Wie sah Stockach vor über 100 Jahren aus? Wer lebte hier, welche Ereignisse waren alltäglich oder besonders? Antworten auf diese Fragen gibt die neue Ausstellung im Stadtmuseum Stockach. Gezeigt werden Orte, Menschen und Ereignisse rund um das Jahr 1900. Und schließlich den Ersten Weltkrieg – dokumentiert von Gustav II. Hotz, der ab 1907 ein Fotoatelier in der Stadt betrieb. Einige dieser vergangenen Eindrücke greift Museumsleiter Julian Windmöller besonders hervor.
Panorama der Stockacher Hauptstraße

Die Ausstellung ist angelegt wie ein Stadtrundgang. Dazu gehört ein Panorama der Hauptstraße. Alle Fotos sind dabei nicht gedruckt, sondern Digitalisate der Negativglasplatten, die damals entstanden sind. Am linken Rand sieht man die Beschriftung des Fotografen. „Das ist auch eine Glasplatte, die wir so groß gezogen haben und das ist super scharf“, erzählt Julian Windmöller. An Stellen, an denen das Bild unscharf wirkt, haben sich Menschen bewegt.
Ein Panorama zeigt die Hauptstraße vom Alten Forstamt aus in Richtung des Stockacher Marktplatzes. „Einen großen Unterschied zu heute gibt es aber: die Adler Post“, so der Museumsleiter. Im Bild ist es das vierte Gebäude auf der linken Seite. Dieses brannte am 11. September 1904 aus. Danach wurde es im Jugendstil neu aufgebaut. Das Foto ist also vorher entstanden, in den ersten Jahren nach 1900, erklärt Julian Windmöller.
Schillerstraße ist die neue Prachtstraße

Im Jahr 1911 wurde die Schillerstraße gebaut. „Das war damals die Prachtstraße, es wurden viele Villen gebaut“, erzählt Julian Windmöller. Sie war angelegt als Allee, schuf erstmals eine direkte Verbindung zum Bahnhof.
Dort befand sich auch das Wohn- und Geschäftshaus von Gustav II. Hotz samt seinem Atelier. Es befindet sich auf der linken Seite der Straße und ist das dritte Haus. Ganz rechts lugt auf dem Bild noch der Erker hervor, daneben auf der Straße stehen zwei Personen.
Das damalige Stockacher Narrengericht

Im Bereich Menschen befinden sich viele Porträts. „Bei vielen wissen wir die Namen der Menschen leider nicht mehr“, sagt Julian Windmöller. Aber da finde er es auch schön, sich vorzustellen, wer das gewesen sein könnte.
Dazwischen hängt ein Bild des alten Narrengerichts. Dieses lässt sich zeitlich gut datieren, so Julian Windmöller: „Das Narrenbuch ist von 1900 und die Pritsche ist von 1907. Wir wissen ja, dass Gustav II. 1916 gefallen ist. Das Bild ist also zwischen 1907 und 1916 entstanden.“ Auch Gustav II. ist auf dem Bild zu sehen: Er steht in der hinteren Reihe als dritter Mann von links.
Ein Porträt der Familie Hotz

Bilderserien der beiden Kinder sowie Familienporträts gehören auch zur Ausstellung. Der Sohn Gustav III. wurde am 1. April 1905 geboren. Nelly Emma, die jüngere Tochter, kam am 16. April 1907 zur Welt. Das Foto ist also in der Zeit danach entstanden, bevor Gustav II. 1915 in den Krieg zog.
Der Martinimarkt im Jahr 1913

Ein alltägliches Ereignis, das im Stadtmuseum ausgestellt ist, ist der Martinimarkt. Seinen Namen hat er erhalten, weil der Markt rund um Sankt Martin stattgefunden hat, erzählt Julian Windmöller. Bei der Mischung aus Vieh- und Krämermarkt ist zu sehen, wie Tiere wortwörtlich mit einem Handschlag verkauft wurden.
Der Martinimarkt fand früher auf dem La Roche Platz statt. Im Bild links befindet sich das ehemalige Schlachthaus. Das Gebäude im Hintergrund steht heute noch, darin befindet sich der Schwarzwaldverein.
Erste Flugzeuglandung in Stockach

Der 23. Februar 1913 war ein besonderer Tag. „Es war die Zeit der Flugpioniere“, sagt Julian Windmöller. Auch in der Region gab es einen Pionier: Ernst Schlegel aus Konstanz. „Er hat die Städte im Hegau beflogen und kam eben auch nach Stockach“, so der Museumsleiter.
Ernst Schlegel setzte hinter der Hindelwanger Kirche zur Landung auf einer Wiese an. Zwar verspätete er sich aufgrund des Wetters um zwei Stunden, doch Schaulustige waren mit Würstchen und Getränken gut versorgt, erzählt Julian Windmöller. Denn das stand danach in einem Zeitungsartikel.
Die Kamera des Fotografen

In der oberen Etage der Ausstellung ist das Fotoatelier von Gustav II. Hotz nachgebaut. Dort befindet sich ein besonderes Ausstellungsstück: die Kamera von Gustav II. Bei dem Objektiv handelt es sich um ein Dogma Teleobjektiv für Porträtaufnahmen.
Im Fotoatelier des Gustav II. Hotz

Direkt neben der Originalkamera befindet sich eine weitere Familienaufnahme. Das Foto zeigt Gustav II. Hotz in der Mitte. Rechts von ihm seine Frau Nelly, links seine Halbschwester Katharina mit seinem Sohn Gustav III. auf dem Arm. Und ganz rechts steht auch seine Kamera, die fast die Hälfte des Bildes einnimmt. Das Bild wurde im Fotoatelier aufgenommen.
Düstere Fotos aus einem Schützengraben

Am 28. Juli 1914 wurde der Erste Weltkrieg ausgelöst. Es dauerte nicht lange, bis Gustav II. Hotz 1915 an die Front gerufen wurde. Der letzte Teil der Ausstellung widmet sich seinen Aufnahmen von der Kriegsfront und den Briefen zwischen dem Fotografen und seiner Frau Nelly. „Da verfolgt man wirklich die letzten Monate und Wochen“, so Julian Windmöller.
Das größte Bild in diesem Ausstellungsteil zeigt einen Schützengraben. In der Mitte stehen zwei Männer. Der vordere Mann scheint Ausschau zu halten, um den Graben sicher zu verlassen. „Dadurch, dass es diese Flecken gibt und es rauer ist, wirkt es dramatischer. Es dient ein bisschen als Fluchtpunkt, um den Raum in Stimmung zu versetzen“, erklärt der Museumsleiter.
Stockacher Tagblatt im Ersten Weltkrieg

Eine der letzten Aufnahmen von Gustav II. ist am 1. Mai 1916 entstanden. In seiner Uniform und im Schützengraben sitzend, liest er eine Ausgabe des Stockacher Tagblatts. Die Ausgabe liegt auch im Wohnzimmer der Ausstellung aus. Ebenso sein Feldbesteck, das er im Ersten Weltkrieg benutzte. Am 7. Juli 1916 wurde Gustav II. Hotz erschossen. Und doch lebt ein Teil durch seine Aufnahmen weiter.