Bei Hochzeiten denken viele zuerst an weiße Kleider, goldene Ringe und oft auch an festlich geschmückte Kirchen. Doch das Bild ist überholt, heutzutage lassen sich viel weniger Paare kirchlich trauen als noch vor Jahrzehnten. „Die ehemalige Häufigkeit ist definitiv Geschichte“, sagt der evangelische Pfarrer Rainer Stockburger. „Das hat sich grundlegend verändert.“ Auch sein katholischer Kollege bestätigt die Entwicklung.

Mehr Menschen, aber weniger Hochzeiten

Ein Blick in die Statistik zeigt, dass es 1969 noch 18 katholische Trauungen und 15 evangelische in Stockach gab. 2009 blieb die Zahl der evangelischen Hochzeiten zwar gleich, katholische wurden jedoch nur fünf verzeichnet. 2019 waren es 14 katholische Trauungen und sieben evangelische. Zwar liegen die Zahlen nicht weit unter jenen von 1969, allerdings ist die Kommune in den 1970er-Jahren durch die Eingemeindung der Ortsteile gewachsen. 2019 gab es laut dem Statistischen Landesamt fast 4700 Einwohner mehr als Ende der 1960er-Jahre.

Standesamtlich heiraten wesentlich mehr Stockacher Paare: Laut dem Standesamt finden jährlich zwischen 70 und 80 standesamtliche Trauungen statt.

Gesellschaftswandel ist ein Grund

In jüngster Zeit sei es vor allem die Corona-Pandemie gewesen, die sich negativ auf die Zahl der Hochzeiten ausgewirkt habe. Aber auch abgesehen davon sieht Pfarrer Rainer Stockburger mehrere Gründe. Zum einen habe die Selbstständigkeit der Frauen zugenommen: Im Gegensatz zu früheren Zeiten ist eine Frau mittlerweile nicht mehr abhängig von ihrem Partner und eine Hochzeit nicht mehr notwendig, um etwa zusammenzuziehen. Außerdem würde mittlerweile in einem höheren Alter geheiratet als noch vor ein paar Jahrzehnten.

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Thomas Huber sieht auch da einen gesellschaftlichen Wandel: Früher seien Verlobungszeiten kurz gewesen, schon recht schnell wurde geheiratet. Mittlerweile würden Paare lange zusammen sein, ohne vor den Altar zu treten. Nach einer gewissen Zeit würden sie es dann einfach nicht mehr als nötig ansehen, an der Situation etwas zu ändern.

„Die ehemalige Häufigkeit ist definitiv Geschichte.“ Rainer Stockburger, evangelischer Pfarrer in Stockach
„Die ehemalige Häufigkeit ist definitiv Geschichte.“ Rainer Stockburger, evangelischer Pfarrer in Stockach | Bild: Marinovic, Laura

Weniger Hochzeiten durch Kirchenaustritte

Eine weitere Ursache sehen beide Pfarrer: die Abwendung mancher Menschen von der Kirche. Mit den Kirchenaustritten gibt es weniger Gläubige, die kirchlich heiraten wollen. Und auch sonst würden Kirche zum Teil an Bedeutung für die Menschen verlieren, gibt Rainer Stockburger zu bedenken. Das habe übrigens nicht nur Auswirkungen auf Hochzeiten. „Das merkt man in allen Bereichen.“ Auch Taufen und die Zahl der Konfirmanden würden zurückgehen.

Trauungen werden anders gestaltet

Abgesehen davon, dass es grundsätzlich weniger kirchliche Trauungen werden, beobachten die Stockacher Pfarrer aber auch noch andere Veränderungen: Es stehen nicht mehr nur Mann und Frau vor dem Altar. So befürworte die evangelische Landeskirche mittlerweile homosexuelle Trauungen, berichtet Rainer Stockburger. Es sei den Pfarrern selbst überlassen, ob sie solche abhalten möchten oder nicht – er selbst tue dies gerne. Dennoch seien kirchliche Hochzeiten zwischen gleichgeschlechtlichen Paaren aktuell noch eine Ausnahme.

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Auch an der Gestaltung der kirchlichen Hochzeiten hat sich einiges geändert. So erzählen Rainer Stockburger und Thomas Huber, dass zwar nach wie vor auch traditionelle Kirchenlieder vom Brautpaar für den Gottesdienst ausgewählt werden, darunter etwa „Großer Gott, wir loben dich“.

Professionelle Sänger stimmen Popsongs an

Mittlerweile kämen aber auch moderne Liebeslieder oder Filmmusik zum Einsatz – darunter auch Lieder, die für das Paar eine besondere Bedeutung haben. „Das sind zum Beispiel Lieder, die gelaufen sind, als das Paar sich kennengelernt hat“, erklärt Thomas Huber. Oft würden Lieder von professionellen Sängerinnen und Sängern gesungen. „Es ist selten, dass Lieder über Bluetooth-Boxen abgespielt werden“, so Huber.

„Es ist selten, dass Lieder über Bluetooth-Boxen abgespielt werden.“ Thomas Huber, katholischer Pfarrer in Stockach
„Es ist selten, dass Lieder über Bluetooth-Boxen abgespielt werden.“ Thomas Huber, katholischer Pfarrer in Stockach | Bild: Marinovic, Laura

Amerikanische Bräuche bringen alte Rollenbilder

Außerdem würden bestimmte Bräuche, die in Amerika bereits lange üblich sind, nun auch nach Deutschland überschwappen. Etwa, dass Brautjungfern zum Einsatz kommen. Oder dass der Vater der Braut sie zum Altar führt, wo der Bräutigam bereits wartet. „Das ist jetzt wiederentdeckt worden“, sagt Rainer Stockburger. „Das gab es früher nicht“ – zumindest nicht in der jüngeren Vergangenheit. Denn ursprünglich stamme der Brauch aus dem Mittelalter.

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Thomas Huber hält es darum auch für nötig, Brautpaare immer auf den Hintergrund hinzuweisen. „Das kommt ja daher, dass die Braut in der Obhut des Vaters war“, sagt er. „Und das ist ein Frauenbild, das eigentlich nichts mehr mit der heutigen Zeit zu tun hat.“

Geschichte der Eheleute wird wichtiger

Rainer Stockburger nennt noch einen weiteren Aspekt, der beliebter geworden ist: die Geschichte des Brautpaares. „Das Biografische spielt heutzutage eine große Rolle“, sagt er – also etwa, wie sich das Paar kennengelernt hat oder durch welche Höhen und Tiefen es miteinander gegangen ist. Das halte er persönlich auch für einen wesentlichen, wichtigen Teil einer Trauung. „Es ist ein Wunder, wenn Menschen zusammenkommen“, sagt Stockburger. „Das soll in diesem biografischen Teil durchaus zur Sprache kommen.“