter sich gelassen.

Malu Dreyer
Die SPD-Ministerpräsidentin des Landes Rheinland-Pfalz stand im Jahr 2017 vor dem Hohen Grobgünstigen Narrengericht. Womit hätte Kläger Thomas Warndorf sie piesacken können, wo ihr das Magazin Cicero bescheinigte, dass sie Schwächen wegorganisieren und Härte mit Liebenswürdigkeit überspielen kann?
Das Verdrängen von Vorbildern war einer der Punkte, über den in dieser Zeitung damals spekuliert wurde. Das zielte auf Kurt Beck (ebenfalls SPD) ab, der ihr Vorgänger im Amt war und im Jahr 2000 in Stockach in allen Punkten schuldig gesprochen wurde. Ihn habe Dreyer längst vergessen lassen, hieß es.